Samstag, 22. März 2014

Trauer

Jetzt war ich so mit Gesund werden beschäftigt...
... es ist dann umso deprimierender, wenn man sieht, wie das Unglück anderswo einschlägt.

Mein Bestrahlungsbericht muss warten. Ich mag grad nicht schreiben, dass alles halb so schlimm ist, weil es sich nicht so anfühlt, auch wenn es so ist. Blöd, nicht wahr?

Der Papa einer sehr, sehr lieben Freundin von mir ist gestern Nacht gestorben.
Am Krebs, sollte man sagen.
Wegen des Krebses wäre richtiger.

Vor ein paar Wochen hieß es, er hätte Knochenkrebs. Schlimm.
Gerade für den Patienten, der vor Angst wie gelähmt erschien, nicht einmal mehr lächeln wollte und all seinen Lebensmut gleich an der Türe abgegeben hat.
Dann inmitten all der Angst die frohe Kunde, dass es sich um einen vergleichsweise harmlosen Tumor handele, der leicht therapierbar sei.
Große Freude und hektisches Planen geeigneter Reha-Maßnahmen bei der Familie.
Nur der Patient fühlte sich beharrlich weiterhin schwach.
Also nochmals ein Untersuchungsmarathon, bei dem dann die grässliche Wahrheit ans Licht kam. Die Lunge ist voller Metastasen und dieses Mal keine von der gutmütigen Sorte. Die erforderliche Therapie wird schwierig, weil der Patient eigentlich zu schwach ist.
Himmelhoch jauchzend und dann zu Tode betrübt. Mutter Schwerkraft ist ein Biest. Und die deutsche Sprache auch. "Zu Tode betrübt". Ungefähr genauso wie "zu Tode gesoffen".

Kann man an Hoffnungslosigkeit sterben?
Man sagt, so lang man hofft, lebt man. Stimmt das auch im Umkehrschluss? Dass am Ende der Hoffnung auch das Leben endet? Eine schwierige Frage, die man vermutlich nur individuell in jenen dunklen Stunden der Nacht beantworten kann, wenn man sich mal an all den fest verschlossenen Kisten mit Verdrängtem und Verbotenem vorbei ganz dicht an sich selbst herantraut.
An das, was man selbst in sich sieht.
An das, was man ist und nicht das, was man sein will.
Wertfrei.
Und was passiert, wenn man das dann nicht erträgt?
Stirbt man dann? Muss man dann noch sterben? Oder bleibt nur eine Hülle übrig? Ein Zombie quasi?

Ich finde es besonders traurig, wenn man zu Frühlingsbeginn stirbt, an just jenem Tag, an dem das neue Leben gefeiert wird, sich seinen Weg aus der Winterstarre (oder in diesem Fall, dem Wintermatsch) bricht und Lebens-Freude, die Freude am Leben, zelebriert.
Daher tun mir in diesen Tage auch die Tiere, die tot am Straßenrand liegen,  besonders leid. Wenn man den ganzen langen miesen, dunklen Winter nur dafür überstanden hat, dass man dann von einem blöden Auto erwischt wird...

Mir hat der Krebs vor allem gezeigt, wie wichtig mir das Leben ist, wie dankbar ich bin (oder jedenfalls sein sollte, wenn ich mal dran denke), dass ich morgens die Vögel singen höre und die Sonne aufgehen und die neuen Knospen an meiner Orchidee am Fenster...
Dass ich mich freue, wenn ich meinem Pferd zusehe, wie es glücklich nach dem Winter das frisch ergrünte Gras nascht...
Aber darüber freue ich mich nur, weil das Leben endlich ist. Weil es jederzeit vorbei sein kann und zwar womöglich auch deutlich vor dem Tod. Weil es auch so unsäglich hässlich sein kann. So elend und erbärmlich. Weil wir Menschen es uns oft gegenseitig so grässlich machen, ohne auch nur einen rechten Grund dafür benennen zu können.
Dann bin ich dankbar, weil ich gelernt habe, das so zu sehen.

Aber zurück zum Vater meiner Freundin, der vielleicht angesichts dessen, was dieses Leben noch so für ihn bereit hielt, einfach losgelassen hat. Ein verstörender Gedanke. Etwas so Wesentliches wie das Leben loszulassen, ist ein so großer Akt, so voller Würde neben all der in ihr innewohnenden Verzweiflung, dass ich nicht weiß, was ich davon halten soll.
Ich habe wie ein Löwe um mein Leben gekämpft und im Moment zumindest sieht es aus, als hätte ich gewonnen. Es ist nur ein Etappensieg, natürlich. Das Leben ist endlich und der Tod kann warten. Und angesichts dessen, wie lange man tot ist, ist es wurst, wie lange man lebt.
Aber es ist trotzdem tröstlich, dass er es nun auch muss.
Hätte ich die Kraft, loszulassen, wenn das Bleiben mir nichts mehr zu bieten hat?
Hätte ich die Kraft, mich mit einem Lächeln auf den Lippen, für das Schöne, das war, zu verabschieden?
Ich weiß es nicht.

Ich habe geweint. Auch aus Angst, weil ich nicht bereit gewesen wäre. Weil mir meine Freundin in ihrem Schmerz so leid tut. Weil ich gerne bei ihr wäre und sie ein paar hundert Kilometer weg wohnt. Und weil ich den alten Herrn wirklich mochte.
Darf man um einen solchen Menschen trauern? Was hat er verloren? Was hat er verpasst?
Ist die Trauer dann nicht Ausdruck der eigenen Verlustangst?
Oder vielmehr unserer eigenen Angst vor diesem auch uns unausweichlich bevorstehenden Schritt?
Darf man aus Egoismus weinen?
Natürlich, denn es löscht den Schmerz, schließt die Lücke, die gerissen wird. Auch wenn vielleicht eine Narbe bleibt und der Schmerz auch, allerdings mit einer bittersüßen Note. Und es ist tröstlich, dass es die guten Zeiten, die schönen Erinnerungen sind, die uns diese Lücke so vergegenwärtigen. Dass Trauer der Preis für das Gehabte ist, das notwendig endlich ist.
Also pflegt die Lücke.
In unserem Leben. Nicht in dem des Reisenden. Der macht sich auf zu neuen Horizonten, neuen Aufgaben oder glücklichem Vergessen. Wer weiß.

Niemand weiß es, egal wie viel oder wenig wir glauben und vermuten. Es bleibt ein Sprung in unbekannte Wasser.
Aber ich bewundere diese stillen Helden, die dann loslassen und ich wünsche ihnen allen, dass sie dort, wohin sie uns voraus gegangen sind, jenen Frieden finden, den wir uns alle erhoffen.

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