Das Wochenende nach der Chemo ist schwierig, oder vielleicht um ehrlich zu sein, eher nach der Woche und meinem Versuch, die Chemo zu ignorieren.
Arbeiten, Gesund werden und oben drein Chemo ignorieren - das ist alles vielleicht etwas viel. Es ist faszinierend wie die Chemo das Leben reduziert. Man muss plötzlich zwischen all den Dingen wählen, die vorher selbstverständlich waren. Das verschiebt den Fokus dramatisch und man ist unversehens gezwungen, alles zu ignorieren, was einem nicht ganz wichtig ist.
Aber es ist echt schwierig, sich darauf zu konzentrieren, etwas zu ignorieren.

Nachdem ich selbst nicht in der Verfassung bin, selbst zu reiten, gebe ich ein bisschen Reitstunde. Da sitze ich harmlos in der Sonne und muss nur dumm daherreden. Das kann ich gut, das klappt auch aus dem Stegreif.

Andererseits ist es auch deprimierend, zuzuschauen. Als stünde am Reitplatz ein Schild: Ich muss leider draußen bleiben.

Ich erkenne das als Selbstmitleid, gebe mir einen moralischen Tritt in den Hintern und dann geht es auch wieder besser.

Vielleicht aber war die Reitstunde trotzdem zuviel, oder die Sonne oder der Staub auf dem Reitplatz - ich weiß es nicht. Jedenfalls geht es mir abends nicht gut, seelisch und auch körperlich. Ich spür halt, dass sich was tut. Die Nacht ist entsprechend schlecht. Ich wälze mich herum, habe Ameisen in den Füßen und Flöhe im Bauch.
Mich quält auch die Länge meiner To-Do-Liste:
Leute anrufen, Pferd, Hund, Katze, Garten, Haus, Kanzlei, Ärger mit der Krankenkasse, die rumstresst wegen irgendwelchen Belegen und Klinik... Warum gibt es eigentlich keine psychoadministrative Behandlung? Das wäre ein Nebenzweig der Psychiatrie, der tatsächlich "Heilen" könnte. Wie unglaublich viele Amokläufe, Nervenzusammenbrücke und Beziehungskrisen man da vermeiden könnte. Und auch volkswirtschaftlich... Wie effizient ein Krankenhaus wäre, das sich um Menschen kümmert und mit ihnen spricht... Das sich so wie andernorts auch, an seine Vereinbarungen hält und Patienten als Kunden und nicht als Bettler behandelt. Oh, es gäbe soviel zu tun. Doch als ich mich suchend nach einem Blatt Papier umsehe, um ein Organigramm zu malen, fällt mein Blick auf meine Liste. Die von oben. Ist das auch genau das, was ich ändern sollte?
Kürzer treten, strukturierter sein und nicht mehr jede Aufgabe willig annehmen.
Jedenfalls hab ich furchtbar Hunger!

Brav lasse ich den Sonntag etwas ruhiger angehen, nämlich mit einem gemütlichen Brunch mit meiner Cousine und meiner Schwester.
Essen und Ratschen, das ist doch mal ein Plan.
Dann fühlt sich alles einfacher an. Dumm nur, dass mein Auge so nervt, tränt und juckt und mit den Kontaktlinsen nicht kooperieren will.
Habe ich etwa schon Heuschnupfen? Das wäre etwas früh im Jahr, aber soweit lässlich.
Chemo schlägt auf die Haut und da gehört, wie ich gerade lerne auch die Hornhaut dazu.
Noch was für die Liste. Die andere Liste. Die Fehlerliste, die Dinge also, die ich bekämpfen oder ignorieren muss.

Ich nutze den Nachmittag für eine Atemübung und Meditation zur Körperstärkung und denke mir einen Lichthelm, damit meinen Haaren nix passiert.Eigentlich war es ein schöner Tag, zumal er mit einem Biergartenbesuch ausklingt, ich habe echt ständig Hunger!
Das zeigt, dass auch (oder gerade) ein Krebsleben auch schön sein kann, weil man es bewusster lebt.
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