Freitag, 18. Oktober 2013

Sprachlos - Krebs und Nebenwirkungen (Nachschlag)

Black and Blue - Al40 (www.piqs.de)
Der Morgen ging gut los. Sprachlos nämlich, was meinem Vorsatz, lieber nicht zu jammern, gleich mal ganz anderes Gewicht verliehen hat. Jahreszeitlich bedingte Heiserkeit wäre hier eine nahe liegende Erklärung - und eine einfache dazu... Aber leider fühlt es sich anders an. Es kratzt nicht, sondern es ist "wattiert". Wie ein dicker, zäher Belag, durch den die Stimme nicht mehr durchkommt. Na, das ist dann eben die Gelegenheit zu stiller Einkehr, zum Inne und Klappe halten. :)
Ärgerlicher ist, dass das Essen schwieriger wird. Der Geschmack ändert sich, weil nicht einfach der Geschmackssinn ausfällt, was sich wirklich durch riechen und denken gut kompensieren lässt, sondern weil sich das insgesamt ändert. Ich schmecke keinen Zucker. Null. Ob ich Zuckerwatte oder Abschminkpads futtere ist einerlei. Aber damit schmeckt alles schokohaltige einfach nur noch fett, ganz eklig. Soweit wäre das diätisch ja noch durchaus erfreulich, wenn man das, was man eh nicht essen sollte, auch nicht mehr mag. Aber Zucker ist halt auch in Obst, dass dann nur noch seltsam schmeckt. Oder in Tomaten, die einen sehr seltsamen, fast fauligen Hauptton entwickeln...
Positiv ausgedrückt, entdeckt man die Welt der Geschmäcker jeden Tag neu.
Mein Mann ist genervt. Er kocht nämlich und weiß nicht, was mir heute schmeckt. Ich kann ihm nicht helfen, ich weiß es ja auch nicht, meine Chemo-Erfahrung baut sich jetzt erst auf. Und auch hier gilt, was immer richtig ist: Erfahrung ist das, was man 5 Minuten, nachdem man es gebraucht hätte hat.
Gegen die bei Taxan ganz häufig auftretenden Gliederschmerzen, helfen Schmerztabletten. Hier rät die Ärztin, dass man zwischen verschiedenen Wirkstoffen nach Möglichkeit abwechseln sollte. Hintergrund ist der, dass man sich dann zum einen nicht so schnell daran gewöhnt, was die Dosierung bei Dauereinnahme deutlich niedriger hält, und zum anderen die Nebenwirkungen verschieden sind. So belastet das eine Mittel mehr die Niere und das andere mehr die Leber oder so.
Ich habe geschaut, ob ich dazu eine vernünftige Link-taugliche Information im Web finde, aber nein. Leider nicht. Aber ich würde auf jeden Fall den Arzt dazu befragen. Wenn man so leicht Risiken verteilen bzw. eindämmen kann, sollte man es machen.
Nach dem Essen habe ich etwas Sodbrennen, aber das ignoriere ich, weil ich wenigstens Spazieren gehen mag. Das Taxan-Chemozeug ist schon unangenehmer als das erste, keine Frage. Spazieren gehen geht gut, aber mehr auch nicht. An Reiten, Laufen, Klettern wäre heute nicht zu denken. Mal sehen, wie es nächste Woche wird. Ist natürlich auch unfair, wenn man die volle Dröhung kassiert, wenn man schon angeknackst vom Sparring ist.
Der Spaziergang hat geholfen. Die Gliederschmerzen sind deutlich besser. Durchbluten hilft also auch. Ich bin sogar ein bisschen gejoggt (mehr symbolisch, aber doch).
Abends muss ich wieder cremen für die Haut und tapen für die Fingerchen und meine spröden Zehennägel feilen und meinen wunden Mund begurgeln und langsam meine Kehle pflegen. Nein, fraglos könnte es mir besser gehen.
Aber wenn ich mir anschaue, um wieviel es mir trotz allem durch all die kleinen Manöver dann doch besser geht, als es mir gehen könnte - hab ich doch einen Achtungssieg gegen das Taxan errungen.
Es geht mir besser, auch wenn es nicht wirklich gut ist. Ich bin mir nicht sicher, ob das jetzt nicht alles schön geredet ist. Natürlich könnte man rumheulen, weil es an allen Ecken und Enden an Gesundheit fehlt und weil es so frustrierend ist, dass man diesem blöden Dreckskrebs offenbar nur Herr wird, indem man den Körper in dem er sich eingenistet hat, so verdengelt, dass er es dort selbst nicht mehr aushält. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich diesen entkrebsten Körper dann selbst noch haben mag.
Aber hey, wenn man mit -100 vom Tropf losgestöpselt wird, dann ist es doch ein echter Fortschritt, dass man dann nur noch mit -80 durch die erste Chemowoche humpelt. Vielleicht auch -70. Und man wird bescheiden und freut sich über die kleinen Siege, die man der Übermacht abtrotzt. Mich hält das in Bewegung und solange ich noch zucke, lebe ich auch noch. Und dann hab ich jedenfalls nicht verloren.
Einigen wir uns für heute auf unentschieden.
54:9

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