Montag, 31. März 2014

Strahlende Zukunft - Krebs und Bestrahlung

Ich staune.
Klinik geht auch organisiert. Termine, die eingehalten werden und die in der Abfolge funktionieren, also in der gewünschten und erforderlichen Reihenfolge... Eigentlich bin ich beeindruckt.

Bestrahlung ist jetzt wieder ein vollkommen neue Technik und ich finde das wie immer spannend. Medizin ist schon was Cooles. Hier habe ich übrigens online eine gute Broschüre gefunden.

Die Technik und das Drumherum... Wenn wir das nur leider nicht immer auf die harte Tour vorgeführt bekämen, wäre alles noch viel toller.

Also es beginnt mit der Bildgebung. Wie im Kino, so auch hier erfolgt das neuerdings in 3-D. Die behandelnde Ärztin fachsimpelt eloquent und mit dem Liebreiz einer leiernden Schallplatte. Ein anachronistischer Gedanke, denn wir sitzen in einem High Tech-Labor, das jeden Nasa-Hollywood-Streifen als Kulisse dienen könnten. Egal. Ich höre brav zu und versuche zu folgen. Bringt nix, sie könnte auch serbokroatisch sprechen.
Also hebe ich die Hand.
Sie stockt, blinzelt, lächelt. Mein Ruf eilt mir wohl voraus.
"Ja bitte?" Dann schaut sie auf die Uhr, die über uns an der Wand hängt - Mahnmal der Vergänglichkeit.
"Frau Doktor", ich folge demonstrativ ihrem Blick, "kürzen wir das hier ab. Meine Zeit ist noch viel knapper bemessen als ihre..."
Oder vielleicht auch nicht. Meine Uhr tickt nur lauter.
"... so wie Sie mir das erklären, mag das in Fachbüchern stehen. Aber ich höre das zum ersten Mal und verstehe kein Wort. Kleiden Sie es in einfache Worte oder lassen wir es ganz. So lerne ich nichts und komme mir noch obendrein dumm dabei vor. Und deprimiert sinken meine Heilungschancen."
Sie blinzelt wieder, zögert, grinst dann.
Es wird wärmer im Labor.

Diese 3-D-Bildgebung entsteht durch Schichtaufnahmen im CRT (Computerresonanztomograph) oder MRT (Magnetresonanztomograph). Dabei errechnet der Computer dann ein 3-D-Bild von dem Tumor und seiner Umgebung und stellt es auf dem Bildschirm dar.

Dann wird es komplizierter. Maßgeblich sind die Konturen des Tumorvolumens und seine räumlichen Koordinaten (also wo der Drecksack sich in mir herumtreibt...). Und davon abhängig wird dann die Solldosis errechnet und auch, wie viel Strahlung das gesunde Nachbargewebe verträgt. Das zeigt, dass leider diese Bestrahlung dann doch nicht halb so harmlos ist, wie sie tut, aber egal.

Anhand dieser Parameter errechnet der Computer dann, die optimale Strahlendosis für jeden einzelnen Punkt im Tumor und ermittelt die günstigsten Einstrahlrichtungen des Therapiestrahls.

Das führt den hochbeeindruckenden "Dreidimensionale Computerunterstützte Strahlentherapie-Planung“. Also wenn der Tumor nur ein bisschen Stolz hat, verkrümelt er sich allein bei diesem Klang.
Nun, bei mir kann er sich gar nicht mehr verkrümeln, weil er ja schon weg ist und diese ganze Bestrahlerei nur gemacht wird, damit sich da nicht doch noch nach Chemo und OP ein paar freche Al Qaida Zellen irgendwo versteckt haben und dann, aggressiv wie sie nun einmal sind, wieder Ärger machen.

Das entscheidende Ergebnis, der Tod einer Zelle, wird durch die Zerstörung ihres Erbguts (DNA) erreicht. Dann teilt sich die Zelle nicht mehr und stirbt. Der Tumor wächst nicht mehr weiter. Der Therapiestrahl muss den Erbfaden jeder einzelnen Krebszelle irreparabel auseinander schlagen. Das gelingt nicht immer beim ersten Mal, daher sind mehrere aufeinander folgende Bestrahlungen notwendig, wobei die einzelne Bestrahlung nur wenige Minuten dauert. Ich erhalte relativ umfassende Bestrahlung, einerseits weil ich das bisherige gut genug vertragen habe, um noch ein wenig weiter belastet zu werden, und andererseits, weil ich eben so einen unfassbar aggressiven Tumortyp mein eigen nenne. Hurra!!

30 Bestrahlungen an 30 Werktagen. Bestrahlungsdauer ca. 5 Minuten. Gesamtaufwand etwa 20 Minuten.

Ich nicke. Ich hatte ja bereits einen günstigen Termin erkämpft. Schwierig trotzdem. Wir haben mit internationalen Mandaten oft sehr frühe Telefonkonferenzen, das wird mein Chef unter Garantie wieder zum Thema machen. Aber gut, ich beginne auch schon mir vorab Gedanken zu machen. Über die Brücke gehe ich, wenn es soweit ist.
Das ist übrigens etwas, was ich vom Krebs gelernt habe. Eins nach dem anderen. Mach Dir keine Sorgen über Dinge, die noch nicht aktuell sind. Erstens lenkt Dich das von den Problemen ab, die aktuell zu lösen sind (oder vielleicht auch von einer verdienten Erholungspause). Zweitens kommt das Problem, dann doch nie (!) so wie wir es uns vorgestellt haben, weshalb die Zeit auch noch vergeudet war. Und Drittens kann man auch nicht laufen, wenn man beide Füße gleichzeitig hebt, sondern fällt auf die Schnauze.

Dann als nächstes wird man für die Bestrahlung markiert. Man wird zu einer lebenden Zielscheibe. Knallig bunt auf Tesafilm werden da Kreise, Kringel, Strichellinien und Kürzel aufgezeichnet und mir auf den Körper gepappt.
Angeblich halten die Klebestreifen auch die normale Körperpflege aus. Ich bade gern, doch das soll ich eh nicht. Hallo? Ich bade gern! Ich brauch das als Anti-Stress-Droge. Was meinen Sie, wieso ich hier so bestrahlbar bin? Weil ich den Stress handeln kann. Das Baden steht nicht zur Debatte.
Wir übernehmen keine Garantie dafür, dass die Streifen dann die ganzen 30 Behandlungstage halten.
Aber von einem Mal Baden passiert nichts?
Nein. Auch von ein paar Mal nicht. Aber 30 Werktage werden lang...
Ich seufze. Ist das denn echt so schwer, mal aus dem Trampelpfad zu kommen? Dann zeichnen sie halt evtl. verblassende Markierungen nach oder erneuern sich lösende Streifen...
Ja, das ginge.
Ich seufze dieses Mal hörbar. Na also!
Das beschreibe ich nicht, weil ich demonstrieren will, wie ich mich doch toll durchsetze - sondern weil es sich tatsächlich lohnt, nachzufragen. In kleinen Dingen, die einem persönlich wichtig sind, ebenso in großen Dingen, denn auch hier wird einfach viel zu oft im Klinikbetrieb nach Checkliste mit wenig bis keinem Verständnis für die individuellen Besonderheiten des einzelnen Patienten vorgegangen. Ein Arzt hat viele Fälle. Ihr aber habt nur dieses eine Leben und daher ist es eben Eure Aufgabe, es zu gestalten. Lasst Euch das nicht nehmen, denn so wichtig wie Ihr es nehmt, wird es sonst keiner tun.

Als ich kurz darauf sehe, wie beklebt ich wirklich werde, verliere ich dann allerdings doch die Fassung. Im Auto bei meinem Mann. Unveräußerliche Restwürde verbietet, sich hier vor den Ärzten aufzuregen. Ich bin kunterbunt bis unters Kinn beklebt, was mich etwas wundert, weil ich doch eigentlich an der Brust meinen Tumor hatte. Jedenfalls schaut das im Büro jedenfalls übel nach 30 Werktagen im Rollkragenpullover aus, wenn man sich nicht weiterhin neugierigen Blicken stellen will, die mein Chef unter Garantie wieder als persönlichen Affront gegen sein Geschäft verstehen würde, wenn ich hier mit meiner Krankheit die Mandanten ablenke.
Nein, Rolli muss sein.
Welche Freude, bei diesen Temperaturen... Frühling hat definitiv auch Nachteile.


Samstag, 22. März 2014

Trauer

Jetzt war ich so mit Gesund werden beschäftigt...
... es ist dann umso deprimierender, wenn man sieht, wie das Unglück anderswo einschlägt.

Mein Bestrahlungsbericht muss warten. Ich mag grad nicht schreiben, dass alles halb so schlimm ist, weil es sich nicht so anfühlt, auch wenn es so ist. Blöd, nicht wahr?

Der Papa einer sehr, sehr lieben Freundin von mir ist gestern Nacht gestorben.
Am Krebs, sollte man sagen.
Wegen des Krebses wäre richtiger.

Vor ein paar Wochen hieß es, er hätte Knochenkrebs. Schlimm.
Gerade für den Patienten, der vor Angst wie gelähmt erschien, nicht einmal mehr lächeln wollte und all seinen Lebensmut gleich an der Türe abgegeben hat.
Dann inmitten all der Angst die frohe Kunde, dass es sich um einen vergleichsweise harmlosen Tumor handele, der leicht therapierbar sei.
Große Freude und hektisches Planen geeigneter Reha-Maßnahmen bei der Familie.
Nur der Patient fühlte sich beharrlich weiterhin schwach.
Also nochmals ein Untersuchungsmarathon, bei dem dann die grässliche Wahrheit ans Licht kam. Die Lunge ist voller Metastasen und dieses Mal keine von der gutmütigen Sorte. Die erforderliche Therapie wird schwierig, weil der Patient eigentlich zu schwach ist.
Himmelhoch jauchzend und dann zu Tode betrübt. Mutter Schwerkraft ist ein Biest. Und die deutsche Sprache auch. "Zu Tode betrübt". Ungefähr genauso wie "zu Tode gesoffen".

Kann man an Hoffnungslosigkeit sterben?
Man sagt, so lang man hofft, lebt man. Stimmt das auch im Umkehrschluss? Dass am Ende der Hoffnung auch das Leben endet? Eine schwierige Frage, die man vermutlich nur individuell in jenen dunklen Stunden der Nacht beantworten kann, wenn man sich mal an all den fest verschlossenen Kisten mit Verdrängtem und Verbotenem vorbei ganz dicht an sich selbst herantraut.
An das, was man selbst in sich sieht.
An das, was man ist und nicht das, was man sein will.
Wertfrei.
Und was passiert, wenn man das dann nicht erträgt?
Stirbt man dann? Muss man dann noch sterben? Oder bleibt nur eine Hülle übrig? Ein Zombie quasi?

Ich finde es besonders traurig, wenn man zu Frühlingsbeginn stirbt, an just jenem Tag, an dem das neue Leben gefeiert wird, sich seinen Weg aus der Winterstarre (oder in diesem Fall, dem Wintermatsch) bricht und Lebens-Freude, die Freude am Leben, zelebriert.
Daher tun mir in diesen Tage auch die Tiere, die tot am Straßenrand liegen,  besonders leid. Wenn man den ganzen langen miesen, dunklen Winter nur dafür überstanden hat, dass man dann von einem blöden Auto erwischt wird...

Mir hat der Krebs vor allem gezeigt, wie wichtig mir das Leben ist, wie dankbar ich bin (oder jedenfalls sein sollte, wenn ich mal dran denke), dass ich morgens die Vögel singen höre und die Sonne aufgehen und die neuen Knospen an meiner Orchidee am Fenster...
Dass ich mich freue, wenn ich meinem Pferd zusehe, wie es glücklich nach dem Winter das frisch ergrünte Gras nascht...
Aber darüber freue ich mich nur, weil das Leben endlich ist. Weil es jederzeit vorbei sein kann und zwar womöglich auch deutlich vor dem Tod. Weil es auch so unsäglich hässlich sein kann. So elend und erbärmlich. Weil wir Menschen es uns oft gegenseitig so grässlich machen, ohne auch nur einen rechten Grund dafür benennen zu können.
Dann bin ich dankbar, weil ich gelernt habe, das so zu sehen.

Aber zurück zum Vater meiner Freundin, der vielleicht angesichts dessen, was dieses Leben noch so für ihn bereit hielt, einfach losgelassen hat. Ein verstörender Gedanke. Etwas so Wesentliches wie das Leben loszulassen, ist ein so großer Akt, so voller Würde neben all der in ihr innewohnenden Verzweiflung, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll.
Ich habe wie ein Löwe um mein Leben gekämpft und im Moment zumindest sieht es aus, als hätte ich gewonnen. Es ist nur ein Etappensieg, natürlich. Das Leben ist endlich und der Tod kann warten. Und angesichts dessen, wie lange man tot ist, ist es wurst, wie lange man lebt.
Aber es ist trotzdem tröstlich, dass er es nun auch muss.
Hätte ich die Kraft, loszulassen, wenn das Bleiben mir nichts mehr zu bieten hat?
Hätte ich die Kraft, mich mit einem Lächeln auf den Lippen, für das Schöne, das war, zu verabschieden?
Ich weiß es nicht.

Ich habe geweint. Auch aus Angst, weil ich nicht bereit gewesen wäre. Weil mir meine Freundin in ihrem Schmerz so leid tut. Weil ich gerne bei ihr wäre und sie ein paar hundert Kilometer weg wohnt. Und weil ich den alten Herrn wirklich mochte.
Darf man um einen solchen Menschen trauern? Was hat er verloren? Was hat er verpasst?
Ist die Trauer dann nicht Ausdruck der eigenen Verlustangst?
Oder vielmehr unserer eigenen Angst vor diesem auch uns unausweichlich bevorstehenden Schritt?
Darf man aus Egoismus weinen?
Natürlich, denn es löscht den Schmerz, schließt die Lücke, die gerissen wird. Auch wenn vielleicht eine Narbe bleibt und der Schmerz auch, allerdings mit einer bittersüßen Note. Und es ist tröstlich, dass es die guten Zeiten, die schönen Erinnerungen sind, die uns diese Lücke so vergegenwärtigen. Dass Trauer der Preis für das Gehabte ist, das notwendig endlich ist.
Also pflegt die Lücke.
In unserem Leben. Nicht in dem des Reisenden. Der macht sich auf zu neuen Horizonten, neuen Aufgaben oder glücklichem Vergessen. Wer weiß.

Niemand weiß es, egal wie viel oder wenig wir glauben und vermuten. Es bleibt ein Sprung in unbekannte Wasser.
Aber ich bewundere diese stillen Helden, die dann loslassen und ich wünsche ihnen allen, dass sie dort, wohin sie uns voraus gegangen sind, jenen Frieden finden, den wir uns alle erhoffen.

Mittwoch, 19. März 2014

Frühling - Die Tage vor der Krebs.Bestrahlung

Morgenglanz der Ewigkeit - Pollux TS (www.piqs.de)
Das war ja klar!
Frühling ist nicht nur Sonnenschein. Frühling ist Aprilwetter und da ist nun mal alles drin. Wir haben zwar noch März, aber das stört das Wetter so wenig wie mein Leben.

Nachdem das Wochenende stürmisch aber sonnig so überaus siegreich gelaufen ist, mit der Leipziger Buchmesse und am Sonntag dann intensiven Reiteinheiten und ein paar normalen Stunden mit meinem Mann... befinde ich mich im Höhenflug. Ihr ahnt nicht, wie toll der Frühlingswald riecht.

Doch Mutter Schwerkraft ist ein Biest! Und was für eins. Natürlich, ich muss kein Physiker sein, um das zu wissen.

Die Buchmesse in Leipzig hat mir die Grenzen aufgezeigt. Ich bin halt nicht gesund und selbst die Gesunden werden in Leipzig krank.
Richtig krank bin ich nicht, nur über die Maßen erschöpft. Fix und alle. Selbst schuld.
Unvernünftig aber das war es wert.

Ich mag jetzt in einem Krebs-Blog nicht über das Abenteuer Leipziger Buchmesse sprechen, obwohl ich es sollte, denn ein paar richtig gute Tage zeigen, dass eben nicht alles schlimm ist, dass eigentlich gar nichts schlimm ist, es sei denn, man lässt es schlimm sein.
Ich habe gefühlte 1.000 nette Leute getroffen. Mit gefühlten 500 netten Autorenkollegen gesprochen, gelacht und Kaffee getrunken. Ich habe wunderbare Bücher gesehen und gehört und es war wirklich nett und wenn am kommenden Dienstag mein neues Buch, der "Vampire Beginners Guide" erscheint, dann bin ich jedenfalls gut vorbereitet. Ich hoffe so sehr, dass die Geschichte Anklang findet. Das ist eine willkommene Ablenkung aus dem Einerlei der Krebs- und Jobs-Routine. Auf dem Heimweg hat es geregnet und wir haben einen tollen Regenbogen gesehen. Das ist ein gutes Omen und ich hoffe sehr, dass das mein Buch betrifft. Meine Gesundheit mag ich nicht an so was hängen.
Das Leben geht weiter. Es geht immer weiter - und gerade wenn man so die eigene Sterblichkeit vor Augen hat, ist das eigentlich unsäglich aufbauend. Also habe ich nach der Messe brav am Sonntag weiter am Guide gearbeitet. Nachdem das Lektorat durch ist, muss ich mich noch um ein Vollcover kümmern (für die Printausgabe, also mit Rücken und Rückseite) und die Titelei und die Schmutzseiten... Öder Technikkram, der wenig Spaß macht. Allein das Ausformulieren eines Klappentextes ist schwierig.
So weit so gut. 

Auch in der Arbeit bin ich auch schwer eingespannt. Kaum beschwert man sich, schon bekommt man Arbeit (wir wollen uns doch nicht nachsagen lassen, dass wir einen Krüppel mobben).
Aber ausschließlich in nicht abrechenbare Projekte. Hurra!
All die Peinlichkeiten rund um die OP vergessen wir einfach. Der Mantel des Schweigens ist blickdicht. Die Höflichkeit gespielt. Aber die Fassade verleiht Sicherheit, man kann sich an ihr entlang tasten.
Ansonsten darf mein Job nicht so wichtig sein.
Ich will diesen Menschen keine Macht über mich geben.
Nicht noch mehr, als sie allein aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten eh schon haben.
Stolz muss man sich leisten können, hab ich gesagt, aber ganz ehrlich - eine Hornhaut hilft!

Nein, ich will mich nicht beklagen. Ich mache jetzt nach einer Monster-Chemo mit hochdosierten Taxan und einer OP noch diese Bestrahlung und in Anbetracht der Diagnose und der Therapie geht es mir blendend. Es ist eben alles relativ. Selbst mein Geschmackssinn mag mich wieder und prompt nehme ich auch wieder etwas zu.

Leipzig lässt grüßen. Am Montag Abend macht sich eine Erkältung bemerkbar.
Saisonal angepasst. Nichts dramatisches. Laufende Nase, etwas Niesen, leichte Schmerzen in der Blase – aber knapp vor der Bestrahlung ist das grässlich.

Meine Leuko-Werte sind mit 10,2 (statt max 10) auch über der Norm und so habe ich dann nach Schwachsinnsaufgaben für irgendwelche Marketingprojekte, die in der Kanzlei ohnehin nicht umgesetzt werden, meinen Feierabend statt auf dem Krimifest und beim Reiten daheim im Erkältungsbad verbracht.

Egal. Morgen muss ich erst mal zur Voruntersuchung der Bestrahlung. Das wird wieder Hightech und so was finde ich immer spannend. Da kann ich dann ausführlich berichten. Ich hab heut schon gegoogelt und wenn ich weiß, ob das stimmt, dann poste ich wie immer die Links.

Dann heißt es hoffen, dass ich rechtzeitig genug gesund bin, um mich nächste Woche zum letzten Mal krank machen zu lassen.

Welch ein Spaß!
101:18

Sonntag, 9. März 2014

Neue Abenteuer - Krebs und Bestrahlung

Unter unserem Himmel - Nistro01 (www.piqs.de)
Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer und weil der Krebs nun mal ein schlechter Verlierer ist, geht es in die nächste Runde.

Sprich für die Vorgespräche zur Bestrahlung, die ungefähr drei bis vier Wochen nach der OP beginnen soll. Mit anderen Worten nächste oder übernächste Woche.

Also kann ich die entsprechenden Vorbereitungsgespräche mit Verwaltung und Bestrahler gleich führen. Zusammen mit den Abschlussuntersuchungen, das wäre doch mal so richtig effizient. Theoretisch.

So wie die Frühlingssonne scheint, fühlt sich das richtig an. Strahlen sind gut. Naja, nicht ganz so schlimm.
Hmhm.
Irgendwie ist so allmählich bei mir die Luft raus. Die Chemo hab ich wie eine epische Schlacht durchgefochten und die OP mehr oder minder humorig als unvermeidliches Nachgeplänkel überstanden. Aber jetzt?
Ich bin irgendwie unentschlossen und weiß nicht recht, was ich von der neuen Situation halten soll. 
Die Chemo ist tatsächlich vorbei. Die OP habe ich auch hinter mir. Angesichts dessen, was die Chemo von einem abverlangt, gibt es eigentlich keinen Grund, sich vor einer harmlosen Bestrahlung zu fürchten.
Andererseits natürlich haben sie das bei der OP auch gesagt, dass die ein harmloser Routine-Eingriff sei - und das war sie nun jedenfalls nach allseitigem Verständnis nicht.
Ich grinse beim Gedanken an die Assistenzärztin. "Das war zwischendrin ganz schön tricky", hat sie gesagt und auch wenn ich das nicht beurteilen kann, weil ich ja nicht dabei war - also jedenfalls nicht bewusst (haha), will ich da nicht widersprechen. Ich hab verdächtige Blutspritzer an meinen Füßen gefunden, die auch bei mir anatomisch Mainstream relativ weit von meiner Brust angebracht sind. 
Zudem ist es natürlich so, dass die Chemo nicht spurlos an mir vorübergegangen ist und daher die Einschätzung relativiert werden muss. Harmlos für Normalos, oder?
Wieder andererseits geht es bergauf. 
Ich hab die Chemo gut durchgestanden und das werde ich jetzt bei dem nächsten Abschnitt nicht ändern... Krebs sieh dich vor!
Auf dem Weg zur Bestrahlungs-Beratung habe ich saisonal absolut unpassend Hitzewallungen - oder vielleicht auch passend. Frühling und so. 
Immerhin friere ich nicht. Draußen schnieselt es, ob das ein Zeichen ist? Der Winter ist ein genauso schlechter Verlierer wie der Krebs. Aber er wird verlieren. Wie der Krebs. 
Das Gespräch läuft anders als erwartet. Bisher hieß es immer, diese Bestrahlung sei vollkommen harmlos, eine reine Routine. Schon allein deshalb, weil sich mein Tumor mehr oder minder aufgelöst habe, sei das nicht mehr als eine Präventivmaßnahme. 
Lächerlich.
Nun, heute klingt es anders. Die Litanei der Nebenwirkungen will und will kein Ende nehmen und allmählich werde ich nervös. Kreislaufversagen, Herzstillstand, Lungenembolie, Schock, Verbrennungen...
Moment. Verbrennungen?
"Ja. Für den Fall, dass ein technischer Defekt während der Bestrahlung auftritt?"
"Ah... Aber werden die Geräte nicht vorher geprüft, regelmäßig gewartet und so?"
Das schon, aber man kann da nicht restlos sicher sein."
Ich nicke. 
"Äh... Wie wahrscheinlich ist das denn? In Prozent?"
"Hm... Etwa 1: 1.000.000"
Ich stutze. In solchen Situationen hoffe ich immer ehrlich, dass Kurt Felix mit der versteckten Kamera hereinstürmt und mich auslacht und mir in diesem Schockmoment einen Wisch unter die Nase hält, mit dem ich für etwas mediale Aufmerksamkeit meine Würde verkaufe und mich zur Erbauung der Nation bundesweit als Depp vorführen lasse. 
Aber leider kommt Kurt Felix nicht. Das tut er nie. 
Und das ist kein Grund zur Freude. 
Denn was sagt das über die Situation aus, in der wir zwei, die Ärztin mit der dicken Brille und ich, jetzt befinden?
Irrsinn des Alltags.
Hat die dumme Nuss mich jetzt gefühlte 2 Stunden in Angst und Schrecken versetzt, indem sie mir mit eulenernster Miene von Pannen erzählt hat, die nur statistisch vorkommen? 
Wie kann man denn einem ohnehin schon nervlich völlig überforderten Menschen das antun, nur damit man dann fein raus ist, wenn es doch passiert? 
Wenn die so überhaupt kein Risiko eingehen wollen, warum arbeiten sie dann nicht als .... Ich weiß gar nicht... als Autobahnmautvigniettenverkäufer?
Wie soll ich solchen Menschen vertrauen, die selbst so gar nicht an ihre Arbeit glauben?
Andererseits - Vertrauen im Klinikbetrieb funktioniert mehr nach dem Stockholm-Syndrom. Man fühlt sich dort als fühlender und denkender Mensch so derart einsam zwischen den ganzen Checklisten-Robotern und DIN-Vorschriftszombies, dass man gar nicht anders kann, als jedem nicht völlig unhöflichen Weißkittel quasi sein Vertrauen hinterherzutragen und aufzudrängen, wenn man in seinem Elend nicht völlig allein sein will. 
Tumortheraupeutisch ist das einerlei. Ganzheitlich betrachtet ist der Schaden enorm. Das ist die eigentlich größte Belastung - dieses Gefühl der Ohnmacht. Das dort nicht ein Mensch ist, der in mir einen Menschen sieht. 
Ganzheitlich. 
Nicht nur einen wandernden Tumor oder ein Fleischgebilde, an dem man jetzt rumschnippselt, oder das man in eine Maschine stopft.
Ich würde gerne lachen, oder weinen. Oder beides. Ich weiß nicht. Das ist typisch für Klinik-Patienten.
Also schüttele ich nur mit dem Kopf.
Meine eulengleiche Ärztin blinzelt hinter ihren schutzschilddicken Brillengläsern und runzelt irritiert die Stirn: "Sie schauen so skeptisch?"
"Ja... Ich war gerade abgelenkt. 1:1.000.000? Das heißt dann, es passiert sicher."
"Nein... Das heißt, dass in 1 Million Fälle nur einmal das passiert..."
Nein, das heißt, dass Frau Dr. Eule, von den erfolgreichsten Büchern des letzten Jahrzehnts keine Ahnung hat und deshalb Therry Pratchetts geniale These zur Beeinflussung der Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht kennt, wonach 1:1.000.000-Chancen sich immer realisieren werden.
Egal.
Wie nennt man das Gefühl, wenn einem die Wirklichkeit einfach entgleitet? 
De-Realisation? Grässlich.
Mit einem Seufzen, das alles Elend dieser Welt umfasst und dem in der Klinik einen Ehrenplatz zuweist, widme ich mich wieder meiner Eule und versuche uns zurück in die Wirklichkeit zu bringen. Fort vom Alltag, aber hin in die Wirklichkeit... Jener Welt, die Wirkung hat.
"Äh... lassen Sie uns jetzt einfach mal in ihrer Auflistung möglicher Komplikationen zurückspulen, bis wir an die Stelle kommen, wo wir den Promillebereich verlassen haben..."

Was soll ich sagen? Am Ende sind also doch nur Muskelverhärtungen und Hautirritationen übrig geblieben. Also doch eine harmlose Behandlung. Wie ich es vermutet habe.
Frühlingssonne draußen. Frühlingsoptimismus drinnen.
Das Gespräch mit der Verwaltung läuft gut. 
Die kennen mich noch von der OP-Vorbesprechung, wo ich unbedingt ein Einzelzimmer wollte.
(Ein Einzelzimmer kann man für Beträge buchen, die nicht höher als die von Hotelzimmern liegen. Ich bin normalerweise nicht so vornehm, aber da ich aufgrund meiner Schlafstörung nachts nicht schlafe, ecke ich in einem Mehrbettzimmer unweigerlich an. Nach Rücksprache mit meinem Mann habe ich mir diesen Luxus geleistet. Es waren ja nur ein paar Tage.)
Nächste Woche geht es los. Täglich.
Ah.
"Kann ich dann bitte entweder einen ganz frühen oder einen ganz späten Termin haben? Ich muss ja nebenbei auch noch arbeiten."
"Nein."
"Doch, muss ich, sonst werde ich obdachlos verhungern. Sie kennen meine Hausbank nicht."
"Haha, sie sind ja lustig. Ich kann Ihnen keinen frühen Termin geben."
"Ach? Wieso nicht?"
Ich finde das gerade übrigens gar nicht lustig.
Der Ton der Verwaltungsfrau wird leiernd. Betonte Langeweile.
"Die frühen Termine bekommen die Mütter, die müssen ja ihre Kinder in die Schule bringen."
Ich blinzle, suche Blickkontakt. "Ist das ihr Ernst."
Eine Verwaltungsaugenbraue geht nach oben. Ja, signalisiert sie stumm.
"Mal abgesehen davon, dass das eine hässliche Diskriminierung der Nicht-Mütter ist, verstehe ich das nicht. Denn der früheste Termin ist um 8:00 h. Da sind die kleinen Blagen ja schon in der Schule. Dann hat die Mutter aber bis sagen wir 12:00 h Zeit, bevor der Spross wieder entlassen wird. Ich hingegen bin ab 9:00 h in der Arbeit und komme da frühestens um 18:00 h wieder raus. Mein Chef wird das nicht akzeptieren, dass ich untertags mal mit An- und Abreise so gut anderthalb Stunden fehle. Täglich!"
"Dazu ist er gesetzlich verpflichtet."
"Ja. Wie das so mit den Gesetzen ist, ist die gelebte Praxis eine andere und ich habe keine Kraft, mit meinen Chefs täglich zu kämpfen, denn darauf läuft es raus. Was spricht dagegen, mir einem frühen Termin zu geben? Oder einen späten?"
"Das ist gegen die Regeln." Sie wirft mir einen gequälten Blick zu. "Lassen Sie sich halt krank schreiben."
Ich seufze. "Nein. Denn ich bin ja nicht krank, sondern in empfohlener Vorsorge-Behandlung. Außerdem bin ich arbeitsfähig. Das mag jetzt übertrieben juristisch klingen, aber wenn wir das endlich mal sauber alle so behandeln würde, ginge es unserem Gesundheitssystem gleich deutlich besser."
Die Verwaltungsfrau ist nun endgültig genervt und lässt mich das spüren.
Doch auch ich bin entschlossen und zeige das. In Körperhaltung und Mimik.
Zwei böse Blicke prallen über dem Tresen aufeinander wie Springböcke beim rituellen Paarungskampf.
Ich bin Aszendent Widder und der setzt sich bei so was immer durch.
Ich gewinne das Blickduell.
"Schauen Sie, da um 8:30 h ist doch eine Lücke..."
"Sie dürfen gar nicht in den Bildschirm schauen. Datenschutz und so."
Ich grinse haifischgleich. "Dann müssen sie den Monitor anders stellen. Datenschutz ist Ihr Thema. Nicht meins. 8:30 h ist frei..."
Jetzt nicht mehr. Das ist jetzt mein Slot für die nächsten gefühlten 1.000 Behandlungen.
Na also, geht doch.
Frühling lässt sein blaues Band... Blau ist die Farbe der Hoffnung. Den Rest des Tages nehme ich mir frei. Details zur Bestrahlung schreibe ich Euch demnächst.