Freitag, 4. Oktober 2013

Kanzlei-Kassandra - Mobbing und Krebs

Nach dem üblichen Blutabnahme-Ritual bin ich heute wild entschlossen mit meinen Chefs über die Stimmung im Büro zu sprechen. Ich komme vor lauter Büro-Geschichten gar nicht mehr zu meinen an dieser Stelle geschuldeten Krebs-Betrachtungen. Was allerdings lehrreich für alle Folgendes zeigt:
a) Abwechslung kann durchaus auch dann gut tun, wenn sie aus Problemen besteht. Sonderbarerweise ist sie sogar wirkungsvoller, als klassisches Entertainment, denn das bedient offenbar andere Teile unserer Seele, sodass es schwerer ist, das Schlechte wirklich loszulassen.
b) Probleme neigen dazu allen ihnen zur Verfügung stehenden Platz auszufüllen. Wenn man keine großen Probleme hat, sucht man sich kleine. Wenn man große Probleme aber beiseite drängt, um sich auch um die kleinen zu kümmern, werden sie den ihnen eingeräumten Platz verteidigen und wie ein Yorkshire-Terrier mutig den großen Dobermann ankläffen. Freuden reagieren da im Vergleich viel zurückhaltender.
c) Das Leben geht weiter. Und das ist zwar einerseits tröstlich, verdeutlicht andererseits aber auch, dass es der Welt im Großen und Ganzen wurscht ist, wie es uns geht. Unser Platz in der Welt ist in hohem Maße von den von uns übernommenen Aufgaben und Pflichten bestimmt und wenn wir die - warum auch immer - nicht mehr erfüllen (wollen/können/dürfen), wird das Konsequenzen haben, die unmittelbar uns und in hohem Maße auch unser Umfeld betreffen. Sich sein Leben einzurichten, fängt also mit dem eigenen Pflichtenkreis an. Erstaunlich. Von daher sind innere Dinge wie "Krebs", "Trauer", "Wünsche" zunächst irrelevant. Und zwar so lange, bis sie unsere Außenwirkung beeinflussen. Das ist gut und schlecht. Je nachdem. Es gibt uns die Kraft, unser Leben selbst zu bestimmen, indem wir entscheiden, was wir tun und wie wir wirken... Aber es zwingt uns auch, unsere Handicaps mit uns allein auszumachen. Opfernde Täter... Tätige Opfer. Schwierig. Ich werde doch noch zum Philosophen.

Wenn ich nicht gerade zu sehr mit Ärgern beschäftigt wäre. Wegen dem Büro.

So kann das ja nicht weitergehen. Gestern hatte mich noch eine unserer Sekretärinnen angerufen, dass eine Lohn-Buchhalterin kurz davor ist, aus dem Fenster zu springen, weil sie es nicht mehr aushält. Ich war geschockt, als ich hörte, dass immerhin 6 Leute zugeben, dass sie wegen der Arbeit in psychologischer Betreuung sind.
Ich verstehe nicht, dass sich keiner wehrt. Angst ist eine seltsame Bestie. Sehen die Chefs nicht, dass sie damit ihre eigene Firma kaputt machen? Wenn eine Kollegin weint, arbeiten doch alle schlechter!
Leider komme ich mir vor wie Kassandra seinerzeit in Troja, als sie versucht hat, darauf hinzuweisen, dass dieser Holzgaul vor der Stadtmauer vielleicht ungeachtet des hübschen roten Schleifchens doch kein Geschenk der Griechen sein könnte.

Jeden Fall, den ich anspreche, kann man erklären. Immer hat es andere, banale Gründe, wenn es Ärger gibt, wenn Mitarbeiter verzweifelt sind, erkranken, kündigen.

Es ist wie bei dem alten Witz. Hört ein Mann im Autoradio, eine Geisterfahrerwarnung. Und sagt zu seiner Frau: "Was heißt hier ein Geisterfahrer? Hunderte!"
Ich bin zäh.
Woher kommen diese Gründe, frage ich, warum häufen sie sich? Sprachlosigkeit.
Uns fehlt es in der Kanzlei an Kommunikation und Vertrauen.
Nur wer selbst offen ist, kann Offenheit fordern.
Natürlich kann auch ein überforderter Chef verlangen, dass man ihn versteht, dass man ihn vielleicht schont.
Aber er muss dazu mindestens zugeben, dass er überfordert ist.
"Bitte" ist die Vorbedingung für einen Gefallen.
"Danke" der Lohn.
Dort, wo Pflichten definiert sind, ist es ein Gebot der Höflichkeit.
Jenseits davon, im freiwilligen Bereich ist es unverzichtbar für das Gleichgewicht, das unserer Kanzlei abhanden gekommen ist und das sich längst auch auf die Qualität der Arbeit durchschlägt.
Wie viel Kapazität durch Angst und an sich überflüssige interne Absicherung gebunden ist. Ich persönlich brauche länger, meine Arbeit intern abzusichern, als sie tatsächlich zu verrichten. Und das kostet Motivation und Einsatzfreude.
Ich lege meinen Chefs dringend nahe, die Befindlichkeiten der Mitarbeiter ernst zu nehmen. Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen. Die Kollegen sind das Betriebskapital. Wenn eine Maschine in der Produktionnshalle stottert, würde kein Mensch auf den Gedanken kommen, zu sagen, sie soll sich nicht so haben, sondern sie schleunigst reparieren lassen.
Warum nur sind wir mit Fleisch und Blut so rücksichtslos?
Der Senior-Chef meint schließlich zu den Entgleisungen, dem Gebrüll, den Beleidigungen seines Vizes, er könne sich doch nicht gegen einen Partner stellen.
Mir fehlen die Worte, doch dann entscheide ich mich für Offenheit: Mit dieser speziellen Art des Gehorsams, haben wir schon einmal das Recht bewusstlos geschlagen. Der Möglichkeit zum Widerstand entspricht die Pflicht dazu. Dieser Nazigehorsam ist inakzeptabel.
Dem Gesicht meines Chefs nach habe ich damit der besonders gequälten Kollegin geholfen, mir selbst aber letzte Sympathien verspielt.
Egal.
Kassandra hat sich auch nicht beliebt gemacht.
Tu was du musst und trag die Konsequenzen. Ich bin stolz auf mich, denn ich finde, dass ich das Richtige getan habe.
Nachmittags ruft der Hausarzt an. Meine Blutwerte sind sauschlecht.
Zu schlecht für die Chemo, ich muss am Montag noch einmal die Blutwerte bestimmen lassen und soll mich am Wochenende unbedingt schonen.
Vielleicht drückt sich im Hintergrund eine Erkältung herum? Ich gelobe Rücksichtnahme und programmiere mich mental auf Genesung.
Kanzleispots aus, alle Lampen wieder auf Projekt Chemo.
Abends fängt mich dann der Blues ein. Auf dem Nachhauseweg könnte ich heulen, weil mich das alles so anstrengt.
Nach dem Abendessen beschließe ich mich zu belohnen und schreibe mal wieder an meinem Fantasy-Buch. Eine Schlachtszene im Winterwald, passend zur Stimmung.
Danach geht es mir besser. Soll noch einer sagen, Gewalt sei keine Lösung.
www.kay-noa.de
*Eigenwerbung an:
(Falls es Euch interessiert, was ich so in meiner Freizeit treibe... Ich bin auch auf Google+ und Facebook zu finden und freue mich über jedes wohlwollende Zeichen (Plus wie Like) und noch mehr, wenn auch diesen Blogs gefolgt wird, über die man meine Fantasy-Arbeit ggf. auch kostenlos lesen kann.)
Eigenwerbung aus*
Aber im Augenblick habe ich eh einen Lauf. Einen ganz kleinen. Die kleinen guten Taten belohnt der liebe Gott ebenso wie er die bösen bestraft. Das ist fair.
Ich finde sogar ein paar passende Bilder zum Trailer für mein Buch.

Wenn man sich von den Problemen befreit, die nicht die eigenen sind, geht es mir gar nicht so schlecht.
Meine Blutwerte sollen sich nicht so haben.

49:8

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