Ich habe natürlich immer gewusst, dass sich eines Tages mal mein Leben ändern würde. Wie selbstverständlich bin ich davon ausgegangen, dass es eine Wendung zum Besseren sei und irgendwie hätte ich mir dabei auch mehr "Drama" gewünscht. Aber mein altes Leben endete am Küchentisch meiner Freundin, die ich in Peking besucht habe. Vollständig, vorwarnungslos und endgültig.
Gerade saß ich noch fröhlich am Tisch und machte mich über den riesigen amerikanischen Wasserspender lustig, dann lehnte ich mich nach vorn und bemerkte beim über die Tischkante-Schrappen einen komischen Knoten in meiner Brust.
Im Nachhinein klingt es seltsam, aber ich habe sofort gewusst, dass das Ärger bedeutet. Donald Duck hätte da jetzt sein berühmtes "Oh Oh" ausgestoßen. Ich war so geschockt dass ich erst einmal nichts gesagt habe, zu niemanden.
Meine Freundin Julia und ich haben dann noch mit unseren Männern nett Pasta gekocht - italienische Pasta mit Wasser aus dem Ami-Wasserspender in einer Küche in Peking - und dann bin ich ins Bett gegangen. Später dann habe ich unauffällig meine Brust abgetastet und da oberhalb der linken Brust schon fast bei der Achsel einen hässlichen, gut mozartkugelgroßen Knubbel festgestellt.
Und dann lag ich wach und habe überlegt, was das jetzt für mein Leben zu bedeuten hat. Warum ich, eine recht erfolgreiche Rechtsanwältin Mitte 30, ohne nennenswerte Laster, als ehemalige Hochleistungssportlerin mit einem netten Mann, einem schönen Haus, lustigen Tieren und gelegentlichen Jammeritis-Anfällen jetzt im Urlaub nicht schlafen kann und mich vor einem albernen Wulst in meiner Brust fürchte.
Okay, keine Hektik. Lieber der Angst begegnen als mit ihr leben. Ich setzte mich also brav an mein Laptop und googelte mal fröhlich los. "Geschwür - Brust - Knoten".
Gefühlte 3 Mio. Ergebnisse prasselten auf mich ein. Vor allem jede Menge Krebs-Infos. Okay, okay - keine Panik. Wenn ich rauchen würde, würde ich mir jetzt erst mal eine Kippe anzünden, aber da ich nicht rauche - nie geraucht habe, muss ich mir auch keine Sorge haben, weil jeder weiß, dass es die Raucher sind, die Krebs kriegen.
Also noch einmal von vorn gesucht, der moderne Mensch informiert sich - Geschwür lassen wir weg, das klingt so negativ, da muss selbst Google depressiv werden.
Die eigentliche Gefahr besteht, das zeigte sich schon in dieser Nacht, dass es zuviel Information gibt, viel zu viel Meinung und man das dahinter verborgene Wissen nur schwer qualifzieren kann. Es ist erschreckend, wie viele unseriöse Seiten es gibt. Aber das soll einen nicht vom Lesen abhalten, denn es gibt auch gute.
Ich habe mich zunächst unter
http://www.krebsinformation.de/themen/risiken/gutartige-brustveraenderungen.php
informiert. Das hat alles gestimmt.
Mit dem beruhigenden Hinweis, dass nur jeder 5. Knoten Krebs ist, sollte man sich eigentlich entspannen. Eigentlich. Andererseits sind es natürlich 20%, die Pech haben. Und ich gehöre oft zu Minderheiten. Nein, ich entspannte mich überhaupt nicht. Ich wusste irgendwie, dass ich eine 5. war, dass meine Mozartkugel über dem Herzen ein Krebsgeschwür war.
Mein Mann, dem ich das gesagt habe, hat mich ausgelacht. Wir haben dann die Info nochmals gemeinsam gelesen und uns auf eine Zyste geeinigt. Oder besser noch auf ein Fibroadenom. Da haben wir auch eine gute Seite dazu gefunden, mit guten und anschaulichen Erklärungen von kompetenter Seite.
http://www.brustkrebs-info.de/patienten-info/index.php?datei=patienten-info/brusterkrankungen/fibroadenom.htm
Also haben wir es dabei belassen. Auch wenn ich wusste, dass es KEIN Fibroadenom ist. Aber das Gefühl dabei war seltsam. Noch nie hatte ich so unentschlossen zwischen Kopf und Bauch, zwischen Hoffen und Bangen hin- und hergependelt. Aber was soll man in Peking jetzt auch groß ausrichten. Und da hab ich neben ein paar sehr spannenden neuen schwierigen Vokabeln auch gleich meine erste lebenswichtige Lektion vom Krebs erteilt bekommen:
Du lebst in der Gegenwart. Lass Dir das weder von der Vergangenheit noch der Zukunft nehmen.