Samstag, 6. Juli 2013

Blutarmer Geburtstag (Krebs und Feiern)

Der Kanzleitag heute ist sehr angenehm, denn ich muss auf eine Feier. Ein Mandant von uns betreibt einen Kindergarten und der hat heute Sommerfest.
Ich finde mich mit Stadthonoratioren beim Kuchenessen umringt von Kindern und lasse mich für meine Erfolge feiern.
Sollte toll sein.
Ist es aber nicht.
Mir wird gerade bewusst, dass ich wohl keine Kinder mehr bekommen werde. Und das ist komisch. Also nein, es ist natürlich nicht komisch, denn wegen der Chemo sollte man erheblich Pause machen, bevor man schwanger wird, weil das Risiko mit geschädigtem Zellen zu "arbeiten", zu groß ist. Und danach bin ich grenzwertig alt. Ich will ja nicht wie die Oma wirken, wenn man die Blagen vom Kindergarten abholt.
Kindergarten richtig...
Süß sind sie ja schon die Kleinen und sooo aufgeregt. Ich wollte ja eigentlich nie Kinder haben. Aber es ist was anderes, wenn ich die nicht will, oder wenn mir der Krebs sie verbietet.
Bah! Der Baum ist gefällt.
Jammer nicht, weil Du was nicht kriegst, was Du nicht wolltest und schau nach vorn.

Ich unterhalte mich mit einem Stadtrat über die Krippenproblematik in der Landeshauptstadt und stelle fest, dass es gar nicht schlecht ist, wenn ein Kind weniger um einen Krippenplatz kämpft, weil es viel zu wenig gibt. Wenn man dann erfährt, dass pro Kind 8qm Grünfläche als Genehmigungsvoraussetzung in einer Millionenstadt gefordert werden, beginne ich zu ahnen, warum das Krippenproblem so schnell nicht gelöst werden wird. Verwaltung ist was, das nicht nur in meinem Krankenhaus nicht funktioniert.

Abends feiert dann meine Cousine ihren Geburtstag und so gehen wir da auch noch hin, ist ja nicht weit. Meine Cousine wohnt nebenan. Das Familientreffen ist auch wirklich nett, aber es ist drückend schwül und mir wird das zuviel. Ich bin müde und ohne rechten Grund einfach nicht gut drauf.
Kann mich selbst nicht leiden und geh zu uns rüber.
Im Fax liegt der Bericht aus dem Labor mit meinen Blutwerten. Die sind schlecht. Das erklärt meine Stimmung. Hat mein Bauch wohl schon geahnt, dass die weißen Blutkörperchen mich im Stich lassen, die Feiglinge.

An sich fühle ich mich nicht schlecht, aber wenn ich heute Chemo-Termin gehabt hätte, hätte ich nicht gedurft. Mit den Blutwerten ist das Risiko zu groß.
Das schockt mich, weil ich eigentlich gedacht habe, dass ich das echt so durchziehen kann.
Dafür habe ich den altersschwachen Marillenbaum hinter dem Haus entholzt und hoffe, dass es ihm jetzt dann wieder besser geht.
Wir Krüppel müssen doch zusammenhalten. Ich brauche Kraft und es tut mir gut zu sehen, dass ich was machen kann.

Beim Entholzen komme ich mir plötzlich etwas leichtsinnig vor, weil ich mit bloßen Händen das tote Holz ausbreche und mich zerkratze und mir der ganze Dreck auch in die Haare fällt.
Die gehen dann abends zum ersten Mal so richtig aus. Noch eine Hoffnung, die zerplatzt.

Das ist schrecklich, schrecklich, schrecklich.

Im Augenblick bin ich wie gelähmt, zu geschockt auch nur für Elend – seltsam eigentlich, denn überraschend ist das mit der Glatze nicht.
Gilt für die Chemo-Bilanz auch das Psycho-Rumgezicke? Ich bin mir nicht sicher und werte halb/halb.
8,5:3,5

SACHTEIL:
Die Haare gehen aus, weil auch Haarzellen zu den sich schnell teilenden Zellen gehören und damit von der Chemo mit angegriffen werden. Genauer gesagt die Haarwurzeln. Zuerst werden die Haare etwas stumpf. Dann gehen sie relativ schnell großflächig in Büscheln aus. Man kann sie ganz ohne Widerstand einfach aus der Kopfhaupt ziehen. Das ist erschreckend und faszinierend zugleich.
Es gibt verschiedene Praktiken, mit dem hässlichen Thema umzugehen. Ein Teil meiner Leidensgenossinnen haben gleich zu Beginn das Thema abgehakt und zum Rasierer gegriffen. Ein anderer Teil hofft erst einmal auf ein Wunder und ruft nach einer Rasur, wenn die ersten Büschel sich lösen. Andere schneiden die Haare ganz, ganz kurz, weil es dann nicht so auffällt. Ich weiß nicht, was am Besten ist. Ich habe meine Haare ausgekämmt und erst ganz zum Schluss beim Friseur einen Superkurzschnitt bestellt (die Story kommt noch).
Auf jeden Fall ist es unendlich beruhigend, wenn man eine Perücke im Schrank hat, mit der man sich auch anfreunden kann! Die sollte man unbedingt frühzeitig und prophylaktisch holen.
Mich hat getröstet, dass man aus den Haaren ein Super-Haarteil basteln lassen kann, mit dem ich dann künftige Post-Chemo-Traumfrisuren zaubern können werde. Darum habe ich meine Haare gesammelt und zu einem Zopf geflochten. Ein Haarteil habe ich mir allerdings dann doch nicht machen lassen. Bis jetzt, wer weiß? Der Zopf ist noch da.

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