... - Jessica (www.piqs.de) |
Nachdem ich mich drei Tage später so weit aus den Chemoschlaf-Spinnenfängen befreit habe, dass ich mein Pferd besucht habe, gehe ich am darauffolgenden Tag brav wieder zur Arbeit, statt die wenigen wachen Stunden von zu Hause aus das Notwendige zu bearbeiten.
Eigentlich ist mir die Arbeit im Büro zuviel, aber ich will meine rotierenden Kollegen nicht im Stich lassen.
Und ganz ehrlich...
Es ist weniger die Anstrengung der Arbeit am Schreibtisch, sondern die schlechte Stimmung in der Kaffeeküche.
Ich habe es nie für möglich gehalten, wie sehr einen das Arbeitsumfeld doch in der Bewertung der anstehenden Arbeit beeinflusst. Natürlich liest man viel von Mobbing und Mitarbeitermotivation und Arbeitsklima und dergleichen - aber wie so oft, ist nur das Erlebte wirklich einprägsam. Vielleicht liegt es daran, dass ich empfindlicher als früher bin, dass mir das jetzt so auffällt. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht mehr so völlig in der Mühle gefangen bin, weil ich ja auch noch meine kleine private Chemo-Mühle habe, die mich nicht ganz loslässt und aus der Büromühle draußen hält.
Woran auch immer es liegen mag, es ist jedenfalls auffällig, wie sehr einfach alles darunter leidet, wenn das Arbeitsklima nicht stimmt.
Seit einer unserer Senior-Partner vor einem Jahr im Streit die Kanzlei verlassen hat, weiß man gar nicht mehr, wie man sich im Büro ohne in Fettnäpfchen zu treten, bewegen soll, überall sind Gräben, die einen stolpern lassen, jeder hat eine Meinung, keiner weiß was Genaues und angstgenährte Fantasie treibt seltsame Blüten.
Ist eigentlich nur mir aufgefallen, dass Angst ein grässlicher Dünger für alles Schlechte in uns ist? Der Zyniker wird zynischer, der Choleriker reizbarer, der Feige wird feiger, der Wütende wütender, der Falsche fälscher, der Vorsichtige völlig verhuscht und der Phlegmatische zum sturen Büffel. Ich kenne meine Schwächen und will im Interesse aller keine Angst haben. Beschließt mein Kopf. Mein Bauch ist da noch unentschlossen. Aber mit einem Verweis darauf, dass wir als Einheit gerade mit der feindlichen Krebs-Besatzungsmacht wahrlich ganz andere Sorgen haben, rückt den Fokus mehr auf die Innen- statt auf die Außenpolitik. Kein Schaden ohne Nutzen. So habe ich nämlich die nötige Distanz, um durch den Irrsinn einigermaßen unbeschadet durchzusteuern.
Und das ist bitter nötig. Ich werde auch als Lotse gebraucht... Meine außenpolitisch fokussierten Kollegen sind nämlich am Rande eines Nervenzusammenbruchs und teils zu paralysiert, um auch nur zu erkennen, dass sie kein Problem hätten, wenn sie einfach kündigen würden.
Warum?
Die Chefs sind sich selbst nicht mehr grün - keiner weiß warum (vermutlich auch die Chefs nicht) - und lassen ihre schlechte Laube an den Mitarbeitern aus.
Man nimmt persönlich, was nicht persönlich gemeint ist. Versteht falsch, was man nicht völlig unmissverständlich ausdrückt - und wann je wäre kein Raum mehr für Missverständnisse.
Die Kollegen reagieren abwartend, vorsichtig, misstrauisch. Die Chefs verstehen nicht warum und wittern Ungemach und reagieren autoritär - womit sie die Befürchtungen der Kollegen bestätigen!
Wer lacht ist verdächtig - was hat der denn bei uns zu lachen?
Wer weint (und das tun viele) sieht nicht, wie schlecht es den anderen geht...
Alle haben Angst, Schuld für Fehler zu bekommen, die sie nicht gemacht haben. Wer aber verkrampft arbeitet, macht Fehler. Wer Fehler vertuscht, statt sie zu gestehen, infiziert damit das System.
Selbsterfüllende Prophezeiungen sind schon was Tolles - Griechische Tragödien in der Kanzlei.
Es ist beängstigend, dass Angst wirklich aus jedem Menschen das Hässliche hervorholt und alle liebenswerten Eigenschaften einfriert...
Ich war jetzt nur vier Tage nicht im Büro und komme mir vor wie dieser Bär, der im tiefsten Winter aufwacht und nicht versteht, wo die Farben der Welt geblieben sind.
Als ich abends nach Hause komme, habe ich nicht das Gefühl, dass ich diejenige bin, der es in der Kanzlei am Schlechtesten geht. Ob mir jetzt von der Chemo schlecht ist, oder ob dieses "Pseudo-Sodbrennen" nicht eher eine Reaktion auf den schlechten Zustand meiner unglücklichen Kollegen ist, weiß ich nicht genau - aber ich habe einen Verdacht. Bin ich froh, dass ich nur Krebs und keine Angst habe.
50:8
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