Dienstag, 11. Juni 2013

Heldenmut und Kriegserklärungen

Am Abend hatte ich ein Gespräch mit meiner Cousine, die Dermatologin ist und viel mit Hautkrebs zu tun hat, über die aktuelle medizinische Situation, die derzeit verfolgten Möglichkeiten und vor allem schuldmedizinische Grenzen.
Wenn man sich ansieht, wie viele Fehler in der Medizin - und vor allem in der Forschung - gemacht werden, bewahrheitet sich wieder der alte Spruch, dass man nur den Statistiken glauben darf, die man selbst gefälscht hat. Ich bin nur leider mathematisch zu doof, um irgendeine Statistik richtig zu lesen, geschweige denn zu fälschen.
Ich fühle mich verwirrt, überfordert von den hundert Millionen Fachbegriffen, die ich nie zuvor gehört habe - und auch nie hätte hören wollen. Es ist ja nun einmal so, dass der Nicht-Mediziner so was nur am eigenen Leib lernt, also das Lehrgeld mit Blut und Tränen bezahlt. Nein, ich muss nicht alles wissen!
Andererseits - wenn ich an der Blut- und Tränenfront voll dabei bin, dann will ich verdammt wenigstens auch das Wissen dazu! Ich wollte den Krebs nicht, aber ich will auch kein Opferlamm sein, dass sich durch die Chemo-Maschine drehen lässt.
Das ist ein Thema, das mich zu den Studien bringt. Das Für und Wider zur Teilnahme an Studien wird im Netz heiß diskutiert. Wer kein Opferlamm sein will, will vermutlich auch kein Versuchskaninchen. Die Therapie ist gefährlich genug, selbst wenn die Ärzte schon Erfahrung haben, und ich weiß nicht, ob mein Körper auch noch "Versuche" aushält.
Für Studien allerdings spricht, ist der Umstand, dass ich dann diesen Krebs nicht UMSONST habe. Für Studien spricht, dass nur durch sie der Kampf gewonnen werden kann. Für Studien spricht, dass neue Methoden neben Risiken auch die Chance bietet, besser zu sein! Und ganz egoistisch ist es so, dass man im Rahmen von Studien besser überwacht wird, als wenn man im Normal-Strom mitschwimmt.
Fazit: Ich bin für JEDE in Betracht kommende Studie zu haben.
Wunderbare Gedanken, bei denen ich mich hilfreich und edel fühle. Etwas Heldenmut habe ich mir vielleicht auch verdient. Immerhin werde ich von einem bösartigen Tumor, mit hoher Streuungswahrscheinlichkeit, extrem agressiven Wachstum und weiteren hässlichen Attributen besetzt.
Außerdem hält mich das Studiengegrübel davon ab, über die Chemo nachzudenken.
Ich will diese Chemo nicht machen, aber andererseits will ich unbedingt gegen den Krebs gewinnen. Die Ärzte (Freunde wie Beauftragte im Krankenhaus) lassen mir keine Wahl, die alle sind sich absolut sicher, dass eine Chemo sein muss, speziell bei diesem Krebs.
Nachdem also das "ob" entschieden ist, stellt sich die Frage nach dem "wie":
Stationär, Ambulant, Fusion oder Oral?
Hier schien es mir bei allen Lernwillen sinnlos, zu verstehen, warum dann und dann diese oder jene Chemo gewählt wird. Das ist zu komplex für mich. Gute Informationen habe ich aber über diesen Link erhalten:
http://www.brustkrebs-info.de/patienten-info/index.php?id=6.3.2&stat=&substat=open
Am Ende läuft es darauf hinaus, dass die mir auferlegte Chemo als Fusion verabreicht wird (Oral scheinen nur die harmloseren verabreicht zu werden). Unklar ist noch, ob es sechs oder acht Zyklen à 3 Wochen werden, mit verschiedenen Medikamenten, deren genaue Zusammensetzung noch von diversen Tests abhängt, die im Vorfeld gemacht werden müssen. Ich kann das ambulant machen, wenn ich es vertrage.
Das nächste Thema sind dann die Nebenkriegsschauplätze: Dass ich bei den in Betracht kommenden Chemotherapien meine Haare verlieren werde, ist für alle Mediziner keine Frage. Leider geben sie mir die falsche Antwort. Ich hätte nicht gedacht, dass man an seiner Wolle so hängen kann, aber man tut es und es tröstet einen ÜBERHAUPT nicht, wenn man dann hört, dass sie wieder nachwachsen. Sagen wir es wie ist: KEINER ist bereit, sich solidarisch das Haupt zu scheren.
Allerdings hilft es auch nichts, zu jammern. Also kann man nur dieser Hürde pro-aktiv begegnen und sich frühzeitig über Perücken informieren. Und zwar in einem Laden, in dem man sich wohlfühlt. Ich habe in München in der Löwenhofpassage in der Innenstadt eine wunderbare Verkäuferin gefunden, die mir wirklich und wahrhaftig die Angst vor der Perücke genommen hat, aber dazu komme ich noch. Probleme wird es auch mit den Fingernägeln und den Zähnen geben. Ernährung ist ein weiteres Thema, das für viele zum Problem wird.
Ich bin entsetzt, was da alles an Kleinkram auf mich zu kommt. Aber ok, da hilft jetzt nur vorwärts durch. Vorwärts durch, das klingt so mutig, aber das ist es nicht. Das fühlt sich an, wie wenn man beim Autofahren im Nebel Gas gibt, damit man schneller durchkommt. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.
Eigentlich ist es ein schöner Sommerabend mit gutem Essen. Das gebe ich nicht auf! Niemals.
Wo ist eigentlich die dumme Katze? Die andere fehlt heute abend auch. Toll, wenn man die Leisetreter einmal zum Kuscheln braucht. Also liege ich allein wach im Bett und grüble, entwickle ausgeklügelte Pläne, wie ich in mein Geschäfts- und Privatleben nun noch das klinische Leben reinquetsche, was ich aufgeben kann, ohne das mir wirklich „was fehlt“? Allmählich erkenne ich, dass Krebs krank vor allem eines heißt: "Freiwillig gebe ich keinen Meter auf".
Ich muss mir nur noch eine Verteidigungsstrategie überlegen. Langsam reift in mir folgende Erkenntnis: Ich bin nicht krank, ich bin befallen! Und weilich das so nicht akzeptiere, befinde ich mich ab heute im Krieg. Im Krieg gegen Krebs.
Und morgen werde ich mir meine Verbündeten suchen, meine Waffen wählen, meine Wälle aufrüsten und die Mauern verstärken. So einem Krustentier werde ich doch ernsthaft nicht weichen!
Von soviel Heldenmut erschöpft bin ich dann wohl eingeschlafen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen