- Eigentlich sind unsere Betriebsausflüge immer supergeheim und niemand darf wissen, was wir wo machen.
Unsere Chefs finden das lustig. Meine Kollegen finden das bedrohlich. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass man irgendwohin gekarrt wird und hilflos ausgeliefert den Dingen harrt, die sich da Amateurkomiker ausdenken.
Ich habe daher beschlossen, meinen Krebs zur Waffe zu machen und auf eine Extrawurst zu bestehen. Siegreich, wenn auch erst nach längerem Hin und Her und die Berufung auf Grundrechte wie Menschenwürde und Gleichheitsgrundsatz (insbesondere mit dem Verweis, dass man nicht nur Gleiches gleich behandeln muss, sondern eben auch Ungleiches ungleich und damit Chemopatienten eben anders als gesunde Kollegen).
Jedenfalls gabs für mich und meine Eloquenz eine Ausnahme und ich erfuhr tatsächlich nicht nur vorher (!), das wir mit dem Bus zum Cross-Golfen nach irgendwo hinter Regensburg fahren, ich durfte zusammen mit meiner Lieblingskollegin sogar selbst mit dem Auto fahren!
Mein Argument, dass ich nicht weiß, ob ich mit der Chemo in den Knochen den ganzen Tag durchhalte, hat dann doch gezogen. War aber eine knappe Sache, die dann doch eine Chefkonferenz hinter geschlossenen Türen erfordert hat. Traurig wär das, wenn es nicht irgendwie auch komisch wäre. Tragikomödiantisch quasi. Ich bin mir nicht sicher, aber vermutlich haben Diktatoren ihre Kapitulation schon mit weniger Zögern und Jammern unterzeichnet.
Uns so kam's, dass wir durch den Nieselregen in die Bayrische Provinz fahren. Bayrisch Kongo quasi. Mindestens. Das Outback der Provinz der Provinz, irgendwo ganz tief in Niederbayern. Wenn man still in die Landschaft lauscht, hört man den Randwasserfall schon rauschen... und wir stürzen mit unserem Auto in jene Tiefe, vor der sich unsere Vorfahren schon bei ihren ersten Seefahrerversuchen gefürchtet haben. Oder deren Kumpels von vor der Küste. Bergvölkern dürfte die Vorstellung einer Scheibenwelt nicht gerade nervös gemacht haben.
Vielleicht ist es aber auch nur das Radio, das trotz emsigen Durchlaufens der gesamten Frequenzbandbreite einfach keinen Sender mehr findet. Ob es hier Werwölfe gibt, die Freitagabend bei Vollmond heulen? Unwillkürlich suche ich nach atmopshärisch passenden Burgruinen als Hundehütte...
Die Adresse, wo wir uns treffen sollen, ist ziemlich schwer zu finden, jenseits der Karten, die von Standard-Navigationssystemen vorgehalten werden, und so nähern wir uns dem Ziel eher spiralförmig, aber trotz allem immer noch rechtzeitig.
Das liegt aber an meiner Kollegin, die ist nämlich anders als ich immer pünktlich und plant auf längeren Strecken einen Verkehrspuffer ein. Auf so was würde ich nie kommen. Ich bin drei Tage zu spät auf die Welt gekommen und die Verspätung habe ich seither nie mehr eingeholt. Deshalb bin ich immer zu spät und fühle mich irgendwie seltsam, wenn ich pünktlich unterwegs bin. Aber meine Kollegin hat sich durchgesetzt. Ich kann ja nicht immer gewinnen.
Dieses Mal aber hätten wir mal besser auf mich gehört, denn dann wären wir zu spät gewesen.
Und hätten nicht so lange warten müssen.
Am Treffpunkt, der eine Scheune war, hinter der ich unwillkürlich eine Gruft mit Vampirsärgen im diesigen Dunst der Felder vermute, war nämlich außer uns nicht ein Vampir, kein Werwolf und noch nicht einmal Fuchs und Hase. Nur Nieselregen.
Der allerdings reichlich. Gut eine Stunde später, kommt endlich der Bus mit genervten Kollegen. Der Nieselregen lässt nach, trotzdem kommt es mir gerade frostig vor. Unsere Chefs sind bemüht heiter.
"Ach und unsere Kay ist auch da. Nun, dann wollen wir ihre Kräfte schonen und mal lieber gleich loslegen! Wer weiß, wie lange sie durchhält. Ha. Ha. Hahaha."
Gezwungenes Gelächter. Mitleidige Blicke. Fremdschämen.
Ich öffne den Mund, um höflich zu fragen, warum er dann so umständlich nach einem Schlag auf die Nase fragt, der mich ebenso viel Kraft kostet wie das Unterdrücken des entsprechenden Impulses. Aber meine Kollegin kennt mich und tritt mir gegen das Schienbein. Ich humple ins Abseits und fühle mich entblößt. Ich hab nicht gern Krebs. Mir macht die Chemo keinen Spaß und ich bin überhaupt nicht gern schwach. Aber noch weniger mag ich es, ungefragt an solche Widrigkeiten erinnert zu werden, gerade dann, wenn ich sie erfolgreich verdrängt habe.
Wir losen unsere Gruppen aus und meine Kollegin und ich sind in einer Gruppe erklärter Nichtgolfer. Hurra! Das ist gut, weil dadurch untertags der Leistungsdruck gegen Null geht, aber schlecht, weil wir garantiert nicht gewinnen können.
Da wir hier wirklich irgendwo im Nirgendwo sind, frage ich höflich nach, wo das Spiel endet, denn dort sollten wir das Auto parken, damit wir dann gegebenenfalls früher fahren können. Nein, sagt der Oberanimateur, das geht nicht, das ist Querbeet. Aber er fährt uns jederzeit zum Auto, wenn es denn erforderlich ist. Ich bin nicht so überzeugt, denn querbeet wäre es dann auch für sein Auto, oder?! Aber egal, ich will nicht streiten.
Trotzdem frage ich dreimal nach, ob das wirklich die einzige Möglichkeit ist und ob das Angebot zuverlässig steht, und er versichert es dreimal.
Das ist gut. Drei ist eine magische Zahl. Sie entfaltet Kraft und bindet den Oberanimateur (Lars) mit seiner Seele an diesen meinen Wunsch. Inkarnationsübergreifend. In alle Ewigkeit. Werwölfe und Vampire horchen auf...
Lars grinst etwas verunsichert. Aber er nickt. Hastig.
Vielleicht hätte ich dabei nicht mit den Augen rollen sollen. Na egal.
Der andere Kollege, der hier in der Gegend wohnt und deshalb auch mit dem Auto herfahren durfte, seufzt erleichtert.
Die Probleme wechseln als es losgeht, denn der Crossgolf-Kurs ist endlos. Erstens in realen Metern endlos. Wir rechnen abends nach und kommen auf satte 14 km Strecke durch Feld und Wald, Stock und Stein,... Und zweitens auch im übertragenen Sinne, wenn man zum ersten Mal einen Golfschläger schwingt, ist das echt knifflig und im Unterholz erst recht.
Wir erwägen zu Mogeln, weil nach etwa einer Stunde macht es überhaupt keinen Spaß mehr, zumal es jetzt dampfig schwül wird und die Mücken und andere Blutsauger wieder aus ihren Löchern kriechen. Als ich vorhin von Vampiren gesprochen habe, hatte ich etwas ... weniger profanes ... irgendwie stylisheres im Sinn (auch wenn ich verspreche, dass meine Vampire niemals glitzern werden!)
Meine Kollegin erwähnt ganz zu recht, dass wir auch um 15:00 h noch keine Aussicht auf Essen haben. Das weckt das Raubtier in mir, jetzt habe ich auch Hunger. Und schlechte Laune und überhaupt...
Auch die Werwolfgeschichte funktioniert plötzlich auch ohne Mondlicht indizierte Metamorphose...
Es ist vermutlich schon nicht schlau, wenn man einen Abenteuerwandertag mit Chemo im Kreuz mitmachen will.. In dieser Hinsicht war ich noch nie schlau und will es auch gar nicht sein. Aber jetzt lerne ich, dass es nochmal was anderes ist, wenn das Abenteuer so derart schief geht, dass auch gesunde Leute an ihre Grenzen kommen.
Mit einem Mal wird mir alles zuviel und ich könnte mich auf die nächste Wurzel setzen und fluchen. Weil ich so überheblich bin, so dumm und so unvernünftig. Oder auch heulen. Lang und intensiv.
Geht aber nicht.
Ich habe nur ein "Loch" lang Zeit mich zu sammeln, bevor die Kollegen wieder aufschließen und denen will ich echt nicht erklären, dass offenbar auch Hirnzellen zu den schnell teilbaren und chemozerstörten Zellen gehören.
An sich ist das alles lustig, denke ich mir. So ist es immer.
Wenn was ein bisschen schlecht ist, ist es einfach nur schlecht.
Aber wenn es so richtig schlecht ist, dann gibt es ein Phänomen wie es das auch im das Auge des Orkans geben soll - denn richtig "scheiße" ist jedenfalls rückwirkend immer lustig.
Nein, ich meine das ganz im Ernst. Überlegt doch mal:
Genau betrachtet sind doch die besten Partygeschichten immer nur nachher gut.
Vorher, also solang man drinsteckte, waren die größten Burner ganz und gar nicht toll.
Außer man weiß es.
Dann kann man sich auch schon zwischendrin freuen.
Oder wenigstens amüsieren. Humor ist wenn man trotzdem lacht. Mit meiner Kollegin stolpere ich kalauernd und grinsend durch den finsteren Wald. Sie fällt hin. Und lacht.
Ich purzle über eine Wurzel und zerkratze mich an Brombeeren.
Ich lache auch. Allerdings nicht ganz von Herzen.
Auch wenn ich es nicht zugebe, merke ich, dass es mit Chemo schon nochmal anders ist...
a) weil ich echt viel zu Essen brauche, damit es mir gut geht;
b) weil offenbar meine Nieren so arbeiten, dass alle Flüssigkeit vermehrt ausgeschwemmt wird
c) weil ich zwar körperlich einigermaßen leistungsfähig bin, aber eben nicht so wie sonst.
Ich hab mein ganzes Leben viel Sport gemacht, aber wenn ich mit weniger Fitness in dieses Abenteuer gestartet wäre, hätte ich das hier bei genauerer Betrachtung niemals schaffen können. Ich komme mir ziemlich leichtsinnig vor. Und das frustriert mich noch mehr. Es ist was anderes, ob man was nicht will, oder man nicht kann. Düster philosophierend, kommen auch meine ebenso (fast) hungrigen Kollegen wieder und wir ziehen weiter. Es gibt im Sommerwald ziemlich wenig zu Essen. Vor allem, wenn ein provinzgroßes Funkloch verhindert, dass man mit dem Handy um Hilfe ruft. Oder wenigstens einen Pizza-Service, der per Helicopter ausliefert.
Die paar Blaubeeren bleiben den wenigen erhalten, die sich gefangen zwischen möglichem Fuchsbandwurm und sicherem Hungertod für ersteres Risiko entscheiden.
Fußlahm, genervt und gelangweilt erreichen wir gegen 16:00 h dann mit einem aus dem Bauch heraus knurrenden Team den Gasthof, wo es Gerüchten zufolge was zu Essen geben soll.
Es nieselt zwischendrin noch mal kurz. Passend zu Stimmung.
In weiser Voraussicht habe ich in dem Dorf in der Bäckerei zwei nicht mehr ganz frische Nusschnecken kurz vor Ladenschluss (um 16:00 h!) erstanden, auch wenn mein im Team befindlicher Chef böse geschaut hat. Was man hat, hat man. Und etwas Vorsicht hat selten geschadet, aber häufig genutzt.
So auch dieses Mal. Im Gasthof erfahren wir nämlich, dass wir nicht im Gasthof warten, sondern draußen in der Scheune. Dort werden uns dann auch nach ein paar lustigen Spielen Brötchen serviert. Der Wirt sprach von Brotzeit, aber das ist in Anbetracht der Platten mit ein paar angetrockeneten Salami-Baguettes wirklich etwas irreführend. Eine Brotzeit ist nämlich eine vollwertige Mahlzeit.
Das Angebot in der Scheune hingegen genügt, wenn man es auf über 30 Leute runterbricht, die nach 14 km Matsch-Cross echt müde und hungrig und zudem ausgekühlt sind, gerade mal um die endlosen Tiefen meines Magens auszuloten. Danach habe ich jedenfalls immer noch mehr Hunger als vorher, wenn ich dann nur so ein bisschen was esse.
Selbstlos teile ich mit meinem Team meine Nusschnecken.
Das mit dem "Anfüttern" funktioniert offenbar auch bei anderen Mägen, denn nun hat auch mein Chef Hunger bekommen und spricht mit dem Wirt, dass wir schon mal vorab ein bisschen was kriegen, bis die anderen Teams eintrudeln, die sich offenbar noch mehr als wir verlaufen haben. Mein durch viele Jahre wilden Ausreitens geschärfter Orientierungssinn hat uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Es hört auf zu nieseln. Jetzt regnet es statt dessen.
Gleichwohl müssen wir noch ein paar Spiele machen. So ist das geplant. Lars wird ja nicht fürs Nichtstun bezahlt, sondern fürs Animieren. Kochen wäre eine tolle Sache, würde allen gefallen. Lars hat aber andere Ideen.
Eierlaufen zum Beispiel.
Oder vielmehr Golfball-Laufen, passend zum Thema. Schade. Golfbälle kann man nicht essen.
Ich bin echt froh, dass ich mich rausreden kann.
Krebs hat - unverhofft, aber eben doch - auch seine guten Zeiten und während die Kollegen Heiterkeit heuchelnd und Grimassen schneidend durch den Platzregen patschen, trinke ich Kaffee und bin zufrieden. Relativ.
Mein Senior-Chef kommt zu mir und fragt, warum ich nicht mitmache. Es wäre gut fürs Team, wenn ich mich nicht ausgrenzen würde. Ich sage, dass ich müde bin und lächle entschuldigend. Mein Chef meint, dass ich mich schon ein bisschen mehr anstrengen könnte. Die Spiele gehören eben auch dazu. Wir brauchen alle "Team-Spirit".
Ich frage, ob er mich im Krankenhaus besucht, wenn ich zusammenbreche und gehe in den Regen zu den anderen. Er übrigens nicht. Chefs sind vom Team-Spirit befreit.
Meine Kollegin schlägt vor, das Abendessen in Anbetracht der bisherigen kulinarischen Erfahrungen auszulassen und nass und müde wie wir sind, lieber gleich heimzufahren.
Sie predigt katholischen Ohren, denn genau das hätte ich auch schon vorschlagen wollen. Frohgemut gehen wir zu Lars, unserem eidgebundenen Animateur und bitten um den ausgelobten Transport zu unserem Auto.
Geht jetzt nicht. Sagt er. Nach dem Essen. Und den Spielen. (NOCH MEHR SPIELEN?)
Wenn der Bus kommt.
Auch der andere Selbstfahr-Kollege möchte gleich fahren und bestätigt das uns gegebene Versprechen... Nach längerem Hin und Her setzt sich juristische Rhetorik durch (oder die von mir aus zwei Holzscheiten krude geschnitzten Pflöcke in meiner Hand) und wir können ihn überzeugen, er fährt uns.
Nein, er fährt in einem Transporter mit 8 Sitzplätzen nur 2 Personen. Meine beiden Kollegen. Ich muss warten, bis meine Kollegin mich dann abholt.
Also sitze ich frierend in einem Bushäuschen in Niederbayern und warte.
Und weine ein bisschen.
Geht gut. Tränen tarnen sich mit Regen und zeichnen malerische Muster in den Schlamm, der meine Wangen bedeckt (Die Brombeeren waren schmutzig).
Mir tut alles weh und ich bin erschöpft, physisch und psychisch. Außerdem habe ich Hunger.
Und mir ist kalt.
Ich will heim, wo ich besser hätte bleiben sollen.
Auf dem Rückweg rufen wir meinen Mann an und flehen ihn an, für uns was zu Kochen.
Weil wir so furchtbar Hunger haben. Hungäääääääär!
Er sagt zu und die Aussicht auf eines seiner Top-Sterne-Verwöhn-Menüs könnte auch wesentlich grässlichere Tage zu einem versöhnlichen Abschluss bringen.
Sicherheitshalber halten wir dennoch bei dem Laden mit dem goldenen M um uns mit einer Wegzehrung, und vor allem Getränken auszurüsten.
Nicht, dass wir in einen Stau geraten. Das wäre tödlich. Unterzucker wird dramatisch unterschätzt.
Wir lachen auf dem Nachhauseweg herzlich über unsere Abenteuer (hab ich es nicht gesagt?) und das Essen ist wirklich toll. Steak mit Gratin und Gemüse und Salat und davor eine Brotsuppe und danach noch ein Nachtisch...
Nein, so ein Tag kann nicht schlecht sein.
21:5
Dienstag, 30. Juli 2013
Im Schreckenswald - Krebs auf Reisen
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