Donnerstag, 4. Juli 2013

LeibGericht (Krebs und Arbeit)

Der Dienstag beginnt damit, dass ich zu Gericht muss.

Das ist, sollte man meinen, bei einem Anwalt nicht ungewöhnlich, aber da wir in erster Linie in der Beratung tätig sind, eben doch eher die Ausnahme.

Zudem handelt es sich um einen Sammeltermin vor dem Arbeitsgericht. Das heißt, dass gefühlte hundert Rechtssachen gleichzeitig geladen und dann der Reihe nach abgearbeitet werden. Fließband-Jura - der hässliche Runzelarsch des Rechtsstaats.
Das System hat den Vorteil, dass man nach einer ersten Eröterung mit dem Gericht, sich in Ruhe zwischen den Parteien nochmals draußen vor der Tür besprechen und ggf. außergerichtlich einigen kann, während das Gericht in der Zwischenzeit die nächste Sache behandelt - ABER es hat den Mega-Nachteil, dass bei der Methode ewige Wartereien unvermeidlich sind.
Soweit so unerfreulich.
Zudem handelt es sich um einen recht nervigen Fall, aber das ist ein Sonderthema, das in diesem Blog nichts verloren hat. Vielleicht liegt es auch an meiner schlechten Laune, dass ich so genervt bin.
Wichtiger ist, dass ich in dieser Woche mein Immuntief habe.
Also Blutkörperchen im Minusbereich und damit akute Infektionsgefahr und keine Abwehrkräfte... Jede Grippe bedeutet u.U. Intensivstation, was mir schon Sorge macht, zumal unser Münchner Wetter wie üblich Kapriolen schlägt und sich morgens nicht festlegen mag, in welcher Jahreszeit der Abend endet.

Alles in allem triftige Gründe, dass ein anderer Kollege diesen Gerichtstermin wahrnimmt. Blöd nur, dass meine Kollegin, die mich sonst vertritt, selbst einen Auswärtstermin hat und mein direkter Chef im Urlaub ist. Bleibt noch aus dem Team ein weiterer Kollege, den ich höflich bitte.
Der weigert sich mit dem Hinweis, dass er a) genug zu tun hat (nicht, dass wir nebenan alle untertags unsere Nägel maniküren würden...) und b) diese Warterei noch nicht einmal vergütet wird.
Okay, notgedrungen frage ich beim Oberchef nach, ob nicht doch angesichts des Umstandes, dass so ein Termin in einem überfüllten, überhitzten Gerichtssaal sicherlich nicht das ist, was ein Todkranker tun sollte, wenn die Ärzte schon öffentliche Verkehrsmittel nachdrücklich verbieten.
Der Chef fragt höflich an, bekommt aber keine andere Nachricht und hat dann nicht den Nerv, dass er befiehlt, was freiwillig nicht getan wird. Ich fühle mich ein wenig verraten und im Stich gelassen und auf dieses fröhlich-verlogene "Sie schaffen das. Toi toi toi" stelle ich fest, dass selbst ein friedfertiger Mensch wie ich sich in Gewaltphantasien hineinträumen kann, die eindeutig FSK 18+ hätten.
Aber okay, da der Mandant schon gar nichts dazu kann, gehe halt dann doch ich.
Immerhin kann mein Mann mich zum Gericht mitnehmen, was mir immerhin die U-Bahn-Fahrt erspart.
Dabei wird deutlich, wie sehr ich meinen Holden mit meinem Leben belaste.
Immerhin verläuft der Prozess erfreulich gut.

Am Abend gebe ich beim Reiten meiner Freundin Unterricht, bin aber nicht so recht bei der Sache. Zuviel geht mir im Kopf herum.
Irgendwie klappt das alles nicht, mit meinem neuen Leben.
Ich arbeite wie ein Depp, beuge mich immer wieder fremden Sachzwängen und breche dafür meine Vorsätze.
Warum kann ich nichts von dem umsetzen, was ich mir vorgenommen habe?
Zudem habe ich Hunger und fresse den ganzen Tag über wie ein Schwein, alles was bei 3 nicht auf dem Baum ist.
Das ist auch ein Chemo-Nebeneffekt. Mein Körper schreit nach Nahrung. Nach Energie.

Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht auf der Straße einen Dackel reiße ("Ihr Hund ist ja zum Anbeißen...“) Ich sollte mir einen Salzstreuer in die Handtasche packen.

Aber alles in allem ist der Tag nicht schlecht verlaufen. Die Probleme, die ich habe, haben jedenfalls nichts mit dem Krebs zu tun, sondern mit mir. Der Krebs macht es nur offensichtlich... Aber das darf ich ihm nicht vorwerfen.

Heute ist unentschieden.

7,5:1,5

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