- Am nächsten Tag ist mir mein Durchhänger peinlich.
Kritisch betrachte ich den Spiegel und schäme mich. Es hätte schlimmer kommen können. Haare wachsen nach, Emma, die Perücke der Wahl, ist schon reserviert um kahle Schädel zu verdecken und überhaupt...
Immerhin bin ich körperlich trotz Chemo fit und schlecht ist mir auch nicht. Also nicht undankbar sein!
Im Büro tröstet mich meine Sekretärin. Sie hat eine gute Adressen für künstliche Augenbrauen, bei der sie ihre auch hat machen lassen. Ich schau blöd, denn das wär mir bei ihr gar nicht aufgefallen. Also, jetzt, wo ich es weiß, sieht man es schon, aber sonst...? Wenn alle so schlechte Beobachter sind wie ich, ist das also echt kein Beinbruch. Na ja, besser ein schwacher Trost, als gar keiner.
Endlich habe ich einen unangenehmen Schriftsatz fertig. Einen von der Sorte, wo die Ausgangslage schon nicht die Beste ist (wenn die innere Stimme immer spottet, dass wohl eher die Gegenseite Recht hat...) und dann die Rechtslage noch kompliziert ist und zudem die Unterlagen ziemlich unsortiert... bah bah bah - Augen auf bei der Berufswahl, sage ich immer. Entsprechend erleichtert bin ich, als endlich das dumme Ding fertig ist und ich den Entwurf an die Sekretärin mailen kann - und den Lehrling bitte, mir ein Eis mitzubringen. Ich hab mal wieder Hunger!
Es ist brütend heiß und mir bröseln die Haare auf den Schreibtisch, es ist kein Spaß und ziemlich frustrierend.
Meine Kollegin, mit der ich beiläufig darüber gesprochen habe, dass ich während der Chemo nicht zum Zahnarzt gehen sollte, hat über ihre in einer Zahnarztpraxis arbeitende Mutter wertvolle Tipps zum Thema Mundpflege für mich organisiert, was ich rührend finde. Es sind diese kleinen, hilfreichen Gesten, die einem den ganzen Irrsinn erträglich machen.
Abends nimmt mich mein Chef mit nach Hause und hat dafür extra noch zwanzig Minuten gewartet, bis ich fertig war. Auch Chefs haben ihre nette Seiten.
Dann abends beim Spielen bröseln meine Haare weiter. Außerdem tut mir die Kopfhaut weh. Einer meiner Kumpel hat mir ein Haarband mitgebracht, weil das die Haare entspannt und sie dann weniger ausgehen.
Abends liege ich grübelnd wach.
Es ist so, dass die Welt sich total ändert. Gerade die Dinge, die vorher selbstverständlich oder vielleicht sogar lästig waren, wie Zähneputzen, Haare bürsten... rücken plötzlich in den Fokus, werden zu Problemen oder jedenfalls möglichen Problemzonen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Es scheint alles weiterhin zu gehen, aber nichts geht mehr von allein.
Alles bedarf besonderer Sorgfalt.
Das zehrt.
Aber dann ist es so fein, wenn man Freunde, Bekannte, Kollegen hat, die ein bisschen von dieser Last abnehmen, die einem Tipps geben, mit überlegen und einem das Gefühl geben, dass das doch letztlich ein Problem ist, dass man mit Logistik lösen kann. Denn so ist es auch, auch und gerade, wenn man es selbst leicht vor lauter Schreck anders sehen möchte.
Jedes Detail ist lösbar.
Alles ist machbar.
Es ist nur sehr viel und man muss das generalstabmäßig durchplanen. Aber - und auch das ist ein Trost - dann klappt's.
11,5:4,5
Dienstag, 16. Juli 2013
Chemo - Freunde in der Not
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