Mittwoch, 19. Juni 2013

Bin ich Sondermüll?



Heute war sie also, die Besprechung der ich mit Ungeduld entgegen gefiebert habe, mit Panik näher kommen sah und mit mir bisher unbekanntem Fatalismus über mich ergehen ließ. Die Therapiebesprechung.

Der Termin war extrem anstrengend.
Erst die Anfahrt mit Zwischenstopp in der Arbeit, ich kam mir vor wie auf dem Weg zu einem Femegericht, von dem man vorher weiß, dass es mit einem Todesurteil enden wird. Mein Mann sagt, ich neige zur Theatralik, aber das ist nichts Neues, das tat ich auch schon unter günstigeren Vorzeichen, im Guten wie im Schlechten.

Wirklich mies ist dann die endlose Warterei im Krankenhaus und dabei der Anblick der auschwitzverdächtigen Krebspatientinnen mit „ohne“ oder „fast ohne“ Haare...
Es ist mir peinlich, aber das Haarthema ist echt ein Riesenpunkt, das hätte ich früher als Außenstehende nie geglaubt. Irgendwas in mir wehrt sich so hochhysterisch gegen den Haarverlust, ich kann es rational überhaupt nicht begründen - ändert aber nichts daran, dass es wirklich heftig ist und wenn man bei Tante Google mal so nachfragt, ist das auch kein Einzelschicksal. Das tröstet mich ein bisschen.

Also, halten wir fest: Haare verlieren ist SCHLIMM. Man muss sich da nicht schämen, wenn das einen beschäftigt. Man ist nicht albern und die Gefühle haben vielleicht keine Begründung, sicher aber eine Berechtigung.

Nachdem das nun also geklärt ist, muss ich mich mit einer Strategie befassen, die mir einen Umgang mit dem Problem, den Emotionen und dem Unabänderlichen ermöglicht. Wieder ein Punkt auf meiner To-Do-Liste.

Aber wo war ich stehen geblieben? Ah ja, im Krankenhaus, beim Therapiegespräch.
Das Gespräch selbst verläuft gemischt, wobei der Arzt sich wirklich Zeit nimmt, was gerade in einer großen Uni-Klinik keine Selbstverständlichkeit ist. Positiv ist zudem, dass mein Krebs so therapeutisch "gut" ist, wie ein böser G3-Tumor mit Lymphbefall es überhaupt sein kann. Positiv ist weiterhin, dass ich Sport machen kann und soll.

Negativ ist, dass ich definitiv meine Haare verlieren werde, dass ich mit heftigen Reaktionen in Bezug auf Fieber und Übelkeit zu rechnen habe und dass ich schlussendlich wegen der Zerstörung meines Knochenmarks „Null Abwehrkräfte“ haben werde.
Die Nebenbemerkung, dass man bei einer Chemo eher zu- als abnimmt, deprimiert mich dann vollends.

Streng ermahne ich mich, keine Energie auf Nebenkriegsschauplätzen zu vergeuden und ein paar Pfunde mehr sollten gerade mein geringstes Problem sein.

Insgesamt ist es so, dass die Chemo meinen Körper radikal umbauen wird, dass schnell teilende Zellen "platt gemacht" werden und mein Knochenmark "zerschossen". Im Internet finden sich Hinweise, dass eine Chemo 10 Lebensjahre Fitness kosten, dass die Stoffe bis zu 5 Jahre im Körper bleiben, andere Quellen sprechen nur von 3 Jahren, aber das reicht mir auch und ratlos stehe ich vor dem Spiegel: Bin ich jetzt Sondermüll?
Zuhause angekommen, setze ich eine Mail auf, mit der ich meine Kollegen von meiner Krankheit informiere und in Bezug auf die zu erwartenden Änderungen in den Abläufen um Verständnis bitte. Das hatte ich mit den Chefs so besprochen, damit es da zu keinen Irritationen kommt.

Ich bastle den halben Abend an der Mail, bin dann aber ganz zufrieden. "Unverhofft kommt oft und nicht immer ist es etwas Positives. Bei mir wurde ein bösartiger Brusttumor festgestellt, ..."

Dann schicke ich die Mail ab und bin erleichtert und irgendwie aufgeregt. Dadurch, dass ich mich "oute", bin ich irgendwie "kränker" als vorher. Aber irgendwie eben auch nicht mehr nur Opfer, sondern auch Kämpfer. Das fühlt sich gut an. 
 
Das will ich beibehalten.

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