Montag, 12. August 2013

Hitzewallungen - Krebs im Büro

Der Chemotag bricht an und ich stelle fest, dass es auch da sowas wie Routine gibt.
Egal, vorwärts durch, rückwärts bringt es auch nix.
Das ist vermutlich das Erfolgskonzept des Menschen. Diese Fähigkeit, sich mit dem Unvermeidlichen zu arrangieren. Heute ist es heiß. Sommerheiß ist keine gute Voraussetzung für die Chemo. Wäre Winter besser? Wahrscheinlich. Oder auch nicht. Es ist immer das, was man hat, das, dass man als falsch empfindet. Klar, denn das, was man nicht hat, bleibt den Beweis der vermuteten Qualität schuldig. Ob die Chemo aufs Hirn schlägt? Damit man den Krebs schwindlig denkt? Scheint zu klappen!

Beim Arztgespräch hab ich wenig zu sagen.
Ich habe keine Nebenwirkungen außer diesen Stimmungsschwankungen und die können auch an etwas anderem liegen...
Das könnte Übelkeit auch, aber das will der Arzt nicht hören.
Auch recht.
Ich spreche nochmals meine medizinischen Bedenken an, aber dafür werde ich an die Spezialisten verwiesen, was sehr deprimierend ist. Weil dass der sagen wird, dass ich mit dem Chemo-Experten reden soll, das kann ich auch sagen, ohne erst wieder einen Termin zu erzwingen.
Wenn man mit Depressionen und kaputten Knien (was nun beides nicht so wahnsinnig exotische Leiden sind) Krebs bekommt (was nun zwar nicht lustig, aber statistisch gesprochen auch eher Mainstream ist), dann bräuchte ich einen Chemoarzt, einen Kniespezialisten und einen Psychiater.
Irritiert schau ich nochmal auf die Stempel in meinem Patientenausweis.
Da steht brettelbreit, dass ich in einem interdisziplinären Brustzentrum sitze.
Interdisziplinär - das klingt gut und trendy und ein bisschen so wie international - nein, ich bin mir sicher, dass der Name besagt, dass man da Ärzte im Rudel trifft und zwar aus verschiedenen Disziplinen.
In der Praxis heißt das aber, dass da zwar verschiedene Ärzte da sind, aber nicht gleichzeitig. Außer in der Kantine. Aber sonst? Never ever. Weiß nicht, warum.
Deshalb jedenfalls scheint es schier unmöglich, mit einer so überaus außergewöhnlichen Frage wie der, ob angesichts der Vorverletzungen am Knie und der bereits vorhandenen Depressionen eine ebenjene Symptome verstärkende Medikation die individuell beste ist, gehört zu werden.
Oder vielmehr hierauf eine Antwort zu kriegen.

Na, man wird sehen, das andere Medikament, dieses Taxan kommt ja erst ab dem 4. oder 5. Zyklus - je nachdem ob es 6 oder 8 Runden werden, was sich jetzt nach dieser Chemoeinheit entscheiden wird. Ich habe also noch etwas Zeit zum Nerven. Welch erbauliche Aussicht.

Kurz darauf sitze ich auf meinem Stühlchen an meinem Tropf und sehe zu, wie das Zeug in mich eintröpfelt... Dieses Mal wird mir etwas schummrig beim Abfüllen, aber das kann auch daran liegen, dass ich nicht ganz so gut vorbereitet bin, wie ich schon war (elende Schlamperei, wenn ich einmal einer Katastophe entgehe, lasse ich sofort alle Disziplin fahren!).
Normalerweise nämlich sammle ich mich. Mache morgens ein paar Atemübungen, die mich je nach persönlichem Glauben entweder mit Sauerstoff versorgen und so meinen Körper stärken, oder aber auch meine mentalen Kräfte fördert. So wie man vor einer Rede anders einatmet als danach und somit Stimmungen die Atmung beeinflusst, so sehr kann nach dieser These auch die Atmung die Emotion beeinflussen. Ich gehöre zur zweiten Spezies, der das plausibel erscheint. Was nun zuerst da war, der Glaube oder die Wirkung, sei hier dahingestellt. Ich kann nur festhalten, dass es mir schlechter geht, wenn ich vorher nicht schnaufe. Argh! Natürlich geht es dann schlechter. Ich meine, wenn man nicht bewusst schnauft, also im Sinne dieser Übungen.

Dieses Mal jedenfalls ist es schwieriger. Ich leide jedenfalls unter sommerlich passenden Hitzewallungen, leichtem Schwindel und dem Gefühl, als hätte ich zuviel gegessen, was nicht stimmt.

Nach der Chemo habe ich dann das Vergnügen, die neue Kollegin kennen zu lernen. Mein Chef hat sehr deutlich gemacht, dass es sich um einen Pflichttermin handelt, den ich ungeachtet solcher Banalitäten wie einer Chemo wahrzunehmen habe.
Mein Vorschlag, das um ein paar Tage zu verschieben, wurde damit abgetan, dass die Dame nur heute in München sei und man ihr nicht zumuten könne, den neuen Arbeitsplatz ein zweites Mal zu besuchen.
Na gut.
Das Gespräch lief recht gut, bis auf den Umstand, dass ich schwitze wie ein Schwein und mir leicht übel ist. Die Kollegin scheint menschlich nicht unangenehm zu sein, wobei auf die Frage nach den Mandaten, die sie ja angeblich mitbringt und weshalb man sie unbedingt einstellen muss, für mich zumindest klipp und klar gesagt wird, dass sie keine sicheren Mandate mitbringt und speziell nicht aus dem Energierecht, weil sie in die Branche erst reinwill.
Na, das relativiert dieses "Die müssen wir einstellen, so eine Chance kommt nie wieder" doch erheblich.
Aber gut, des Menschen Wille ist sein Himmelreich und das gilt auch für Chefs.

Mir ist furchtbar heiß, aber das könnte am Sommer liegen.
Ein anderer Kollege führt jetzt das Gespräch und erzählt, weil er sich so gerne reden hört, weitschweifig, was er sich als Antwort auf seine Fragen vorstellt und die neue Kollegin nickt höflich und denkt sich vermutlich ihren Teil (oder auch nicht) und ich wäre lieber Daheim.

Bei der Verabschiedung sage ich freundlich, dass mich das Gespräch gefreut hat, was sogar halbwegs stimmt, und ob sie zum Oktoberfest nach München kommt... Und sie antwortet völlig arglos, dass sie eh jedes Wochenende hier ist, weil ihr Lebensgefährte ja in München lebt, weshalb sie ja auch herziehen will.

Dieses Mal weiß ich woher die neue Hitzewallung kommt. Rotglühender Zorn aus den tiefsten Tiefen der Hölle und das teuflisch intensive Gefühl, auf der Stelle jemanden zu erwürgen!

Wertet es als Zeichen meiner inneren Größe, dass ich das nicht zum Anlass genommen habe, meinem Chef auf seinen Tisch zu kotzen, damit er sieht, dass es einem bei solchen Lügen noch viel schlechter geht als mit der Chemo, auf die wenigstens ein bisschen  Rücksicht zu nehmen nun wirklich nicht als übertriebenes Softie-Gebaren angesehen würde.
Immerhin ärgere ich mich jetzt so über meine Kanzlei, die wiedermal einem Irrenhaus gleicht, dass ich über den Zorn die Übelkeit vergesse.

Ja, ich sitze in einem Irrenhaus - ich konnte nur noch nicht entscheiden, ob das hier die oft zitierte Zentrale oder vielmehr die Abteilung für aussichtslose Fälle ist.

Meine Tante holt mich ab und fährt mich heim und das ist sehr nett, weil ich mir so die U-Bahn spare. Jetzt ist mir nur leicht schlecht, gerade genug, um zu merken, dass sich was tut.

Und das ist gut!
26:7

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