Freitag, 7. Juni 2013

Unter die Räder gekommen

Für meinen Termin bei der Histologie, habe ich erst mal die Arbeit abgesagt, schwupps bin ich schon im Ausnahmezustand, wobei ich da jetzt nicht kleinlich sein will. Krankenhaus ist auch Arbeit... nur anders.
Die Termine im Krankenhaus - gerade in einem Großen - sind eine Herausforderung besonderer Art. Die Meinungen darüber, welche Klinik die Richtige ist, gehen da auseinander. Für die Großen spricht die Erfahrung. Für die Unikliniken spricht die Forschung. Für die Kleinen spricht das Menschliche... Am Ende haben mir all meine Arzt/Medizinfreunde dazu geraten, eher in eine große, am Besten in eine Uniklinik zu gehen. Ich persönlich denke, dass es auf den Arzt ankommt, den man erwischt. Und auf die eigene psychische Situation. Ich bin ein Klotz, kann damit leben nicht gemocht zu werden (und verstehe das manchmal sogar). Ich kann mich wehren, kenne berufsbedingt meine Rechte, bin stressresistent und eloquent, mit einem gerüttelt Maß an Selbstironie ausgestattet und auch sonst durchaus für Galgenhumor zu begeistern.... Und all das war in einem großen Münchner Universitätsklinikum auch bitter nötig! Also, wer psychosoziale Betreuung bei Ärzten sucht, ist nach meiner Erfahrung in einem großen Klinikum vollkommen fehl am Platze.
Die Maschinerie dort überfährt einen, wie am Fließband müssen da Unmengen von Patienten durchgeschleust werden – das ist unheimlich und beängstigend. Tröstend ist, dass Krebs also ganz offensichtlich nun wirklich kein Einzelschicksal ist, aber das tröstet nicht lang. In meinem Fall war es genau an der Anmeldung, für die man auch schon eine Nummer ziehen musste, vorbei.
Da sitzt so eine Dame mit Brille sicher verschanzt hinter einer Rezeption und schaut einen über den Brillenrand hinweg an, als hätte man sie gerade angerülpst. "Sie wünschen?" Ja, was wünsche ich am Empfang des Brustzentrums? Glück, Gesundheit und vielleicht etwas gegen die Erderwärmung, wenn wir schon dabei sind? "Ich habe einen Termin, beim Oberarzt." Die Brille funkelt, die Mundwinkel zucken nach unten. "Nein."
Ich schüttle den Kopf, lächle breiter. "Doch", wiederspreche ich. "Ich habe mit dem Arzt selbst telefoniert. Er hat mich für 14:40 h herbestellt." Lächeln hilft nichts, die Brille funkelt weiter, so wird das nichts. "Davon weiß ich aber nichts", sagt der Klinik-Cerberos, der freche Patienten in Schach halten will. "Nun", wehre ich mich. "Das ist jetzt noch nicht zwingend. Es wird noch mehr geben, das IST, von dem Sie nichts wissen."
Jetzt weiß ich wenigstens, warum die Mundwinkel der Schwerkraft nachgeben. Ich lächle etwas ehrlicher und warte. Name, Adresse, Versicherung... na also geht doch. Und dann das befreiende: "Nehmen Sie draußen Platz, wir rufen Sie auf". Den Spruch sollte ich noch öfter hören, meist nach langem intensiven Herbeisehnens. Eines gleich am Rande: Krebs ist vor allem ein Gedulds-Test.
Für das Warten muss man sich deshalb schnellstens eine Strategie zurechtlegen. Da gibt es den Händeringer, den Seufzer, den Herum-Tiger, die die Zwangsbeichter, die MP3-Zucker und die Schutzleser. Zu denen gehöre ich. Man nehme sich ein Buch und vergrabe sich da hinein. Das hat den Vorteil, dass man einerseits nichts von der Panik und der schlechten Stimmung der anderen Patienten mitbekommt, weil man ja liest. Zudem hat es mehr als alle anderen Techniken den VOrteil dass die Zeit schneller vergeht und man mit etwas Glück vergisst, dass im Krankenhaus auch ein vermeintlich exakter Termin wie 14:40 h keineswegs exakt ist. Alles ist relativ und Zeit ist dehnbar. Wer immer das physikalisch nachgewiesen hat, er hat vermutlich in einem Krankenhaus-Wartebereich begonnen. Ok, vermutlich ist auch um 16:50 irgendwo auf der Welt gerade 14:40, aber irgendwie bin ich beim Termin vereinbaren von MEZ ausgegangen und hab gedacht, dass man bei einer avisierten Behandlungsdauer von einer Stunde mit zwei Stunden auskommt... Wie naiv.
Als ich endlich drankam, fragte ich mich, warum ich so ungeduldig auf den Befund gewartet habe. Der Arzt schaut mich an und seufzt.
Böses Karzinom, alles kein Spaß... Großes Programm inkl. Chemo und drumherum, Biopsie, anschließende Untersuchungen meiner Organe, wie die mich durch die bevorstehende Chemo-Rosskur bringen werden und weitere Terminvereinbarungen.
Und schon bin ich wieder draußen, um nochmal "kurz zu warten". Jetzt lese ich nicht, sondern überlege. Die Maschine nimmt Fahrt auf, ich bin beeindruckt. Sprachlos sogar und das ist selten. Ok. das wird jetzt aufwändiger, also rufe ich meine Chefs an und vereinbare einen Termin, damit wir mal über meine Einsatzmöglichkeiten in näherer Zukunft sprechen können, meine Mandantentermine etc.
Mittelkurz später, die Ultraschallbilder sind in der Akte, sitze ich nochmals beim Arzt, der sich mit mir über ein paar grundsätzliche Dinge unterhalten will. Die Info-Übung vom Wochenende hat sich rentiert, denn nun prasseln Fragen auf einen ein, was echt beängstigend ist:
Wie stehen Sie zu ihrer Brust?
Soll Ihre Brust erhalten werden?
Und wenn ja, wie? Silikon?
Wollen Sie noch Kinder haben?
Legen Sie Wert darauf, dass Ihre Eierstöcke geschützt werden?)
Soll man vor der Chemo Eizellen entnehmen um eine in vitro-Befruchtung (künstlich) vornehmen zu können?
Meine Lieblingsantwort, war trotz allem: "ÄH".
Also frage ich lieber mal zurück. Auch das ist wichtig. Sich vorher zurechtlegen, was man wissen will. Auch da hilft es zu lesen, zu recherchieren, weil einem da die besten Fragen einfallen. Mir jedenfalls.
Und die vielen Aussagen, auf meine Fragen sind widersprüchlich
Sie können auch während der Chemo normalerweise zumindest eingeschränkt arbeiten
Die Chemo bedeutet, dass Sie auch bei 100% Arbeitszeit nur 50% Leistung bringen
Sie werden definitiv müde und erschöpft sein
Am Haarausfall führt kein Weg vorbei
Ihr Leben wird sich ändern, Sie müssen Vorsorge treffen, Sie müssen neu planen, es wird kein „ex ante“ mehr geben!
Die Nebenwirkungen kriegt man durch Medikamente in den Griff
Es gibt keine verlässlichen Aussagen, bevor wir nicht die Biopsie-Ergebnisse haben
Verwiert und mit schwirrenden Kopf fahr ich heim und setz mich erst mal auf die Terrasse, der jetzt gerade eines fehlt: Meine Katze. Dem Hund ist es zu heiß, die blöde Kröte ist in Spanien groß geworden, wie kann er da vor einem Münchner Sommertag passen?
Ich denke an meinen Kater, mein kleines Totemtier, meine Seelenbürste, die ich jetzt so dringend wie nie zuvor im Leben bräuchte...
Telefoniere mit Tierärzten und Tierheimen, hänge Zettel aus, und suche in der Nachbarschaft.
Nachts kann ich nicht schlafen. Ich muss mein Leben planen, wenn ich es behalten will. Arbeit, Familie, Haushalt, Tiere - alles will organisiert sein, und zwar schnell und präzise, doch mit all den Variablen ist das schwer. Präzise flexibel ist das Wort. Oder eierlegende Wollmilchsau!
Ich weine ein bisschen, wenn keiner hinschaut.

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