Die Chemoferien sind vorbei.
Der Sommer gibt sich bedrohlich, drückend, schwül.
In der Fußgängerzone flanieren fröhlich Fische und Seepferdchen. Wer Kiemen hat, ist klar im Vorteil.
Der erste Tag in der Kanzlei beginnt mit einer endlos langen Telefonliste was zwar kein Wunder, aber eben auch nicht gerade angenehm ist. Mal abgesehen davon, dass ich frauenuntypisch nicht gern telefoniere, ist es im Büro an Tagen wie diesen besonders unangenehm.
Die Mandanten sind nämlich im Gegensatz zu mir, in ihren Themen voll drin und ich hatte zwischendrin tausend andere Dinge im Kopf und hier Millionen von anderen Akten auf dem Tisch. Mindestens.
Ich wär auch gern mal so eine Fernsehanwältin, die immer nur einen, max. zwei Fällchen hat und die sind ganz wichtig und die Mandanten sind ganz dankbar und hilfsbereit und so... Und alles im schicken Kostümchen und High Heels und so...
Hach...
Ärzte denken sich vermutlich dasselbe, wenn sie die Arztserien ankucken. Das ist eigentlich arglistige Täuschung. Wie viele junge Menschen werden mit so einem Schmarrn zu völlig falschen Studiengängen gelockt?! Erklärt das die Heerscharen frustrierter Berufsträger? Desillusionierte Opfer perfider Propaganda?
Einer meiner Mandanten versucht sich gerade von seinem Vorstand zu trennen und die Verhandlungen sind wirklich peinlich. Da verdient man deutlich sechsstellig und die streiten sich echt wegen 50 € Aufwand wegen einer Zusatzversicherung herum.
Seit ich in dieser Krebsgeschichte stecke, bin ich irgendwie leichter reizbar, wenn wegen solchen Banalitäten so ein Zirkus gemacht wird. Das ist vermutlich gut fürs Karma aber schlecht für die Karriere.
Andererseits hätte mich das hier jetzt auch ohne Krebs genervt. Das sind die Schattenseiten meines Berufs. Man sieht auch die Schattenseiten der Gesellschaft. Oder, um hier jungen, illusionsbehafteten Lesern die Wahrheit zu sagen: Vor allem die Schattenseiten der Gesellschaft.
Na egal, ich telefoniere jedenfalls brav mit allen, die mich sprechen wollen und fertige danach verschiedene Schriftsätze, bis ich endlich in Mittag gehen kann.
Ich habe Schweinehunger! Brutal.
Der Begriff "Schweinehunger" kommt bestimmt daher, dass man in dem Zustand ohne mit der Wimper zu zucken, eine ganze Sau vertilgen könnte. Obelixmäßig sozusagen. Ob das an den Anti-Übelkeitspillen liegt? Egal. Jedenfalls muss ich aufpassen, dass ich auf der Straße nicht den ersten arglos vorbeikommenden Dackel reiße!
Nachmittags über Schriftsätzen und Literaturrecherchen stelle ich fest, dass ich mir schwer tu, mich da wieder einzufinden, die Rhythmuswechsel sind sehr fordernd. Jeden Tag halbtag wäre vielleicht leichter, aber das geht noch weniger bei uns organisatorisch.
Ich kenne mich, meine Kollegen und meine Mandanten - das läuft dann auf ganztags raus. Es ist mir ein Rätsel, wie das in anderen Kanzlei tatsächlich funktioniert.

Spät Nachmittag drückt ein Gewitter so schwer und schwül in die Stadt, dass mir der Kreislauf dicht macht und mein Mann mich abholt. Schon praktisch, dass er sein Büro in der Nähe hat und obendrein daheim arbeiten kann, wenn er mag.
Ich schlafe noch im Auto ein.
Aber dann abends zum Geburtstag meiner Schwägerin bin ich wieder fit und freu mich auf Würstel beim Grillen. Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal gegessen habe?

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