Montag, 31. März 2014

Strahlende Zukunft - Krebs und Bestrahlung

Ich staune.
Klinik geht auch organisiert. Termine, die eingehalten werden und die in der Abfolge funktionieren, also in der gewünschten und erforderlichen Reihenfolge... Eigentlich bin ich beeindruckt.

Bestrahlung ist jetzt wieder ein vollkommen neue Technik und ich finde das wie immer spannend. Medizin ist schon was Cooles. Hier habe ich übrigens online eine gute Broschüre gefunden.

Die Technik und das Drumherum... Wenn wir das nur leider nicht immer auf die harte Tour vorgeführt bekämen, wäre alles noch viel toller.

Also es beginnt mit der Bildgebung. Wie im Kino, so auch hier erfolgt das neuerdings in 3-D. Die behandelnde Ärztin fachsimpelt eloquent und mit dem Liebreiz einer leiernden Schallplatte. Ein anachronistischer Gedanke, denn wir sitzen in einem High Tech-Labor, das jeden Nasa-Hollywood-Streifen als Kulisse dienen könnten. Egal. Ich höre brav zu und versuche zu folgen. Bringt nix, sie könnte auch serbokroatisch sprechen.
Also hebe ich die Hand.
Sie stockt, blinzelt, lächelt. Mein Ruf eilt mir wohl voraus.
"Ja bitte?" Dann schaut sie auf die Uhr, die über uns an der Wand hängt - Mahnmal der Vergänglichkeit.
"Frau Doktor", ich folge demonstrativ ihrem Blick, "kürzen wir das hier ab. Meine Zeit ist noch viel knapper bemessen als ihre..."
Oder vielleicht auch nicht. Meine Uhr tickt nur lauter.
"... so wie Sie mir das erklären, mag das in Fachbüchern stehen. Aber ich höre das zum ersten Mal und verstehe kein Wort. Kleiden Sie es in einfache Worte oder lassen wir es ganz. So lerne ich nichts und komme mir noch obendrein dumm dabei vor. Und deprimiert sinken meine Heilungschancen."
Sie blinzelt wieder, zögert, grinst dann.
Es wird wärmer im Labor.

Diese 3-D-Bildgebung entsteht durch Schichtaufnahmen im CRT (Computerresonanztomograph) oder MRT (Magnetresonanztomograph). Dabei errechnet der Computer dann ein 3-D-Bild von dem Tumor und seiner Umgebung und stellt es auf dem Bildschirm dar.

Dann wird es komplizierter. Maßgeblich sind die Konturen des Tumorvolumens und seine räumlichen Koordinaten (also wo der Drecksack sich in mir herumtreibt...). Und davon abhängig wird dann die Solldosis errechnet und auch, wie viel Strahlung das gesunde Nachbargewebe verträgt. Das zeigt, dass leider diese Bestrahlung dann doch nicht halb so harmlos ist, wie sie tut, aber egal.

Anhand dieser Parameter errechnet der Computer dann, die optimale Strahlendosis für jeden einzelnen Punkt im Tumor und ermittelt die günstigsten Einstrahlrichtungen des Therapiestrahls.

Das führt den hochbeeindruckenden "Dreidimensionale Computerunterstützte Strahlentherapie-Planung“. Also wenn der Tumor nur ein bisschen Stolz hat, verkrümelt er sich allein bei diesem Klang.
Nun, bei mir kann er sich gar nicht mehr verkrümeln, weil er ja schon weg ist und diese ganze Bestrahlerei nur gemacht wird, damit sich da nicht doch noch nach Chemo und OP ein paar freche Al Qaida Zellen irgendwo versteckt haben und dann, aggressiv wie sie nun einmal sind, wieder Ärger machen.

Das entscheidende Ergebnis, der Tod einer Zelle, wird durch die Zerstörung ihres Erbguts (DNA) erreicht. Dann teilt sich die Zelle nicht mehr und stirbt. Der Tumor wächst nicht mehr weiter. Der Therapiestrahl muss den Erbfaden jeder einzelnen Krebszelle irreparabel auseinander schlagen. Das gelingt nicht immer beim ersten Mal, daher sind mehrere aufeinander folgende Bestrahlungen notwendig, wobei die einzelne Bestrahlung nur wenige Minuten dauert. Ich erhalte relativ umfassende Bestrahlung, einerseits weil ich das bisherige gut genug vertragen habe, um noch ein wenig weiter belastet zu werden, und andererseits, weil ich eben so einen unfassbar aggressiven Tumortyp mein eigen nenne. Hurra!!

30 Bestrahlungen an 30 Werktagen. Bestrahlungsdauer ca. 5 Minuten. Gesamtaufwand etwa 20 Minuten.

Ich nicke. Ich hatte ja bereits einen günstigen Termin erkämpft. Schwierig trotzdem. Wir haben mit internationalen Mandaten oft sehr frühe Telefonkonferenzen, das wird mein Chef unter Garantie wieder zum Thema machen. Aber gut, ich beginne auch schon mir vorab Gedanken zu machen. Über die Brücke gehe ich, wenn es soweit ist.
Das ist übrigens etwas, was ich vom Krebs gelernt habe. Eins nach dem anderen. Mach Dir keine Sorgen über Dinge, die noch nicht aktuell sind. Erstens lenkt Dich das von den Problemen ab, die aktuell zu lösen sind (oder vielleicht auch von einer verdienten Erholungspause). Zweitens kommt das Problem, dann doch nie (!) so wie wir es uns vorgestellt haben, weshalb die Zeit auch noch vergeudet war. Und Drittens kann man auch nicht laufen, wenn man beide Füße gleichzeitig hebt, sondern fällt auf die Schnauze.

Dann als nächstes wird man für die Bestrahlung markiert. Man wird zu einer lebenden Zielscheibe. Knallig bunt auf Tesafilm werden da Kreise, Kringel, Strichellinien und Kürzel aufgezeichnet und mir auf den Körper gepappt.
Angeblich halten die Klebestreifen auch die normale Körperpflege aus. Ich bade gern, doch das soll ich eh nicht. Hallo? Ich bade gern! Ich brauch das als Anti-Stress-Droge. Was meinen Sie, wieso ich hier so bestrahlbar bin? Weil ich den Stress handeln kann. Das Baden steht nicht zur Debatte.
Wir übernehmen keine Garantie dafür, dass die Streifen dann die ganzen 30 Behandlungstage halten.
Aber von einem Mal Baden passiert nichts?
Nein. Auch von ein paar Mal nicht. Aber 30 Werktage werden lang...
Ich seufze. Ist das denn echt so schwer, mal aus dem Trampelpfad zu kommen? Dann zeichnen sie halt evtl. verblassende Markierungen nach oder erneuern sich lösende Streifen...
Ja, das ginge.
Ich seufze dieses Mal hörbar. Na also!
Das beschreibe ich nicht, weil ich demonstrieren will, wie ich mich doch toll durchsetze - sondern weil es sich tatsächlich lohnt, nachzufragen. In kleinen Dingen, die einem persönlich wichtig sind, ebenso in großen Dingen, denn auch hier wird einfach viel zu oft im Klinikbetrieb nach Checkliste mit wenig bis keinem Verständnis für die individuellen Besonderheiten des einzelnen Patienten vorgegangen. Ein Arzt hat viele Fälle. Ihr aber habt nur dieses eine Leben und daher ist es eben Eure Aufgabe, es zu gestalten. Lasst Euch das nicht nehmen, denn so wichtig wie Ihr es nehmt, wird es sonst keiner tun.

Als ich kurz darauf sehe, wie beklebt ich wirklich werde, verliere ich dann allerdings doch die Fassung. Im Auto bei meinem Mann. Unveräußerliche Restwürde verbietet, sich hier vor den Ärzten aufzuregen. Ich bin kunterbunt bis unters Kinn beklebt, was mich etwas wundert, weil ich doch eigentlich an der Brust meinen Tumor hatte. Jedenfalls schaut das im Büro jedenfalls übel nach 30 Werktagen im Rollkragenpullover aus, wenn man sich nicht weiterhin neugierigen Blicken stellen will, die mein Chef unter Garantie wieder als persönlichen Affront gegen sein Geschäft verstehen würde, wenn ich hier mit meiner Krankheit die Mandanten ablenke.
Nein, Rolli muss sein.
Welche Freude, bei diesen Temperaturen... Frühling hat definitiv auch Nachteile.


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