Samstag, 23. November 2013

Mutprobe - Krebs und Öffentlichkeit

Nebelmagie - Rittersporn (www.piqs.de)
Es ist knochenkalt und schnieselt.
Eine Freundin, eine gute Freundin, geht in die Sauna - Wellness im städtischen Bad und frägt in aller Unschuld, ob ich nicht mit will.
Nun ja... Früher bin ich ja auch gern mitgegangen.
Und trotzdem.
Heute falle ich aus allen Wolken.
Sauna???!!! Hallo?! In der Chemo?! Mit ohne Haare? Käsig und kreidig wie ich bin? Und was ist denn mit der Infektionsgefahr?
Meine Freundin meint recht lapidar, sie hätte das gegoogelt. Sauna ist nicht verboten. Außerdem sollte ich irgendwann auch mal wieder raus und zur Zeit sei ich ja wenigstens schlank, nicht wahr?
Das hat man davon, wenn man versucht, aus der Chemo auch was Gutes zu ziehen und das kommuniziert.
Es wird einem sofort vorgehalten und gegen einen verwendet.
Ich hab ja letzte Woche schon gelernt, das Schweigen Vorteile hat.
Also füge ich mich in mein Schicksal, erinnere mich brav daran, dass ich mir vom Krebs mein Leben ja nicht nehmen lassen wollte, und dass mein Leben früher speziell um diese Jahreszeit durchaus regelmäßige Saunagänge beinhaltet hat.
Und so gehe mit in die Sauna.
Das sollte in der Rubrik "Helden des Alltags" mit einer Sonderseite belohnt werden.
Ich bastle mir einen Hauptturban, mit dem ich meine Glatze kaschiere (und sichere ihn mit einem Gummiband). Und dann wage ich mich in die dampfige Höhle...
Tatsächlich fühlt sich Sauna auch mit Chemokörper noch immer sehr angenehm an.
Und Moorbad auch.
Und Whirlpool.
Ruheraum mit gutem Buch geht immer gut.
Wie zur Belohnung fällt mir gleich noch ein, was ich in einer kniffligen Szene in meinem eigenen noch völlig zu Unrecht so unbekannten Meisterwerk schreiben könnte.
(Wer mag kann ja mal meinen anderen Posts im #BlogdurchsBuch auch folgen - es soll dies aber keine Werbung sein...)
Die prüfenden Blicke zu meinem Turban ignoriere ich jedenfalls nonchalant.
Das trägt man jetzt so.
Ich will Euch ja auch nicht verschrecken. Und mir ein bisserl Restwürde bewahren.
Und überhaupt. In den USA ist das gang und gäbe.
Vielleicht schauen aber auch gar nicht so viele, sondern mir kommt es nur so vor.
Denn wenn ich keinen Turban aufhätte, würden die Leute auf meine krummen Füße kucken.
Man ist ja selbst verkrampft.
Krebs passiert zu 99% im Kopf, ganz ehrlich.

Es ist erstaunlich, wie gerade diese alltäglichen Sachen emotional völlig anders sind, wenn man selbst in einer Ausnahmesituation steckt.
Ich fand das im Bad wirklich aufregend und mutig. Aber es ist es wert. Es ist es wirklich wert.
Kämpf dich zurück ins Leben.
Lass dir diese Dinge nicht nehmen.
Nimm trotzdem am Leben teil. Der Tod feilscht nicht, heißt es.
Warum tu ich es dann? Schön blöd!
Also geht in die Bäder und in die Parks und wohin auch immer ihr wollt!
Schämt euch nicht, denn ihr wisst, wenigstens, dass ihr ums Leben kämpft. Sterben werden wir alle. Aber wir wissen das und das macht unser Leben wertvoll.
Wir sitzen bewusst in der Sauna, wir nehmen die Sonne bewusst war.
Wir freuen uns über jede schöne Stunde, weil wir vergegenwärtigen, dass sie gezählt sind!
Das ist ein Schatz, den man unbedingt auch in die genesenen Tage retten muss.
Er allein rechtfertigt die Krankheit.
Das Gegengewicht ist das Bewusste.
Lebt es. Ich tu es.
Amen.
Und morgen gehe ich ausreiten! Wurst wie das Wetter ist.
Das kann man nämlich auch schweigend.
Euch allen ein schönes, selbstbestimmtes, mutiges Wochenende.
72:13

Freitag, 15. November 2013

Fresse halten - Krebs und Nebenwirkungen

Stille - Muschelschupser (www.piqs.de)
Einfach mal die Fresse halten - das ist die Parole dieser Woche.
Hat den einfachen Hintergrund, dass es nach jeder Chemo ein bisserl schwieriger mit den Schleimhäuten wird.

Mein Mund ist diese Woche jedenfalls eine einzige Wunde. Teilweise so schlimm, dass ich nachts davon aufwache, tags vor mich hinsabbere und beim Lachen blute. Die offene Stelle ist so blöd gelegen, dass man sie beim Sprechen unweigerlich reizt und so ist jetzt der Fall eingetreten, den ich als "scheintot" bezeichnen würde. Ich muss die Klappe halten.
Es gibt ja diesen blöden Spruch von Oliver Kalkofe, wonach Frauen auf alle möglichen Weisen über die Zeiten gelitten hätten, aber niemals schweigend.
Nun, es wird Zeit, daran etwas zu ändern.

Schweigend esse ich meine Breichen, Suppen und Nudeln... Dinge, die man lutschen kann, oder vielmehr nicht so intensiv kauen.
Erstaunlicherweise kann man relativ viel essen, und zwar gute Sachen, die nicht so kauintensiv sind.

Ich forsche derzeit intensiv in der asiatischen Küche.
Die ist auch so aromaintensiv, dass man riechend gut fehlende Geschmacksknospen kompensieren kann. Wer hätte es geahnt, was allein die chinesische Küche jenseits dessen bietet, was wir in den Lokalen neben Rindfleisch mit Zwiebeln und Schwein süß-sauer so serviert bekommen. Andererseits ist China ja auch wirklich riesig... In Tibet schmeckt es fast schon indisch, in Sezchuan sehr scharf, in Kanton - und nur dort - isst man so ziemlich alles, auch Hund und Katz. Da gibt es ein Sprichwort im restlichen China: In Kanton frisst man alles mit vier Beinen, außer den Tisch - und das ist nicht sicher!

Schweigend leide ich. Schwellungen unter wunden Stellen sind im Mund echt ätzend, weil sie die offenen Bläschen an die Zähne drücken.
Schweigend tippe ich meinen Arbeitskram runter. Das lenkt wenigstens ab und wenn ich daheim rumsitze, pule ich nur die ganze Zeit mit der Zunge rum um zu prüfen ob es noch weh tut, wo es genau weh tut, wie es weh tut, und wenn ich durch bin - ob es immer noch weh tut. Schön blöd.
Schweigend hör ich meinen Freunden zu.
Schweigend tupfe ich mein Gesabbere weg und beschließe, früh ins Bett zu gehen
(Mit Spucktuch wie ein Säugling *g* - Back to the roots).
Das erklärt dann auch, wieso ich in der Nacht aufwache...

Arrrgh Ursache und Wechselwirkung. Herrje

Was ganz gut hilft, ist Panthenol. Das hilft tatsächlich. Empfehle ich nach umfassender Empirie.
http://www.gesundheit.com/gc_detail_5_huk13_6.html

Es gibt da eine Reihe von Präparaten. Mir waren diese Lutschpastillen am Liebsten. Solange man lutscht, tut es nicht weh und alles beruhigt sich.

Positives Erlebnis dieser Woche:
Schweigen wird irgendwann zur meditativen Übung. Es ist ein Experiment, das man auch in anderen Lebenssituationen mal probieren kann. Erstaunlich wie viel sich klärt, auch wenn man nicht gleich loslegt.
Erstaunlicher noch, wie viel mehr man selbst wahrnimmt, wenn man die Dinge mehr auf sich wirken lässt.
Am erstaunlichsten, dass ich das dann irgendwie sogar unterhaltsam fand.
Und das obwohl man mir aus wohl informierten Kreisen stets versichert hat, dass man mein Mundwerk im Falle eines Falles mal gesondert erschlagen und sicherheitshalber auch getrennt vom Rest beerdigen müsste...
Nein, der langen Rede kurzer Sinn: Auch hier ist weniger manchmal mehr und tatsächlich hat Schweigen durchaus auch eine lehrreichen und informativen Seiten.
Lustig ist auch, wie viel man ausdrücken kann, ohne zu reden.
Und zwar auch, ohne wild gestikulierend, Grimassen schneidend durchs Wohnzimmer zu springen. Ganz normal im Gespräch. Eine fragend gehobene Augenbraue - ein interessiertes Nicken, eine kleine Geste...
Es fällt gar nicht auf, wenn man nicht REDET. Cool (und auch außerhalb medizinisch indizierter Schweigegelübde ein absolut empfehlenswerter Feldversuch).
Noch cooler ist allerdings, dass dieser Spuk nach ein paar Tagen wieder vorbei ist. Der Mundraum heilt sehr schnell ab, die Schwellung geht zurück und ich versuche, trotzdem weniger zu reden.
Die Woche war insgesamt chemo-technisch nicht gut, aber eigentlich nicht so schlimm.
Ich meine, es geht hier um eine Chemo... Taxan in Höchstdosis...
Wenn man sich da über 3.000 Zeichen lang über Bläschen im Mund aufregt, kann es ja nicht so schlimm sein, oder?
70:13
Euch allen ein schönes Wochenende...

Montag, 11. November 2013

Pastell November - Chemo und Krebs

Draußen ist es kalt. Es riecht nach Winter.
Und das passt zu meiner Stimmung.
Die Chemotage sind immer aufregend.
Sie regen mich auf.
So auch heute. Oder eigentlich gestern. Oder ganz genau - von gestern auf heute.
Mit anderen Worten - dieses Mal hab ich so gut wie gar nicht geschlafen vor lauter Aufregung.
Das passt ins Programm.
Ich schlafe nämlich nie, wenn ich mit mir nicht im Reinen bin und deshalb schlafe ich zur Zeit auch nicht.
Vor der Chemo nicht, nachher kaum und im Prinzip an den chemofrei-Tagen auch zu wenig.
Ich schlafe nicht, weil ich Angst davor habe, dann zu träumen.
Erinnert Ihr Euch an Eure Träume?
Ich schon. Und ein paar von ihnen hätte ich viel lieber vergessen.
Dann schlafe ich auch nicht, weil ich mich vor dem Tag fürchte. Denn wenn ich ins Bett gehe, wacht man ja gleich wieder auf. Gefühlt rückt also der Tag näher. Das ist objektiv doof, subjektiv logisch und gesundheitlich jedenfalls bedenklich.

Der Nachmittag beschäftigt mich zur Belohnung mit Knochen- und Muskelschmerzen und Krämpfen.
Wenn man nach innen horcht, erfährt man sehr spannende Dinge. Da kann kein Emmerich-Action-Kracher mithalten!
Da wird gekämpft in mir, jede Zelle ist mobilisiert und teilt das auf ihre eigene unvergleichliche Weise mit.
So nervig das ist, gräme ich mich nicht. Das ist gut, denn den Krebszellen geht es dabei noch schlechter. Schadenfreude ist was Tolles!
Ich bewege mich viel mit einem grenzdebilen Lächeln auf dem Gesicht, entspanne mich, strecke und dehne.
Nein, man wird da nicht süchtig. Es ist nicht angenehm, aber es ist erträglich.
Doch ich bin den ganzen Tag gehetzt, getrieben, finde keine Ruhe - Man soll immer nach vorne schauen.
Obwohl mir der Blick gar nicht gefällt. Die Aussicht, dass ich noch zwei weitere Chemos vor mir habe, heitert mich überhaupt nicht auf.
Ratlos sehe ich also zurück.
Die Tatsache, dass ich schon sechs Chemos hinter mir habe und immer noch stehe - aufrecht und aus eigener Kraft - fühlt sich allerdings irgendwie gut an. Ziemlich gut.
Mir geht es immer noch sehr gut. Ich mache Sport, gehe Arbeiten, habe - auch wenn ich her soviel jammere - doch immer noch viel schönes zu berichten (doch! Das lest Ihr doch auch, ja?)
Gemessen an dem, wie es mir gehen könnte, sogar fantastisch. Es fällt soviel leichter zu mäkeln, statt stolz zu sein. Pfeif auf Bescheidenheit. Ich hab's bisher eigentlich ziemlich gut gemacht.
Stolzer Blick, Brust raus, Bauch rein.
Krebs schärft den Blick für kleine Freuden.
Auch Pastellfarben machen bunt.
Krebs lehrt Demut. Und auch das ist gut.

Also kümmere ich mich um mein Buch und schreibe ein bisschen. NaNo ist auch, diese Massenbewegung unter Autoren, die alljährlich im November 50.000 Worte schreiben wollen. Realitätsflucht.
Warum auch nicht. Schreiben ist besser als saufen.
Gesünder. Unterhaltsamer.
Außerdem schläft man dabei ein.
Das Buch wird gut. Vampire Beginners Guide - zwischendurch als Fingerübung, bevor es mit meinem Herzensprojekt, der #Schwerttanz-Saga wieder weitergeht. Darüber wollte ich auch mal wieder bloggen. So viel schöne Pläne.
Der Gedanke rettet mir meinen Tag.

66:13 

Freitag, 8. November 2013

Schwarzer Freitag - Krebs und Psyche

Dieser Freitag ist so schwarz, dass er gleich für das ganze Wochenende reicht!
Ich will ja eigentlich nicht jammern, aber alles andere wäre gelogen. Wobei es mir nicht einmal körperlich so schlecht geht, sondern vor allen Dingen psychisch. Es ist schlimm, was dieses Chemogift mit dem Gehirn anstellt. Ich kann mir noch so fest einreden, dass ich nicht wirklich so mies drauf bin, dass meine Wahrnehmung verschoben ist und nichts mit der Wahrheit zu tun hat. Deshalb wäre es außerordentlich dämlich, sie zur Wirklichkeit zu erheben.
Trotzdem lässt sich mein Bauch nicht überzeugen. Er fühlt sich einfach schlecht. Mit Grund oder ohne. Das ist ihm schnurzwurst!
Daher ein guter Grund, das jetzt hier zu bloggen, denn vielleicht kommt es über die Tippfingerchen dann doch vom Hirn im Bauch an. Wobei schon der Umstand, dass ich bei dieser Betrachtungsweise unweigerlich früher oder später in der Schizophrenie landen werde, auch nicht gerade ermutigend ist.
Egal, so oder so - der Umgang mit diesen Stimmungstiefs ist echt schwer. Für mich und leider auch für mein Umfeld.
Ein Grund mehr, sich zu verkriechen.
Ich bin am Liebsten daheim, gehe nicht ans Telefon, arbeite und gönne mir zwei Bäder.
Und das trotz wundervollstem Frühlingswetter mitten im emotionalen Winter. April ist das ganze Jahr und November steht nur im Kalender.
Es ist sooo beschämend.
Ich kann mich nicht einmal zu meinem Körper-Krebs-Verwöhn-Programm aufraffen und selbst das Medizin nehmen fällt schwer. Wenn aber jeder noch so kleine Handgriff, ob angenehm oder nicht, so viel Kraft im Vorfeld zieht, wird das echt schwer, den Tag über durchzuhalten. Das kennt ja jeder, dass man morgens beim Aufstehen schon weiß, dass man nicht mag. Dass man betet, so alt zu werden, wie man sich fühlt - oder besser nicht!
Dass selbst Routinen wie das Zähneputzen zu einem Akt heroischer Selbstdisziplin werden. Und dass man vom Nichtstun auch ins Erschöpfungskoma fallen kann.
So, und mit Chemo ist das alles dreifach verstärkt. Super. Positiv daran ist nur, dass ich danach - wenn der ganze Mist vorbei ist - sowas von trainiert sein werde, dass der normale Alltagsfrust keine Chance mehr hat. Abgerechnet wird zum Schluss und meine Stunde kommt noch.

Als wäre die Gegenwart nicht schon düster genug, überschattet zunehmend auch der näherrückende nächste Chemozyklus meine Tage und vor allem die Nächte. Mir graut davor, dass sich das Chemo-Grauen im nächsten Zyklus wiederholt, zumal ich den beruflichen Stress als immer belastender empfinde. Mir werden das einfach zu viele Fronten. Ich verliere den Überblick, kann nicht mehr richtig priorisieren, verliere mich in Kopflosigkeiten und verbrenne meine ohnehin zu geringe Kraft in blindem Aktivismus. Auch das ist nicht zwingend Chemo. Das machen Kollegen und Freunde kaum besser. Nur als Krebspatient kriegt man das mehr mit, man lebt bewusster, analysiert mehr. Und auch das ist gut, denn diese Erkenntnisse kann man auch über den Krebs hinaus verwenden.

Dennoch ist die Situation im Augenblick einfach nur grotesk und mein Mann im Prinzip stocksauer, auch wenn er es nicht zugibt. Meine Beziehung versumpft, und „nett“ in dem Sinne ist mein Mann schon lang nicht mehr, wenn er sich nicht gerade fest vornimmt, es zu sein. Doch auch dann bleibt die innere Distanz und frustriert mich zusätzlich. Die Belastung für mein Umfeld ist spürbar, weil sie zunehmend - in unbeobachteten Momenten, unterschwellig als Folge der Hilflosigkeit und Überforderung - eben auch auf mich projiziert wird und sich damit verstärkt. Eine fiese Spirale, die ich allein nur durchbrechen kann, indem ich nicht übergriffig werde und vampirgleich meine Lieben aussage, ihnen die Kraft stehle. Das ist vielleicht das Schwerste, da man im Spagat zwischen erforderlicher Hilfe und sinnvoller Zurückhaltung auch noch auf die individuelle Leistungsbereitschaft eingehen muss. Tatsächlich sind die meisten Probleme überall dort angesiedelt, wo eine Hilfestellung von Helfer und Geholfenem unterschiedlich bewertet werden. Was für den einen ganz schrecklich ist, macht dem anderen nichts aus - und dabei ist es seltsamerweise völlig egal, wie herum die Diskrepanz besteht. Dass sie besteht, reicht für das Ungleichgewicht. Eigentlich logisch. Wenn die Beine unterschiedlich lang sind, ist es auch unerheblich, ob das linke oder das rechte kürzer ist.

Der Krebs zerfrisst also nicht meinen Körper, sondern in weit größerem Umfang mein Leben. Und ich weiß nicht, wie ich mich wehren soll. Es kommen so viele Probleme dazu, seit ich Krebs habe, mit denen ich nie gerechnet hätte und die so viele Kapazitäten kosten, dass neben Job und Krebs eigentlich für mein eigentliches Leben, für mich nichts übrig bleibt.
Ganz schlimm ist es immer Sonntag Nacht - da kann ich fast gar nicht schlafen, schrecke nachts hoch und fange mitten in der Nacht an zu heulen. Aber ich heule wegen der Kanzlei - wohlgemerkt - und nicht etwa wegen dem Krebs. Wenn ich mit dem Krebsbericht fertig bin, schreibe ich was über meine Büroabenteuer. Das ist Realsatire, eine Mischung aus Stromberg und Kehraus.
Superlustig für Außenstehende, blöd nur, dass ich mittendrin stecke.
Jammern hilft nicht, das mag stimmen, aber manchmal muss es trotzdem sein. Entschuldigung und vielen Dank an alle, die bis hierher geduldig mitgelesen haben.

Mit dieser Erkenntnis werde ich dann den Laptop schließen, meine Tränen trocknen und mein persönliches Mantra aufsagen:
Ich bin nicht krank, ich bin befallen und ich werde mich befreien.

Atemübungen helfen.
Sie beruhigen und irgendwie - fragt nicht warum - hilft es gegen die Depressionen.
Entspannt auf den Rücken legen. Augen schließen und zur Ruhe kommen, nach innen lauschen.
Dann bewusst ruhig ein- und wieder ausatmen.
Ebenso lang ein wie aus.
Ein ewiger Kreis... Es ist erstaunlich, wie einfach Atmung alleine funktioniert, um wieder ins Lot zu kommen. Oder vielleicht auch nicht.
Wenn man bedenkt, wie die Stimmung die Atmung beeinflusst - z.B. wie sie sich vor und nach einer Rede unterscheidet - dann spricht doch nichts dagegen, dass umgekehrt auch die Atmung die Stimmung beeinflusst.
Ich kann es nur empfehlen.
Im schlimmsten Fall hat man sich mit Sauerstoff versorgt.
Mir geht es jedenfalls eine halbe Stunde später wieder besser. Etwas.
Das Wochenende wird ganz toll.
Und auch der Montag kann kommen!

65:13

Sonntag, 3. November 2013

Krebs-Krieger - Krebs durchhalten

Herrje...
Meine Liste der morgendlichen Nebenwirkungskriegschauplatzbekämpfungsstrategien wird täglich länger. Es artet in Arbeit aus. In richtige harte Arbeit. Das muss man so einfach mal festhalten. Die Arbeit am "nebenwirkungsfreien Chemo-Patienten" ist zäh.
Auch heute musste ich erst mal nach innen horchen und sehen, was auf dem Plan steht:
Ave Domine Noctis- Ukitakumuki (www.deviantart.com)

  • Haut eincremen
  • Perücke aufsetzen
  • Fingernägel einölen
  • Bruchstellen tapen
  • Mund ausspülen
  • Bläschen betupfen
  • Augenbrauen aufmalen
  • Lidstrich statt Wimpern
  • Schmerzmittel oder nicht?

Hach ja...
Der Krebs und seine Kinder.
Andererseits ist es gut, denn wenn man das Elend in genügend kleine Schritte zerlegt, kann man es bekämpfen.
Man kann den Krebs nicht abwehren.
Aber man kann ihn zermürben.
Ich hab ja gesagt, dass ich nicht krank, sondern befallen bin und darum befinde ich mich im Krieg gegen den Krebs.
Offenbar in einem Stellungskrieg!

Meine martialische Haltung mag auch an der superstressigen Woche in der Arbeit liegen. Jahresendgeschäft ist bei Rechtsanwältin immer Irrsinn der besonderen Art. Verjährungsfristen und die innere Unruhe der Mandanten, die offenbar alle um jeden Preis diesen oder jenen seit Monaten in ihrer Ablage dümpelnden Fall UNBEDINGT dieses Jahr noch auf den Weg bringen müssen. Egal. Jedenfalls bin ich mit 60 Stunden diese Woche nicht hingekommen. So ein Mist.
Andererseits bin ich dann nicht nur weg von der Straße, sondern eben auch weg von allem Selbstmitleid, weil ich schlicht keine Zeit für solchen Blödsinn habe.

Freitag. Mittagspause.
Während ich diskret eine "Anti-Mundweh-Tablette" lutsche, bei der mein Mund zwar kreidig wird, aber nicht mehr schmerzt, erzählt mir eine Kollegin freudig, dass sie schwanger ist.
Berührt mich. Seltsam. Altersbedingt höre ich solche Geschichten öfter, ohne dass sie mich berühren. Ich wollte nie Kinder. Habe mich der Verantwortung nie gewachsen gefühlt. Egal. Jetzt ist es eh rum um's Eck und plötzlich--- berührt es mich doch. Es ist ein RIESENunterschied, ob man keine Kinder kriegen will oder keine Kinder kriegen kann, weil man ein chemoverseuchtes Totalwrack ist. Seltsamerweise überlagert aber das Können, das Wollen, wobei es doch rational betrachtet umgekehrt sein sollte. Wenn man was nicht will, sollte es egal sein, ob man es haben könnte.
Trotzdem will ich jetzt nicht hinnehmen, dass ich etwas nicht haben kann, auch wenn ich es wollen würde. Das ist abgefahren und krank. Ich weiß jetzt nur nicht, ob das wieder so eine chemotherapeutisch bedingte Reaktion in Form einer Depression ist, eine hormonelle Fehlzündung oder einfach so "bescheuert" ist.
Auf alle Fälle - soviel steht fest - kann man sich an diesen Chemo-Tagen einfach nicht über den Weg trauen.

Ich schreibe das auch nur deshalb so ausführlich, damit etwaige Leidensgenossen sehen, dass sie nicht verrückt werden, sondern dass das "von außen" kommt.
Wer sich selbst hinterfragt, steuert da ganz gut durch. Es ist anstrengend und es ist zäh und es geht nicht immer ohne Anecken, auch an den eigenen Kanten - aber es geht.
Und nur das zählt.
Eine Krebstherapie ist nicht lustig. Es ist ein Krieg, der manchmal schmutzig ist und ohne Verluste nicht zu gewinnen ist.
Blöd nur, dass der eigene Körper das Schlachtfeld ist.
Andererseits - abgerechnet wird zum Schluss...

63:12