Donnerstag, 10. Oktober 2013

Hausarrest - Krebs, Helden und Opfer

Illusion - Vinoth Chanda (www.piqs.de)
Meine Blutwerte sind besser aber noch lange nicht gut.
Das ist blöd, weil ich mich gut fühle.

Mein Arzt legt mir nahe, angesichts der herbstlich ersten Grippewelle Zuhause zu bleiben.
Ich handle hart und bekomme wenigstens ein "bisschen" Pferde besuchen raus und bin einverstanden. Immerhin darf ich am Wochenende nach Dreeich auf den Buccon fahren, ein treffen der fantastischen Literatur und damit ein Mekka für mich. Und Vorfreude kann man lange zelebrieren...

Das Zuhause bleiben hat auch den unleugbaren Vorteil, dass ich dann nicht die miese Stimmung in der Kanzlei abbekomme.
Vor lauter Angst, als "low performer" zu gelten, bewegt sich das Sekretariat nur noch mit Tunnelblick und aufgeblasenen Backen im Stechschritt durch die Gänge (und wir haben sehr lange Gänge...). Wenn man nur kurz vorbeikommt, um die für's Homeoffice erforderlichen Akten zu holen, fällt einem erst auf, wie Stress und Angst wie eine unsichtbare, aber deutlich fühlbare Wolke im Büro hängt. Es ist echt schlimm, vor allem weil ich meine Kollegen mag und nicht leiden sehen will. Aber weil ich ihnen nicht helfen kann, ich wüsste echt nicht wie - gieße ich meine Blumen am Fensterbrett und trolle mich mit vollen Aktentaschen nach Hause ins Exil.
Mein Chef ruft an, kaum dass ich Zuhause die Tür aufgeschlossen habe und beschimpft mich, dass ich am Donnerstag eine Schulung bei einem Mandanten machen soll. Ich verweise auf Chemo und Blutwerte und die Meinung des Arztes in Bezug auf meine Erholungsbedarf.
Er erklärt, dass er an dem Tag Urlaub nehmen wollte.
Ich erwähne, dass wir in der Kanzlei noch genug andere Anwälte haben. Er meint, dass das aber nur er oder ich könnten und er - siehe oben - Urlaub nehmen will. Ich verweise auf den Umstand, dass ich krank bin, dass es nett ist, dass ich überhaupt arbeite und ich nicht versehentlich mit Perücke, aufgemaltem Gesicht und sechs getapten Fingern herumlaufe.
Er signalisiert, das sei im wurscht.
Ich bemerke, dass Chemo Urlaub sticht. Aber ich schreibe ihm das Skript und die Präsentation.
Es ist deprimierend. Und ich fühle mich wie im Burnout, weil mich das so runter zieht. Ich bin wirklich nicht gern Daheim und ich hätte die blöde Präsentation gern gemacht, weil ich die Mandanten mag und... NEIN!

Ich verstehe nicht, warum es so verflixt schwierig ist, sich zu merken, dass ich krebskrank bin und es keine Bockigkeit ist, wenn ich sag, dass ich was nicht kann. Ich mach eh deutlich mehr als mein Arzt meint, dass ich könnte.
Ich versuche, mich zu verstehen.
Warum mach ich das überhaupt? Warum gehe ich arbeiten? Weil sonst die Kollegen absaufen, weil wir eh eine viel zu dünne Personaldecke haben und weil ich meine Mandanten mag und mir die Arbeit Spaß macht.
Ha!
Ist es also am Ende nicht so, dass ich das für mich mache?
Weil ich nicht krank sein mag? Wenn dem so ist, ist es dann nicht so, dass ich tatsächlich froh sein muss, dass meine Chefs mich arbeiten lassen?
Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte. Ich produziere ja durchaus ordentlichen Umsatz, sodass der Gefallen nicht ausschließlich altruistisch ist. Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich Zuhause bleiben würde, wenn es mir körperlich schlechter ginge. Aber ich mag nicht auch noch ein Psycho-Attest daherbringen. Das deprimiert mich mehr als der Job an sich.

Eine meiner Figuren in meinem Buch würde an dieser Stelle seufzen und alles sehr schwierig finden. Ich würde ihr nicht widersprechen. Das ist eine gute Idee. Ich flüchte mich nach Kernland, in meine Fantasywelt. Der #BlogdurchsBuch ist ein Projekt, das mir Freude macht. Über Besuch dort würde ich mich übrigens auch freuen.

Diese Woche ist schwierig. Mit Höhen und Tiefen... Statistisch erträglich, aber die Tiefen machen keinen Spaß.
55:9 

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