Sonntag, 21. Juli 2013

Drahtseilakte... Krebs und Partnerschaft

Das Wochenende ist achterbahnmäßig.
Voller Höhen und Tiefen und mit aufgeregtem Magen zwischen Schreien und Lachen.
Mit anderen Worten - das Wochenende vor der Chemo am Montag ist immer seltsam, und das Leben mit der Perücke auch.

Ich denke, alle gaffen mich an, aber das stimmt nicht.
Ich denke, alle sehen, dass ich "anders" bin, aber das stimmt auch nicht.
Ein paar Büschel Haare ändern einen Menschen nicht, es ist allein die Annahme, dass sie es könnten... Es ist halt eher so, dass wahr das ist, was man glaubt. Lass Deine Ängste nicht zur Wirklichkeit werden - zu dem, was wirkt - denn sie sind nicht wahr!

Eine Freundin ist über eine Anzeige von einem Pferd gestolpert, das ich mir mal ansehen sollte. Sie sucht nach einem Neuen und ich überlege auch, mir nach dem Tod meines Rentners noch einmal eins zu kaufen. Oder sollte ich sagen, ich überlegte? Gegenwärtig ist es doch eher verwegen, sich zusätzliche Verantwortung aufzuladen, solange ich nicht weiß, was mit mir sein wird.

Na gut, dann testen wir das Vieh eben für meine Freundin.
Das Ross steht am anderen Ende der Stadt - oder noch ein bisschen weiter draußen. Man hört schon fast den Randwasserfall rauschen.
Entsprechend schwierig ist die Suche, trotz Navi nähern wir uns unserem Ziel, indem wir es spiralförmig einkreisen... aber am Ende klappt's.
Wir treffen ein nettes Pferd, einen hübschen Lusitano und der Verwandte eines anderen Pferdes, das ich früher mal geritten bin.
Ich habe sogar die Gelegenheit, mal ein paar zircensische Lektionen zu reiten, was mit meinen Turnierpferden nicht geht.
Allerdings sind wir umsonst hingefahren, weil die Eigentümerin es nun doch nicht verkaufen will.
Ich bin genervt, weil das hätte sie nun wirklich am Telefon sagen können, dann hätte ich mir den Weg gespart.
Auf dem Heimweg bin ich dann nicht nur körperlich, sondern auch seelisch „fertig".

So ist es dieser Tage immer:
Man lebt intensiver, wie mit Polfilter vor der Seele.
Alles was traurig macht, macht eben trauriger.
Leider klappt es andersrum nicht so oft.
Am Abend sitze ich müde auf der Terrasse und warte auf die Glühwürmchen, die sich heute mal verspäten - blöde Viecher.

Mein Mann setzt sich dazu und über Belanglosigkeiten, kommen wir zu seinen Sorgen.
Er spricht an, wie sehr ihn belastet, dass er mir nicht helfen kann.
Er formuliert es anders, aber das ist es, was er sagen will.

https://www.ueberleben-mit-brustkrebs.de/mein-leben/umgang-mit-angehoerigen/article-internet-als-informationsquelle---wo-und-wie-informieren-sich-angehoerige-und-freunde-21190.html?articleListURL=%2Fmein-leben%2Fumgang-mit-angehoerigen%2Findex.html%3F

Der Egoismus, den ich gerade entwickle, ist gut und notwendig unter therapeutischen Aspekten, weil ja objektiv wirklich viel auf mich einstürmt, aber...
hmhmhm ...
Davor waren wir eben ein Team und ich hab auch ihm viel abgenommen, was ich jetzt von hier auf jetzt nicht mehr tue.
Damit fällt dem anderen eine Stütze aus, die er irgendwie gebraucht hat.
Also muss der andere sich umorientieren - was er natürlich einsieht und gerne tut - denn nunmehr bekommt er keine Hilfe, sondern soll Hilfe geben. Und alle Freunde fragen natürlich, wie es mir geht, wie sie mir helfen können... Doch auch sein Leben hat sich geändert - doch auf ihn nimmt keiner Rücksicht, er muss nicht nur auf mich verzichten, sondern zudem auch meine Probleme mit lösen, mir helfen, mich zu all den Arztterminen fahren, meine Stimmungsschwankungen ertragen.
Und gerade wenn ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, kennt er mich gut genug, dass er doch sieht, dass es anders ist - und dann weiß er schon nicht, wie er sich verhalten soll. Soll er auf meine Oberflächenlaune eingehen oder auf meine Tiefenstimmung?
Ich weiß es selbst nicht!

Er soll mir helfen. Er will mir helfen? Wie kann er mir helfen?

Ich bin jedenfalls trotz aller Betroffenheit froh, dass er mit mir mal auch über sich gesprochen hat, weil ich jetzt doch vieles an seinem "seltsamen" Verhalten besser verstehe. Ich würde ihm auch gern helfen, aber ich weiß auch nicht wie.

Saublöde Situation. Jetzt sind wir unser halbes Leben zusammen und eiern miteinander rum, als wären wir zwei Teenies... Ich muss lachen. Dieser Aspekt ist irgendwie putzig. So kann man sich neu kennen lernen.
Nachts drücke ich mal wieder vor dem Insbettgehen und überlege, um was es geht:

Wir haben so viele Probleme auf verschiedenen Ebenen zu bewältigen
  • funktional (denn der Alltag muss ja irgendwie weitergehen)
  • physisch (die Nebenwirkungen der Chemo)
  • sozial (das Verhalten von Familie, Freunden, Bekannten, der Eiertanz zwischen Wissen und Erwartung)
  • psychisch (Angst, dass ich den blöden Krebs nicht besiege; Sorge, dass sich selbst im Siegfall alles ändert)
  • seelisch (irgendwann muss ich das, was ich so erlebe ja auch noch verarbeiten. Na, dafür habe ich den Blog hier)

Ich überlege noch ein bisschen weiter und bin auf einmal angenehm müde. Nach soviel Selbsterkenntnis war das dann doch kein ganz schlechter Tag - vorausgesetzt, ich setze meine Weisheiten irgendwie um...
Mit so

guten Vorsätzen schlafe ich ein.
16 : 5

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