Egal.
Meine Freunde setzen Kino an.
Genau an meinem Chemo-Tieftag. Das bedeutet, dass ich noch dazu zu dieser grippalen Jahreszeit beim besten Willen nicht mitkommen kann. Das kränkt mich. Denn dieser Termin ist so unverrückbar fest, weil mein einer Kumpel grundsätzlich nur am Kino-Tag ins Kino geht, weil so ein Besuch sonst teurer ist und die Kinobosse jedenfalls nicht auf seine Kosten unterstützt werden dürfen. Der andere Kino-Tag, der chemoverträglicher wäre, hingegen kollidiert mit den Urlaubsplänen eines anderen Kumpels.
Fazit: Jeder ist wichtiger als ich.
Mein Gott klingt das wehleidig und jammerig.

Ich mach jetzt eine Schreibpause und erschieß mich dort, wo das Wasser am Tiefsten ist.

Falls es dem werten Leser noch nicht aufgefallen sein sollte, betrifft das Chemotief nicht nur mein Immunsystem, sondern auch mein Nervenkostüm. Runtergerutschtes Rüstzeug, das scheppernd zu Boden stürzt und mir prompt auf den Zeh fällt.
Aber die Woche ist auch objektiv mies und garstig. Ich habe beschlossen, mir einen anderen Job zu suchen, aber das ist in meiner gegenwärtigen Situation auch leichter gesagt als getan, zumal Stellen für mich auch unter günstigeren Umständen nicht gerade dicht gesät sind.

Fürs Wochenende habe ich Freunde eingeladen, die auch irgendwie komisch reagiert haben. Irgendwie unwillkommen.
Meine Tante ist sauer, weil ich sie in der letzten Chemo-Woche angeblich versetzt habe, was voraussetzen würde, dass wir verabredet gewesen wären, was nicht der Fall war. Was egal ist, weil sie auch dann sauer ist, wenn es unberechtigt ist. Im Gegenteil - dann ist sie noch saurer, weil zur "Verletzung" noch ein schlechtes Gewissen kommt, das Fluchttendenzen auslöst und so den Schwung nach vorn unterstützt.
Also entschuldige ich mich an einer Stelle, an der ich mir keiner Schuld bewusst bin.
Auch meine Schwester meldet sich nicht mehr.
Nachdem ein paar Verlage mein Buch abgelehnt haben, lässt ihre Euphorie nach. Nicht, dass ich es ihr nicht gleich gesagt hätte. Michael Ende hat einmal sehr elegant gemeint, schriftstellerischer Erfolg sei vor allen Dingen eine Frage des Portos. Tja.
Ich blogge brav im #Blog durchs Buch und freue mich an den zaghaft steigenden Besucherzahlen.

Aber es tut mir leid, dass sie sich nicht mehr meldet, weil ich ihr leid tue, weil zum Krebs nun auch noch mein schwächelndes Buch kommt. Dabei ist mein Buch gar nicht so schlecht. Und die Besuchszahlen auf der Homepage zu meinem Büchern (www.kay-noa.de) sind eigentlich wirklich erstaunlich gut, ebenso wie auf Amazon. Von daher bin ich gar nicht traurig, wenn wir keinen Verlag finden. Ich fühle mich wohl als Indie-Autor und würde mich wirklich soooo gern über Marketing unterhalten.
Das lenkt nämlich von dem Krebs-Chemo-Frust mindestens ebenso gut ab, wie der Kanzlei-Irrsinn. Und dazu noch mit etwas Positivem - anders als der Kanzlei-Irrsinn.
Mein lieber Mann hingegen ist nervlich allmählich auch am Ende.
Das Chemotief reißt auch unsere Beziehung nach unten.
Wenn ich mir so ansehe, wie er reagiert, lässt sich eines feststellen: Passive Chemo ist auch kein Spaß. Einerseits versteht man, dass und warum es dem anderen so mies geht - aber das macht das Ertragen nicht leichter.
Deshalb geht mein Mann auf Abstand. Was unsere Planung in Bezug auf Urlaub, Garten oder andere Projekte auf unbestimmte Zeit vertagt.

Und ich stecke tief im Chemosumpf und kann mich irgendwie nicht allein daraus befreien.

Schwieriger als der Kampf gegen die Nebenwirkungen ist tatsächlich die Rettung des eigenen Lebens. Das klingt so dramatisch, aber das ist es auch. Es geht dabei gar nicht mal um die Gesundheit an sich. Da laufen die Programme, da gibt es klare Anweisungen von den Ärzten und nützliche Tipps im Internet. Das ist in hohem Maße eine Frage des Wollens.
Aber das eigentliche Leben, das Biotop, in dem man sich so arglos, sorglos, ziellos vor sich hinbewegt - das passt sich unmerklich aber unaufhaltsam der neuen Situation, der mit Krebs, an. Und damit verändert es sich - aber gar nicht in meinem Sinne. Ich stelle nämlich fest, dass mein Leben mir bislang eigentlich ganz gut gefallen hat. Und ich will es behalten. Mit all den Menschen darin und den Beziehungen zu ihnen. Auch darum lohnt es sich zu kämpfen. Mir hat nur keiner gesagt, dass man so viel kämpfen muss.

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