Freitag, 28. Juni 2013

Dienst nach Vorschrift?

Der nächste Tag ist der erste wieder im Büro und wenn man morgens mal nicht im Ausnahmezustand ist, fehlen einem die Rituale besonders. Insbesondere dass meine Katze, die sonst immer mit mir frühstückt nicht da ist, wurmt mich. Mein Mann meint, den Kater gesehen zu haben, aber ich fürchte, er will mich nur trösten.
Ich hoffe, dass mein Totemtier nicht kommt, weil er so kränklich mehr Schaden als Nutzen wäre und dass er dann bald doch kommt, wenn das hier vorbei ist.

In der Kanzlei ist heute Software-Schulung und ich bin überfordert, wenn ich nebenbei noch so viele andere Texte lesen, überarbeiten, vorbereiten und korrigieren soll. Es ist halt doch viel liegen geblieben.
Nach der Schulung steht eine Telefonkonferenz mit meinem Chef an, der irgendwie sauer ist, weil er mich angeblich nicht erwischt, was mich wundert, weil ich mein Handy eigentlich immer dabei hatte. Danach habe ich abends noch ein Meeting mit dem Chef-Chef und einem unserer größten Mandanten wegen einer Umstrukturierung.
Und danach bin ich superplatt, es ist alles anstrengender als früher.
Abends dann aber sitzen wir mit Freunden im Sommergarten und das alles ist schön und gut und fühlt sich richtig an. So wenn es bleibt, ist es gut.
3:0

Der nächste Tag beginnt wie jeder Freitag mit Blutabnahme, weil meine Kontrollwerte wöchentlich ins Krankenhaus gefaxt werden müssen. Wir diskutieren, ob man den Port verwenden will und entscheiden uns aufgrund meiner "tollen Venen" dagegen. Lieber Junkiearme als einen überlasteten Chemo-Arm.

Die Fahrt zum Mandanten am Flughafen ist die erste Krebsalleinfahrt und macht Spaß.
Ich bin immer gerne Auto gefahren.
Der Termin ist sehr anstrengend, was an der Mandantschaft liegt, aber im Ergebnis gut.
Mittags komme ich in die Kanzlei und arbeite auf, was liegen geblieben ist, jedenfalls teilweise. Ich muss mir eingestehen, dass ich mich etwas schlechter konzentrieren kann und schneller ermüde.
Die neue Software ist schwierig, aber das schaffe ich schon.
Nach einem Eis-Essen mit meiner Kollegin und einem gemeinsamen Kumpel komme ich relativ spät heim und bin bei einem lauen Sommerabend nach einer der längsten Wochen meines Lebens rechtschaffen müde.

Mein Mann nimmt mich in den Arm und eigentlich ist alles halb so schlimm.
5:0

Donnerstag, 27. Juni 2013

Days after

Ich wache auf und ich lebe noch. Also nicht nur so gerade eben, wie man mir das beschrieben hat, sondern so richtig lebendig lebend.
Das ist doch schon mal gut. Im Moment habe ich meine Chemo-Rechnung wie folgt aufgestellt:
8 Zyklen à 3 Wochen = 24 Wochen = 168 Tage. Tendenziell sind die alle schlecht. Jeder gute Tag ist also mein Gewinn.
Gestern war schon mal gut (für den Verwaltungszombie-Terror kann ja die Chemo nichts), also steht es
1:0 bei 167 Resttagen für mich.
Mal sehen, wie es heute wird.
Erschöpft von der Rechnerei (was auch nix mit der Chemo, sondern mit meiner miesen Matheleistung zu tun hat) gehe ich runter und hole mir Kaffee.
Ich bin etwas müde und zerschlagen, aber eigentlich ganz gut beisammen. Die Antikotzmedizin hilft jedenfalls. Außerdem hab ich Hunger!
Zur Belohnung darf ich mit meinem Mann – was sehr nett von ihm war – ein bisschen Shoppen gegangen (Blumen und so).
Im C&A habe ich mir ein paar Mützen und Hüte gekauft und danach waren wir bei verschiedenen Perückenläden. Das Gerenne ist anstrengend und heute ist es schwül. Das Mittagessen schmeckt mir jedenfalls. Dann zeig ich einer Kollegin noch schnell mein erwähltes Perücken-Lieblingsmodell namens EMMA, das im Rahmen der Perückenhaftigkeit ganz nett aussieht. Aber vielleicht brauch ich ja EMMA nicht. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass ich sie mir gleich kaufen kann, wenn die Haare ausgehen sollten. Noch hoffe ich ja, wenngleich mit nagenden Zweifeln.
Erstaunlich wie viele Menschen Perücken tragen, wenn man genauer kuckt.
Den Nachmittag hab ich mit Geschäfts- und Krebstelefonaten sowie Gartenarbeit im Sommergarten zugebracht, bevor wir ferngesehen haben, wobei ich dann müde eingeschlafen bin. Mir fällt ein, dass ich die Psychiaterin nicht angerufen habe und mich unbedingt auch um die KV und den Pflegeplan kümmern muss. Es ist wirklich eher die Koordination als die Krankheit. Und es ist eine Sache des Willens!
Nachts merkt man schon, dass sich was tut und die Energiearbeit vom Vortag wird anspruchsvoller.
Es ist wichtig, denke ich, dahinter zu stehen, was der Körper tut und ihn darin zu unterstützen.
Das ist ein emotionales (Ich glaub an Dich, Du schaffst das), das kein Verständnis erfordert, sondern einfache und klare Bilder. Ich bin zufrieden.

Mittwoch, 26. Juni 2013

Blutbad

Morgens bin ich mal zur Abwechslung in einem ganz anderem Teil des Krankenhauses. Die Größe des Komplexes beeindruckt mich immer wieder. Ich werde recht aufwändig belehrt und in einen OP-Kittel gesteckt und nochmals belehrt und großflächig mit so einer roten Desinfektionslösung eingepinselt und beruhigt. Wenn der Schlauch, der in die Ader eingeführt wird, ans Herz stößt, fühlt sich das unangenehm an und man erschrickt leicht, aber es ist ungefährlich. Der Schnitt kann ziemlich bluten, aber das ist nicht schlimm, da soll ich mich nicht aufregen, ob ich Blut sehen könnte? Ich nicke und versichere, dass ich schon sehr viel Blut gesehen hätte, meins und fremdes.
Dann werde ich nochmals beruhigt, ich müsse mir wirklich keine Sorgen machen. Und nochmals beruhigt, weil wir ein bisschen warten müssen (eine halbe Stunde. Bei der Chemo nennen sie mich wegen drei Tagen kleinlich!). Als ich nochmals beruhigt werde, beginne ich mich zu sorgen. Wirke ich so unruhig? Nein, ich hab eigentlich gelesen. Also geht die Krankenschwester davon aus, dass ich beunruhigt sein sollte. Warum? Wegen dem Herzstolpern? Wegen dem Blut? Haben die meine Blutgruppe? Was versteht eine OP-Schwester unter es könnte "ziemlich bluten"?
Wie ich es meiner Familie versprochen habe, versuche ich nochmals das Thema Arm oder Schlüsselbein als Port-Ort anzusprechen, finde aber nicht wirklich das Interesse des Arztes. Der meint nur, Arm sei besser und beginnt mit der OP. Das war recht cool, weil dadurch, dass der Arm genommen wurde, konnte ich zuschauen. Da wird erst örtlich betäubt, dann macht man einen Schnitt in die Haut, hebt an, löst die Haut ein bisschen von dem darunterliegenden Gewebe (Muskel?), damit der Port dann Platz unter der Haut hat. Dann wird eine Ader angeschnitten und ein dünner Plastikschlauch reingefädelt, der dann in der Ader bis direkt ans Herz geschoben wird. Der Arzt kontrolliert das auf einem Monitor, der leider hinter meinem Kopf stand, sodass ich das nicht sehen konnte. Ist ein bisschen komisch, weil man gar nix spürt. Das liegt daran, dass innen in den Adern keine Nerven sind und man daher nichts fühlt. Das muss so sein, weil man ja sonst das Blut fließen spüren würde... Mutter Natur ist schon ein ausgefuchstes Weib. Ich bin beeindruckt. Dann schiebt der Arzt den Port rein, fixiert den Port und näht den Schnitt wieder zu. Ich hab noch nicht einmal nennenswert geblutet. Soviel also zum Blutbad? Angesagte Katastrophen finden nicht statt, eh?
Schwupps darf ich mich wieder anziehen und verabrede mich mit dem Arzt in 6 Monaten wenn die Chemo vorbei ist und der Port wieder raus darf. Jetzt, wo er verstaut ist, sieht man gar nichts mehr von ihm, sondern nur einen Knubbel unter der Haut.
Gut gelaunt hüpfe ich in den zweiten Stock wegen meinem Chemo-Termin. Das Gespräch verläuft sehr kurz, aber gut. Der Termin am Montag steht (geht doch!!!).
Dann fahre ich in die Arbeit und gehe erst mal mit meiner Lieblingskollegin zum Mittagessen. Ich habe Hunger wie seit Tagen nicht.
Da es keine nebenwirkungsfreie Chemo-Therapie gibt, beschließe ich, den nebenwirkungsfreien Chemo-Patienten einzuführen.
Das ist ein Plan, der mir gefällt. Werde ich sicher nicht perfekt hinkriegen, aber man kann ja mal sehen, wie weit man mit dem Vorsatz kommt.
In der Arbeit vor der Chemo ist es schwierig. Ich bin sehr wacklig drauf, werde langsam nervös, aber alle drücken mir die Daumen (sehr, sehr nett...)
Am Rückweg von der Arbeit schaue ich - weil heute ein guter Tag ist - spontan im Perückengeschäft vorbei und bin begeistert von der netten Beratung. So schön wie meine Haare ist eine Perücke nicht, aber so schlimm ist es auch nicht und mein Schatzi fand mich dann in einer Kurzhaarperücke sogar nett.
Das Wochen
ende ist voll durchgeplant mit Arbeit, Reiten, Reiten, Garten, Fußball, Ikea, ... Aber das ist vermutlich gut so. Vor der Chemo mag ich nochmals Pflegesession einlegen, beschließe ich für mich. Indianer legen auch viel Wert auf Rituale.
Mein armer Körper hat es verdient, dass er noch mal gehätschelt wird. Außerdem ist das dann so eine Art Feier vor dem Krieg gegen den Krebs und dem ersten Kampfeinsatz...
Es bleibt spannend!

Dienstag, 25. Juni 2013

Anfänger-Chemo

Der erste Chemo-Tag begrüßt mich mit strahlendem Sonnentag. Wie sagte Jäger Kneissl, der an einem Montag hingerichtet wurde, an eben jenem? Die Woche fängt ja gut an. Genau...
Ich frühstücke nicht wirklich, aber lasse mir einen Milchkaffee schmecken und bin furchtbar aufgeregt. Es hat schon was von Hinrichtung, weil ich ja so gar nicht weiß, was kommt, aber gut, das wird sich ja jetzt ändern. Vorwärts durch und hinein ins Vergnügen. Mein Mann fährt mich ins Krankenhaus und ich stelle fest, dass mir die Hände zittern. Ich fühle mich schrecklich, ganz seltsam, ganz anders als sonst... und komme mir selbst fremd vor.
Im Krankenhaus geht es damit los, dass ich erst mal stationär aufgenommen werden muss. Ich staune, weil ich ja in den letzten drei Wochen fast täglich da war und auch nie aufgenommen wurde. Außerdem muss ich ja nicht bleiben, warum also stationäre Aufnahme? Nun, die Chemotherapie ist aus mir nicht nachvollziehbaren, weil mir auch gar nicht mitgeteilten Gründen eine "teilambulante Behandlung" und dafür muss man sich aufnehmen lassen. SUPER, dass einem das vorher kein Mensch sagt.
Die Schwester ist genervt und jagt mich zur Anmeldung, die am anderen Ende des Krankenhauses ist, gute 5 Minuten strammer Fußweg von der Chemo-Station entfernt. Mit dem freundlichen Hinweis: Beeilen Sie sich, sonst kommen Sie nicht dran, hetze ich los. So hab ich mir das vorgestellt. Jetzt kann ich noch hetzen, damit ich mich vergiften lassen darf.
In der Anmeldung ist um 8:50 h die Hölle los. Ich frage, ob ich wegen der Behandlung, die um 09:00 h beginnen sollte, vorgezogen werden könnte. Natürlich nicht. Also ziehe ich eine Nummer und falle fast in Ohnmacht: Wartezeit etwa 1:15 h. Also hetze ich im Dauerlauf zurück und komme schweißgebadet mit einem Puls kurz vorm Platzen in der Chemo
Die Schwester sieht, dass ich mit meinen Tränen kämpfe und erbarmt sich. Sie ruft in der Anmeldung an und schickt mich wieder runter. Drittes Mal, ich trabe los.
Dort lande ich in einem kleinen Zimmerchen bei einem Verwaltungszombie, von dem ich nach meinem Personalausweis gefragt werde. Damit hab ich nicht gerechnet, dass ich mich ausweisen muss, um meinen Chemo-Cocktail zu bekommen. Ich sage, dass ich keinen dabei habe und schon wird es schwierig. Die Anfrage bei der Krankenkasse dauert. "Sie sind nicht versichert. Die Kasse verweigert die Übernahme."
Zum ersten Mal dachte ich, dass ich ohnmächtig wäre. Ich komme mir vor wie in einem von Franz Kafkas Büchern. Es ist grotesk - das Schloss, der Prozess, das Krankenhaus?! Ich rufe meinen Mann an, bitte um Hilfe mit der Verwaltung, ich pack das alles nicht. Nicht heute!
Er sagt zu, dass er nochmals umdreht und vorbeikommt.
Ich laufe wieder zurück und erfahre, dass ich dann heute nicht drankomme. Immer noch außer Atem mit dem Gerenne, frage ich kurzatmig: "Das ist doch nicht Ihr Ernst?"
Die Schwester bläst gelangweilt durch die Nase und zuckt die Schultern. Ist das ihr Problem?
Und dann bricht die ganze aufgestaute Angst aus mir heraus. Ich laufe über. Endgültig und absolut. Ich breche wortwörtlich zusammen und finde mich auf dem Boden der Station sitzend in einem Tränenmeer wieder. Ich kann nicht mehr. Wie kann es dazu kommen, dass man auf dem Boden einer renommierten Universitätsklinik sitzt und heulend nach seiner Chemotherapie verlangt? Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es komisch. So war es aber nicht lustig, ganz und gar nicht.
Immerhin saß ich im Weg und damit zwang ich das Krankenhaus zu reagieren. Wäre ich in der Ecke gesessen, hätten sie mich wahrscheinlich ohne Ausweis und mit unsicherem Versicherungsstatus verschimmeln lassen.
station an und frage, ob ich mich nicht nach der Behandlung in Ruhe anmelden kann. Nein, natürlich nicht!
Mein Mann kommt und klärt dann auf, dass das Krankenhaus, das mit der Krebssache hier auch schon mehrere Rechnungen gestellt hat und dazu immer meine Krankenkarte eingelesen hat, eine alte Versicherung angefragt hat, die ich vor über 10 Jahren während dem Studium schon gekündigt habe. Als Kind war ich wohl mal mit der Familienversicherung hier gewesen, die heute verständlicherweise nichts mehr bezahlen will...
Ok, wenn das so ist, dann darf ich heute doch noch zur Chemo. Ausnahmsweise.
Ich werde also mit einem Schlauch versehen und dann in einen Stuhl gesetzt und bekomme meine Infusion. Wie das Häschen vor der Schlange starre ich auf den Tropf und frage mich, was mir jetzt wohl passiert. Was in mir passiert. Ich versuche zu lesen, aber ich kann mich nicht recht konzentrieren.
Ein Krankenhauspsychiater kommt vorbei und frägt, ob ich Hilfe brauche. Ob ich suizidgefährdet wäre, ob man mir mit meiner Krebsgeschichte aktuell die Chemo zumuten könne, wenn ich hier so zusammenbreche...
Ich versuche deutlich zu machen, dass ich mit meinem Krebs wunderbar zurecht komme, dass wir zwei uns einig sind, dass er raus muss und ich ihn nicht will. Dass es nicht um meine Krankheit geht, sondern darum, dass ich hier behandelt werde wie ein Tumor auf zwei Beinen, dass ich kein psycho-onkologisches Problem habe, sondern vielmehr ein psycho-administratives.
Das ist echt deprimierend. Aber immerhin versteht mich der Psychologe. Er lacht und gibt zu, dass er bei der Verwaltung auch Hilfe bräuchte. Ich lache mit und fühle mich seit Tagen endlich mal verstanden.
Ein Stündchen später kommt der Verwaltungszombie an meinem Stühlchen vorbei, weil er noch ein paar Daten von mir braucht, die ich ihm willig gebe. Er erklärt mir, dass ich mir gar nicht vorstellen könne, wie viel Arbeit er damit hätte, hier täglich hunderte Patienten durchzuschleusen.
Ich bin ehrlich und sage, dass ich mir das wirklich nicht vorstellen kann. Ich arbeite viel mit der Flughafen München GmbH und die muss täglich tausende von Passagieren durchschleusen, mit unterschiedlichen Zielen, aus unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen Sprachen...
Das könne man nicht vergleichen.
Das ist richtig, denn am Flughafen funktioniert es! Und die haben noch Cargo dazu.
Allmählich bin ich echt sauer.
Ich bin ja nicht wegen einer Botox-Schönheitskur hier. Ich bin nicht gerne hier und ich brauche Hilfe und bin kein Bittsteller, sondern teuer zahlender Kunde. Aber das sage ich nicht. Ich will nicht provozieren. Also ringe ich mir ein schiefes Lächeln ab.
"Es wäre sehr hilfreich, wenn es Checklisten gäbe, was man machen soll, wenn man zur Chemo kommt. Ich wollte ja nicht bockig sein. Aber ich muss wissen, dass ich mich anmelden muss, dass ich einen Personalausweis brauche, dass es nicht schadet, sich eine Decke mitzubringen und vielleicht eine Breze..."
Ob ich wüsste, wie viel Arbeit das sei?
Bevor ich darauf hinweisen kann, dass das einmal Arbeit aber tägliche Zeitersparnis sei und ein Dienst am gebeutelten Patienten noch dazu, mischt sich am Nachbarstuhl eine Leidensgenossin ein, dem Aussehen nach eine, die weiß, was passiert... Sie schaut den Zombie gelangweilt an und meint dann: "Fünf Minuten, einen Zettel und einen Stift. Ich schreibe Ihnen die Liste gleich hier."
Alle im Raum lachen und der Zombie geht.
Danach bin ich so fix und fertig, dass die restliche Chemo glatt geht, insgesamt brauche ich etwa vier Stunden. Auffällig viele meiner Mitpatienten haben auch keine Augenbrauen.
Mein Mann holt mich ab und wir fahren durch den Sommer heim. Mein Plan, den nebenwirkungsfreien Patienten umzusetzen funktioniert ganz gut. Daheim wird mir schlecht und ich erschrecke gleich, weil das bestimmt der Beginn der prophezeiten Übelkeit ist. Oh Gott! Dann knurrt mein Magen laut und vernehmlich, dass es fast fünf ist und ich vor lauter Aufregung noch nix gegessen habe - meine Übelkeit könnte trivialere Gründe haben: Hunger!
Während ich an einem Käsebrot kaue setze ich mich auf die Terrasse und erlaube mir, erschöpft zu sein. War ja auch spannend heute. Dabei komme ich schlagartig ins Schwitzen und mir wird grässlich heiß. Sind das die gefürchteten Hitzewallungen?
Oder liegt es doch daran, dass ich in der prallen Sonne auf der Holzterrasse mit einer schwarzen Bluse sitze?
Ich beginne zu ahnen, dass sehr viele Chemo-Symptome selbst gemacht sind. Kopfkino. Übelkeit und Schweißausbrüche sind klassische Angstsymptome. Also reg Dich nicht auf - nicht alles, was an Fehlermeldungen ankommt, ist von der Chemo verursacht. Cool bleiben, gechillt an die Sache rangehen.
Die vielen, vielen guten Wünsche, die abends eintrudeln sind wirklich positiv. Offenheit hat Vorteile, die abendlichen Telkos aber sind – wenn auch tröstlich, doch emotional anstrengend, da muss ich was anderes entwickeln.
Morgen wird es spannender.

Montag, 24. Juni 2013

Auf ein paar Tage kommts nicht an...

So direkt vor der Chemo lebt man zwischen allen Stühlen. Es ist eine Zeit des Hoffen und Bangens, der Kampfansagen und Angstattacken, des Wartenwollens und Nichtabwartenkönnens.
Ganz schlimm ist, dass einem wirklich alle Ärzte in bemerkenswerter Einmütigkeit immer wieder dasselbe erzählen: Man kann nicht sagen, was der Körper mit der Chemo macht. Wie man die Chemo verträgt, erfährt man erst, wenn das Giftzeugs drin ist. Also frage ich mal das Internet. Da sagen zwar gefühlte Millionen Leidensgenossen, wie es ihnen gegangen ist, aber wenn man ein Fazit zieht, ist man ein paar Stunden älter, der Chemo bedrohlich näher gerückt und weiß soviel wie zuvor - man kann nicht sagen, wie es mit der Chemo wird. Allerdings scheint schon ein ganz erheblicher Teil Kopfkino dabei zu sein. Das heißt, ich muss mich halt entsprechend gut einstellen auf das was kommt, dann kann es auch kommen.
Als dann der Assistenzarzt anruft und mir mitteilt, dass es beim Do-Termin bleibt, kriege ich einen Anfall und mache ihn rund.
Das ist nicht fair aber ehrlich. Ich habe eine Scheiß-Angst und brauch da jetzt echt nicht noch den Terminterror. Dieser Zusatzstress geht gar nicht.
Bei Laborratten kommt wenigstens der Tierschutz, wenn sie mehr als unvermeidlich gequält werden.
Ich frage mich, ob ich evtl. überempfindlich bin. Nein, bin ich nicht, beschließe ich.
Es geht ja nicht nur um mich und meine Angst, es geht auch um die Logistik. Gerade weil man nicht weiß, wie es mir während der Chemo geht, muss ich einfach etwas planen. Es hieß, die Chemo ist am Montag und entsprechend habe ich in der Arbeit terminiert. Mein Mann hat sich extra Zeit genommen, damit er von daheim aus Arbeiten kann und da ist, sollte es mir ganz schlecht gehen... Und daher hat er drei Tage freigeschaufelt (Montag, Dienstag, Mittwoch) und muss dann danach ein paar Auswärtstermine wahrnehmen, also ab wann? Genau! Donnerstag. Nein, auch ein paar Telefonate bei mir ergeben, das kann ich nicht so einfach umdisponieren. Warum soll ich jetzt alles über den Haufen schmeißen? Das kommt nicht in Frage. Für die Chemo brauchen wir auch keine Geräte oder so was, sondern bei genauerer Betrachtung nur einen Stuhl und einen Haken, an den man die Infusion hängen kann. Zur Not nicht mal einen Stuhl. Das sage ich so auch dem Arzt. Der meint, dass ich mich nicht so haben soll (wörtlich!). Ich weise ihn auf seine eigene Chemo-Belehrung hin, wonach man zwischen leichter Übelkeit und Intensivstation gar nicht sagen kann, wie es werden wird. Ich finde nicht, dass ich übertreibe, wenn ich also damit rechne, dass es mir nicht so ganz gut gehen wird und ich daher a) meine Ruhe und b) eine Aufsicht haben mag. Das kann ich am Donnerstag ja genauso, meint der Arzt. Wenn der dritte Tag der kritische ist, dann ist das beim Donnerstag-Start, der Sonntag. Also jener Arzt, wo nur Notdienste in Krankenhäusern und Apotheken sind. Nein, da will ich keine Chemo. Der Arzt will mich beruhigen. Der 3. Tag sei gar nicht der schlimme. Gefährlicher sei das Immuntief, das am 10. Tag ist. Ich bin jetzt anerkanntermaßen kein Mathematiker, aber wenn der 3. Tag auf einen Sonntag fällt, dann ist der 10. Tag... auch ein Sonntag.
Unser Gespräch stagniert.
Ich avisiere mein Vorbeikommen, da ich eh im Krankenhaus bin, um mir den Port legen zu lassen (damit am Montag pünktlich die Chemo beginnen kann).
Abends sitze ich daheim und weine ein bisschen. Vor allem, weil mich diese Nebenkriegsschauplätze aufreiben. Ich fühle mich ziemlich allein. Warum helfen die einem nicht, sondern schubsen einen nur herum?

Sonntag, 23. Juni 2013

Demolition Man

Der Tag begann damit, dass die Klinik anrief, um den Termin zum Port-Legen zu verschieben. Das ist blöd, denn den brauch ich für die Chemo und die Chemo wiederum kann erst starten, wenn der Port lang genug drin ist (5 Tage in meinem Fall), um sich eingewöhnt zu haben und den Schnitt abheilen zu lassen.
Ports sind Kathetersysteme, die unter die Haut geschoben werden, um die Venen bei regelmäßigen Infusionen zu entlasten. Vom Port wird dann ein Schlauch durch die Venen bis direkt vors Herz geschoben, damit das Chemo-Gift dann nicht im Arm in mein Blut eintropft, sondern direkt am Herzen. Das klang für mich auf den ersten Blick total bescheuert, weil ich lieber meinen Arm als mein Herz riskieren will. Aber die Erklärung hat mich dann doch beruhigt. Am Herz wird mit Hochdruck das Blut in den ganzen Kärper verteilt. Das bedeutet, dass sich auch das Chemo-Gift sofort maximal verteilt, während es im Arm erst mal mühsam wegtransportiert werden müsste und daher dort mehr Schaden anrichtet als erforderlich. Na, immerhin klingt das so, als hätte man da richtig nachgedacht. So erschreckend das alles ist, ist es irgendwie auch tröstlich und ich fühlte mich kurzfristig gut aufgehoben.
http://www.port-katheter.de/portkatheter/portkatheter.html
Aber wie eigentlich immer hält die vertrauensvolle Stimmung nicht an, denn wenn die jetzt den Port-Termin verschieben, dann verschiebt sich alles andere auch. Ich beschwere mich und hoffe, dass wir dann den Termin so legen, dass wir insgesamt noch im Zeitplan bleiben.
Während ich noch auf den Rückruf wegen dem neuen Termin warte, kommt meine Cousine vorbei und warnt mich eindringlich davor, den Port wie geplant in den Arm legen zu lassen. Am Schlüsselbein sei ein viel besserer Ort, da gäbe es weniger Komplikationen. Ich soll unbedingt wiedersprechen, wenn der Port am Arm gelegt werden soll. Das verunsichert mich, weil ich hätte wegen der Beule, mit der sich der Port unter der Haut abzeichnet doch deutlich diskreter gefunden. Immerhin könnte auch in München jetzt dann irgendwann mal Sommer sein und da mag ich nicht hochgeschlossen rumlaufen, damit keiner die Beule sieht und nachfragt. Ich nehme mir vor, das vor dem Eingriff nochmals anzusprechen. Für den Arzt wird es ja nicht das ganz große Problem sein, da nochmals umzudisponieren und das Schlüsselbein statt den Arm zu nehmen.
Auch die Chemobelehrung am Nachmittag ist superdeprimierend, ich komm mir vor, wie im falschen Film.
Da kommt ein junger Assistenzarzt rein und setzt sich mir mit einer Mischung aus Grabesernst und Genervtheit gegenüber und beginnt mit den denkwürdigen Worten: "Sinn der Chemo ist es, Ihren Körper so weit zu zerstören, dass er es gerade noch überlebt." Während ich noch an dem Prolog zu knabbern habe, verpasse ich ein paar der üblichen Nebenwirkungen - Übelkeit, Haarausfall undsoweiterundsoweiter. In regelmäßigen Abständen kommt wieder dieses "wir zerstören Sie".
Beim dritten Mal hebe ich die Hand und widerspreche. "So geht das nicht. Das wird so nichts."
Erstauntes Schweigen.
"Ich will sagen, so können Sie mit keinem Menschen reden. Ich bin ja nicht zum Spaß hier, da will ich diese Zerstörungsorgie nicht hören. Das ist kontraproduktiv."
Erstauntes Blinzeln. "Aber so ist es. Damit müssen Sie sich abfinden. Ihr Körper wird zerstört..."
"Nein!" Das Gefühl im falschen Film zu sein, verstärkt sich. "Sagen Sie, der Krebs wird zerstört. Das klingt gut, da ist jeder Patient bei Ihnen, denn genau dafür ist er ja zu Ihnen gekommen. Machen Sie dann weiter mit das wird nicht ohne Nebenwirkungen abgehen... Da nickt man dann zwar nicht mehr ganz so herzlich, aber das war ja jedem schon vorher klar. Das kann man ertragen. Dann weiter mit aber wir werden alles tun, um diese Nebenwirkungen so gering und erträglich wie möglich zu halten... und dann fliegen Ihnen die Herzen zu. Da sind wir ein Team, das vereint und schafft positive Energien."
Wie gesagt, es ist ein junger Arzt. Der könnte noch lernen. Vielleicht bringt es ja was, wenn wir hier Kommunikationstraining machen. Erstaunlich das Ärzte da offenbar überhaupt keine Ausbildung bekommen.
Wir unterhalten uns dann noch über verschiedene sonsstige Nebenwirkungen. Rissige Haut, taube Hände, vorübergehender Verlust der Geschmacksnerven... Ist alles nicht so prickelnd.
Er kommt dann auf Atrosegefahren und Depressionen als Nebenwirkungen zur Chemo zu sprechen. Beides Krankheiten, für die ich eine gewisse Anfälligkeit zeige. Als ich darauf hinweise - beides sollte eigentlich schon in meinem Krankenblatt stehen - zeigt sich mein Arzt so überrascht wir hilflos. "Tumortherapeutisch ist die vorgeschlagene Therapie die Beste."
"Ja", räume ich ein, weil ich ihm das sofort glaube. "Aber ich hab weder was davon, wenn ich danach krebsfrei im Rollstuhl sitze oder von der Brücke springe."
Als im weiteren Verlauf auf jede meiner Fragen immer erklärt wird, dass dies oder jenes tumortherapeutisch das beste sei, bitte ich darum, auf dieses t-Wort zu verzichten. Ich hätte gerne einen gesamtheitichen Ansatz, denn ich bin nicht nur ein Tumor auf zwei Beinen. Wenn aufgrund meiner Familienneigung zu Depressionen und meinen schlechten Gelenken, in Bezug auf ebendiese Depressionen und Atrose eh schon erhöhtes Risiko
besteht, wäre dann nicht eine andere Medikamentenzusammensetzung - so geeignet sie tumortherapeutisch auch sein mag - eine individuell für mich bessere - unter einem ganzheitlichen Ansatz?!
Trotz meiner Mühen komm ich aber nicht gegen das Regime an und fühle mich dann tatsächlich wie ein wandelnder Tumor. Als Mensch bin ich völlig egal.
Selbst die Beipackzettel für die Medikamente bekomme ich nur mit Druck. "Die verstehen Sie eh nicht", sagt der freche Kerl.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln. "Dann können Sie sie mir ja auch geben. Sie ersparen mir nur eine mühselige Internet-Recherche und ich habe einen Anspruch darauf. Sie wollen doch, dass ich diesen Zettel unterschreibe."
Ich kriege die Zettel.
Die Chemo selbst läuft in 6-8 Einheiten ab, mit immer drei Wochen Pause dazwischen. Infusionen, die mehrere Stunden dauern. Das Immuntief und damit die gefährlichen Tage sind immer am 3. Tag nach der Infusion. Da ist dann der Zellnachschub unterbrochen, weil die von der Chemo zerstörten Zellen fehlen und die neuen noch nicht wieder da sind. So jedenfalls hab ich das verstanden. Davon sind auch die weißen Blutkörperchen betroffen, die wiederum als Immunpolizei im Körper tätig sind.
Nach meinen Erfahrungen kann ich nur empfehlen, sich auf so ein Chemo-Gespräch vorzubereiten und auch nach Möglichkeit sich Fragen zurecht zu legen. Gerade wenn man schon Vorerkrankungen hat, kann man das gar nicht deutlich genug ansprechen, weil es sonst in der Akte - leider - schnell untergeht. Einen Einstieg für die Vorbereitung findet man hier.
http://www.krebsinformation.de/wegweiser/iblatt/iblatt-behandlungswahl.pdf
Leider sind meine Erfahrungen kein Einzelfall. Ich habe das oft (aber nicht immer) auch von anderen Patienten sowohl in meiner als auch in anderen Kliniken gehört - und bei Weitem nicht nur Krebspatienten. Gerade in den großen Kliniken sind die Ärzte so in der Maschine gefangen, dass sie gar nicht mehr den Menschen sehen, sondern nur den Fall selbst. Ich habe nie böse Absicht oder auch nur Gleichgültigkeit bemerkt. Gar nicht, nur eben aus Routine und engen Abläufen heraus geborene Gleichgültigkeit.
Aber das sollte nur den Ton der Fragen bestimmen, aber nicht ihre Hartnäckigkeit in Bezug auf die Antworten. Gerade weil ein überarbeiteter, gestresster Arzt nicht alle Details in den Akten im Kopf hat (auch wenn es wünschenswert wäre), sollte man auf alles, was relevant sein könnte hinweisen.
Ich habe beispielsweise vergessen, auf meine Kontaktlinsen hinzuweisen und als ich dann Probleme mit den Augen während der Chemo hatte, wurde mir gesagt, dass ich keine KL hätte tragen sollen... Wär ich nicht darauf gekommen und vorher hat auch kein Arzt gefragt. Der Aufwand jedenfalls lohnt sich und ich habe mich sogar mit meinem "Demolition Man-Arzt" dann wirklich gut verstanden. Auch wenn das noch ein Stück Weg war.

Freitag, 21. Juni 2013

Das Kind beim Namen nennen

Als ich am Montag in die Arbeit komme hängt mir das Wochenende noch in den Knochen. Das anhaltend schlechte Wetter passt zu meiner Stimmung. Bleibt zu klären, was zuerst da war, die schlechte Stimmung oder der Dauerregen?
Für meine Familie wird der Krebs allmählich zur Normalität. Das Thema nützt sich ab, auch weil es so allgegenwärtig ist. Ich bin zwiegespalten. Einerseits ist es natürlich gut, wenn Normalität einkehrt. Andererseits ist es beruhigend zu wissen, dass man Hilfstruppen hat, über die man ggf. verfügen könnte. Jetzt scheint es eher so zu laufen, dass es normal ist, wenn es mir schlecht geht und deshalb die Hilfstruppen frei haben.
Blödblödblöd - wie bin ich denn drauf? Statt dass ich mich freue, dass es für meine Familie nicht ganz so belastend ist, entdecke ich eine völlig neue, bisher nie dagewesen Seite an mir - die Diva. Ich kann mich selbst nicht leiden und verkrieche mich hinter meinen Schreibtisch. Meine Gedanken beginnen vom Schriftsatz weg zu mäandern und ich bleibe wie so oft bei der Chemo hängen. Die Vorstellung meinen Körper zu zerstören ist grässlich.
Nachmittags habe ich dann mal wieder einen Termin beim Arzt. Mittlerweile weiß ich sogar schon, wo es hier die "geheimen" Parkplätze gibt. Das ist ein schlechtes Zeichen - ich werde heimisch.
Der Arzt erklärt mir nach der heute mit 30 Minuten unüblich kurzen Wartezeit wie der Tumor heißt. Ich war am Wochenende fleißig und habe mit Tante Google herausgearbeitet, wie sich so ein Tumorname zusammensetzt, und deshalb verstehe ich, wovon wir hier sprechen - und zwar ohne dumm nachfragen zu müssen.
Die für die Recherche beste Seite war die des Deutschen Krebszentrums. Dort wird für einen Laien echt gut diese Abkürzungs-Geheim-Code-Tumor-Klassifizierung beschrieben.
http://www.krebsinformation.de/untersuchung/tnm.php
Aber zurück zum Arztgespräch:
Weniger schön ist, dass mein Tumor also von der aggressiven, rasch streuenden Sorte ist. Ein Killertumor. Noch weniger schön ist, dass er mir die härtest mögliche Chemotherapie empfiehlt, wir rechnen gemeinsam mit Prozenten um mein Leben. Je mehr ich an Lebensqualität jetzt abgebe, desto mehr Leben kann ich (rechnerisch) haben. Klingt irgendwie nicht wirklich nach einem Schnäppchen.

Na, egal. Der Arzt bemerkt meine zu trockenen Hände und das mehrfach eingerissene Nagelbett (hab ich schon immer). Ein strenger Blick. "Bringen sie die Ordnung", sagt er. "Während der Chemo ist jeder Infekt ein Risiko. Pflegen Sie Ihre Hände mehr, Sie bekommen sonst Probleme."

Ich schlucke an einem plötzlichen Knoten. Es ist ja nicht so, dass ich an meinen desolaten Fingern hinge und nicht auch gerne Model-Hände hätte. Aber irgendwie gefällt mir der Kontext nicht. Angst winkt mir freundlich zu. Herrje.

Also spreche ich auch gleich an, dass viele Chemotherapien relativ weit oben auf der Liste der Nebenwirkungen Depressionen stehen haben. Da in meiner Familie eine gewisse Neigung zu Depressionen und psychischen Verstimmungen besteht, spreche ich das an. Leider spreche diesmal fast ausschließlich ich, mein Arzt hält sich bedeckt. Tja, die Räder laufen eben nicht wirklich interdisziplinär. Mit der Sorge bin ich also allein.

Nächste Woche geht die Chemo los und davor habe ich noch ein ausführliches Aufklärungsgespräch. Wenn ich nicht zu deprimiert bin, kann ich da ja meine Depressionsfragen anbringen. Hahaha. Immerhin habe ich jetzt 20 Seiten Standardvordruck als Hausaufgabe im Täschchen. Die kann ich daheim schon mal lesen, damit ich weiß, was ich unterschreiben soll, bevor die Chemo losgeht.

Am Abend mit Freunden im Kino kann ich mich ein bisschen ablenken. Das ist gut. Und ich habe zum ersten Mal seit Tagen Hunger. Das ist gut, denn ich muss essen. Ich brauch jetzt Kraft.
Natürlich kann ich nachts nicht schlafen, irgendwie bin ich nicht auf der Höhe, darum lese ich die Chemo-Belehrung, habe dann mehr Fragen als vorher und bin tiefendeprimiert.

Donnerstag, 20. Juni 2013

Nackt

Nach meiner Bekenner-Mail sperre ich am nächsten Tag mit natürlich gemischten Gefühlen die Bürotür auf und bin froh, dass ich auf dem Gang niemandem begegne, als ich mich in mein Zimmerchen bewege.
In der Arbeit bemühen sich die meisten nach der Mail um freundliches „Reden wir nicht drüber“, was mir sehr willkommen ist. Ein paar sprechen mir auch Mut zu, ich erfahre, wer nicht alles Krebs im engsten Familienkreis hatte. Das scheint echt eine Volksseuche zu sein. Am meisten freuen mich die Worte einer Kollegin, deren Mann am Krebs gestorben ist: "Du wirst Dich doch von einem Krustentier nicht bezwingen lassen!" Da musste ich sogar lachen. Aber auch diese positiven Reaktionen sind sehr aufwühlend und ich bin heute emotional massiv instabil.
Beim Gedanken an die Chemo, der immer dann zurückkommt, wenn er nicht vom Tagesgeschäft erfolgreich verdrnängt wurde, verändert sich mein Körpergefühl, denn mich schmerzt zutiefst, dass ich meinen Körper so schinden werden muss; dass ich es bin, die ihn zu diesem Leid verurteilt. Auch darüber muss ich in Ruhe nachdenken. Auch das ist etwas, was mein persönlichen Werte massiv verändert.
In einer Besprechung rumple ich mit dem Kollegen zusammen, der mir schon vor dem Krebs auf die Nerven gegangen ist.
Meine Nerven liegen einfach offen auf und mir muss dringend was einfallen, das in den Griff zu bekommen. Ich werde auf alle Fälle das Angebot, mir einen psychoonkologischen Termin geben zu lassen, aufgreifen. Das nehme ich mir fest für Montag vor.
Abends erleide ich dann einen vollkommenen Nervenzusammenbruch und breche mit meinem Mann einen in der Sache gerechtfertigten, in der Wahl der Mittel jedoch vollkommen überzogenen Streit vom Zaun, der in Monstergeheul und tiefer Scham endet. Dafür habe ich dann auch noch eine wichtige TelKo mit den USA vergessen, das ist echt unprofessionell und mein Talent, auch so etwas hintenrum noch einigermaßen geradeziehen, führt nicht dazu, dass ich mich besser fühle.
Weil ich es mir vorgenommen habe, informiere ich mich im Internet über Perücken, gebe das dann aber auf. Das Angebot ist überwältigend und man kommt nicht darum herum, sie anzuprobieren. Also spar ich mir das und gehe in ein Spezialgeschäft. Das Internet spuckt mir wenigstens ein paar Adressen in der Nähe aus.
Heute ist der bisher schlimmste Tag.

Mittwoch, 19. Juni 2013

Bin ich Sondermüll?



Heute war sie also, die Besprechung der ich mit Ungeduld entgegen gefiebert habe, mit Panik näher kommen sah und mit mir bisher unbekanntem Fatalismus über mich ergehen ließ. Die Therapiebesprechung.

Der Termin war extrem anstrengend.
Erst die Anfahrt mit Zwischenstopp in der Arbeit, ich kam mir vor wie auf dem Weg zu einem Femegericht, von dem man vorher weiß, dass es mit einem Todesurteil enden wird. Mein Mann sagt, ich neige zur Theatralik, aber das ist nichts Neues, das tat ich auch schon unter günstigeren Vorzeichen, im Guten wie im Schlechten.

Wirklich mies ist dann die endlose Warterei im Krankenhaus und dabei der Anblick der auschwitzverdächtigen Krebspatientinnen mit „ohne“ oder „fast ohne“ Haare...
Es ist mir peinlich, aber das Haarthema ist echt ein Riesenpunkt, das hätte ich früher als Außenstehende nie geglaubt. Irgendwas in mir wehrt sich so hochhysterisch gegen den Haarverlust, ich kann es rational überhaupt nicht begründen - ändert aber nichts daran, dass es wirklich heftig ist und wenn man bei Tante Google mal so nachfragt, ist das auch kein Einzelschicksal. Das tröstet mich ein bisschen.

Also, halten wir fest: Haare verlieren ist SCHLIMM. Man muss sich da nicht schämen, wenn das einen beschäftigt. Man ist nicht albern und die Gefühle haben vielleicht keine Begründung, sicher aber eine Berechtigung.

Nachdem das nun also geklärt ist, muss ich mich mit einer Strategie befassen, die mir einen Umgang mit dem Problem, den Emotionen und dem Unabänderlichen ermöglicht. Wieder ein Punkt auf meiner To-Do-Liste.

Aber wo war ich stehen geblieben? Ah ja, im Krankenhaus, beim Therapiegespräch.
Das Gespräch selbst verläuft gemischt, wobei der Arzt sich wirklich Zeit nimmt, was gerade in einer großen Uni-Klinik keine Selbstverständlichkeit ist. Positiv ist zudem, dass mein Krebs so therapeutisch "gut" ist, wie ein böser G3-Tumor mit Lymphbefall es überhaupt sein kann. Positiv ist weiterhin, dass ich Sport machen kann und soll.

Negativ ist, dass ich definitiv meine Haare verlieren werde, dass ich mit heftigen Reaktionen in Bezug auf Fieber und Übelkeit zu rechnen habe und dass ich schlussendlich wegen der Zerstörung meines Knochenmarks „Null Abwehrkräfte“ haben werde.
Die Nebenbemerkung, dass man bei einer Chemo eher zu- als abnimmt, deprimiert mich dann vollends.

Streng ermahne ich mich, keine Energie auf Nebenkriegsschauplätzen zu vergeuden und ein paar Pfunde mehr sollten gerade mein geringstes Problem sein.

Insgesamt ist es so, dass die Chemo meinen Körper radikal umbauen wird, dass schnell teilende Zellen "platt gemacht" werden und mein Knochenmark "zerschossen". Im Internet finden sich Hinweise, dass eine Chemo 10 Lebensjahre Fitness kosten, dass die Stoffe bis zu 5 Jahre im Körper bleiben, andere Quellen sprechen nur von 3 Jahren, aber das reicht mir auch und ratlos stehe ich vor dem Spiegel: Bin ich jetzt Sondermüll?
Zuhause angekommen, setze ich eine Mail auf, mit der ich meine Kollegen von meiner Krankheit informiere und in Bezug auf die zu erwartenden Änderungen in den Abläufen um Verständnis bitte. Das hatte ich mit den Chefs so besprochen, damit es da zu keinen Irritationen kommt.

Ich bastle den halben Abend an der Mail, bin dann aber ganz zufrieden. "Unverhofft kommt oft und nicht immer ist es etwas Positives. Bei mir wurde ein bösartiger Brusttumor festgestellt, ..."

Dann schicke ich die Mail ab und bin erleichtert und irgendwie aufgeregt. Dadurch, dass ich mich "oute", bin ich irgendwie "kränker" als vorher. Aber irgendwie eben auch nicht mehr nur Opfer, sondern auch Kämpfer. Das fühlt sich gut an. 
 
Das will ich beibehalten.

Dienstag, 18. Juni 2013

Business unusual

Ich bin jeden Tag ein bisschen müder und jeden Tag fehlt mir mein Kater ein bisschen mehr. Eigentlich habe ich im Augenblick genug andere Probleme, auf die ich mich konzentrieren sollte, aber es ist nun einmal so, dass mich die Ungewissheit, was mit dem blöden Vieh ist, mehr beschäftigt als mein Krebs. Vielleicht ist das so eine Übersprungreaktion? Ich hatte da mal was in Bio gelernt. Weil mir das eine zuviel ist, regt man sich über das andere auf?
Fragen über Fragen.

In der Arbeit ist es schwer, sich zu konzentrieren.
Schriftsätze schreiben, Mandantentelefonate, Meetings. Business as usual. Naja, nicht wirklich. Ich laufe da auf Automatik, mach meine Routine, reicht ja auch mal, aber es fühlt sich nicht richtig ein. Was mache ich da?
Mir erscheint alles so furchtbar unwichtig...
Aber was ist wichtig?

Das ist etwas, worüber ich mal in Ruhe nachdenken will.
Es ist erstaunlich und faszinierend, wie sich in Bezug auf Dringendes und Wichtiges aktuell die Perspektive verschiebt. Das ist etwas, was durchaus eine bereichernde Erfahrung sein kann. Nicht alles, was mir dieser Tage widerfährt, ist schlecht und wenn ich daraus mehr machen könnte, könnte sich am Ende dieser Alptraum ja sogar "rentieren"...
Nein, ich kann wirklich Keinem empfehlen, über Krebsdiagnosen nach sich selbst zu suchen. Aber die Diagnose ist nun einmal da und sie ist nun einmal beschissen und aber auch wirklich alles, was ich da jetzt Positives oder Semi-Positives rausziehen kann, macht es definitiv BESSER. Noch lange nicht gut, das ist richtig, aber immerhin, einen Schwenk in die richtige Richtung.

Also, nachdenken, was mir bisher wichtig war und warum.
Nachdenken, was mir jetzt wichtig ist und warum .
Vordenken, was mir künftig wichtig sein sollte und warum.
Mal sehen, wieviel ich davon durchhalte.
In der Hoffnung, mich noch weiter aufzuheitern, schau ich nach einem Pferd, fände sogar was, aber was soll das bringen, wenn ich doch eigentlich das nächste Jahr mehr tot als lebendig sein werde?! Mir graut...

Fazit: Zu weit in die Zukunft planen, empfinde ich derzeit eher als Belastung. Auch recht. Dann lebe ich einfach mal Tag für Tag.
Carpe diem, wie der Lateiner sagt.
Ist auch nicht schlecht.

Montag, 17. Juni 2013

Knochenhart


Sando ist jetzt 2 Wochen weg. Das ist sehr belastend. Wo ist meine Katze?
Ich weiß nicht, ob mich meine Katze mehr vom Krebs ablenkt oder umgekehrt. Im Ergebnis ist das auch egal, der Krebs verlangt nach Aufmerksamkeit. Heute stehen spannende Untersuchungen an.

Deshalb muss ich morgens supernüchtern (sogar ohne Flüssigkeit) zum Röntgen, ins Sono und danach zum Knochenszintigrafie... Die Knochenszintigrafie ist technisch hochspannend. Wenn der Anlass nicht so traurig wäre, wär das echt ein Erlebnis. Toll, was man so alles machen kann....
http://de.wikipedia.org/wiki/Skelettszintigrafie
 
Da sich immer ein paar Pausen ergeben (so ganz lässt sich meine Untersuchungs-Ralley nicht ohne Unterbrechungen darstellen), fahre ich durch den Nieselregen in die Stadt, um ein paar Krebsbücher zu kaufen. Ich bin erstaunt, wie viele es gibt und entscheide mich dann für ein einigermaßen seriös aussehendes Ernährungsbuch und eines über Grundwissen Krebs, das nicht schaden kann. Aus der Vielzahl der Meinungen kann man sich furchtbar schlecht ein Bild machen und dann erzählt jeder was anderes... Am Ende ist man dann doch wieder auf den Arzt angewiesen und ich bin echt froh, wenn ich dann wenigstens ein bisschen Vorbildung mitbringe.
Währenddessen versuche ich, Energieübungen für meinen Körper zu machen, mit dem wir uns auf die Chemo vorbereiten. Inklusive einer Haarzellteilungsstoppmediation zur Überlistung der Chemo. Wenn man die Zellteilung unterdrückt, würde die Chemo den Haaren nichts ausmachen, da diese ja nur während der Zellteilung angreift (hat aber - wie sich herausstellen wird - überhaupt nix geholfen!).

Dann sitze ich beim Arzt und freue mich mit ihm über das Untersuchungsergebnis: Mein Bauchgefühl hatte recht – es gibt keine Metastasen. Nix. Das ist so überraschend wie erfreulich. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Tumor noch nicht gestreut hat, nachdem gleich zwei Lymphknoten eingewachsen sind, war gegen Null - oder jedenfalls verschwindend gering. Na, ab jetzt wird alles gut, beschließe ich für mich. Leider gibt es keine Chemo-Entwarnung, denn für den Fall, dass irgendwo noch eine hässliche, kleine Al Quaida Zelle herumspukt, wäre das Risiko, auf die Chemo zu verzichten zu groß.
Zur Belohnung gehe ich mit meinem Mann und meiner Kollegin zu meinem Lieblingsinder Mittag Essen. Die Stimmung ist etwas gedrückt, denn unweigerlich frage ich mich, wie lange ich mich noch über Essen freuen kann. Während der Chemo ist einem ja oft furchtbar schlecht und der Geschmackssinn verändert sich auch, weil die Mundschleimhäute wie alle Hautzellen auch zu den schnell teilenden Zellen gehören...

Auch in der Arbeit am Nachmittag in der Kanzlei dreht es sich mehr und mehr um meinen Ersatz, der so wie die Chemo näher rückt, unaufhaltsam in den operativen Fokus gelangt... Und schon wieder bin ich gedanklich bei der Chemo, deren lange Schatten vorauseilen und mich längst in ihren Fängen halten. Plötzlich ist mir ein bisschen zum Weinen zumute - und zwar auch ohne Metastasen.

Folgerichtig zeichnen sich am Abend erste Beziehungsspannungen ab. Mein Mann, meint ich mache alles falsch, nichts richtig und undankbar sei ich auch, weil ich statt mich über die Metastasenflaute zu freuen, wegen der Chemo hadere...
Aber so ist es nun einmal, je gesünder ich bin, je mehr die Chemo lediglich prophylaktischen Zwecken dient, desto geringer meine Begeisterung, auf Haare, Gesundheit, Bewegung, Leistung für einen sooooo langen Zeitraum zu verzichten. Den Karriereknick bemerke ich jetzt bereits, die zu erwartenden 50% Schwerbehinderung haben mich auch geschockt.

Während ich Daheim noch über meinen Verträgen brüte und meine To-Do-Listen aktualisiere, kommen immer wieder Zweifel.

Ich fürchte mich wirklich davor, dass mir die Chemo sämtliche Möglichkeiten einer Depressions-Vorbeuge-Therapie nimmt. Wobei es mir da weniger um den Sport an sich als um Tempo und Arbeit geht... Alles sehr schwierig.

Den Abend verbringe ich allein oben in der Bibliothek, während mein Mann unten sich Fußball ansieht und sich von mir erholt. Ich bin sehr uneins mit meinem Gefühlen. Sehr getroffen hat mich der Vorwurf, dass mein Chef zu meinem Mann gesagt habe, wir würden heute gewiss feiern, weil er mich wohl nicht kenne und nicht wisse, dass ich immer nur schwarz sehe. Er kennt aber auch meinen Mann nicht, der doch nicht mit mir feiert, wenn er mit einem Bier auch das Finale ansehen kann...
Ist am Ende meine Beziehung das eigentliche Problem?

Samstag, 15. Juni 2013

Fragenmarathon

Auch diese Woche beginnt zäh.

Draußen brütet der Sommer, aber meine Seele spielt Sibirien.

Die erste Hälfte des Tages verbringe ich damit, auf den Anruf der Klinik zu warten, was jetzt eigentlich los ist. Es scheint wirklich sehr schwierig zu sein, sich um die Routine-Planung zu kümmern. Letztlich ist so eine Krebs-Therapie nichts anderes als eine hässliche Art von Zirkeltraining. Man muss eben irgendwie verschiedene Stationen abklappern. Erst um die Diagnose festzustellen, dann um die Voruntersuchungen für die Behandlung durchzuführen (wie gesund ist mein Körper, was kann man ihm zumuten) und dann... ja dann geht es um die Behandlung selbst, die mit Chemo, Bestrahlung und OP tatsächlich auch eine harte Übung darstellt.

Aber ich schweife ab, denn eigentlich warte ich ja auf den Anruf der Klinik. Die Beschäftigungsversuche scheitern wie üblich in Bezug auf Ablenkung. Es gibt im Web viel darüber zu lesen, wie schwierig die Behandlung wird, was einen bei Chemo und Bestrahlung erwartet und wie grässlich es wird, wenn der Krebs nicht weggehen sollte, aber kein Mensch erzählt, wie garstig es einfach schon ist, dass man ständig WARTET. Ich hasse das, ich hasse die Ärzte und meinen Krebs. Den vor allem.
Mittags übergebe ich mich vor lauter Nervosität. Na, das könnte ja bei der Chemo zur Regel werden, von daher schadet etwas Übung wohl nicht. Trotzdem...

Das Countdown-Gefühl steigt.

Da ich meine Tage kriege, spielt wohl die Hormonschwankung mit rein. Das soll sich bei der Chemo ändern - aber denen weine ich nicht nach.
Nachmittags erwischt Andi dann zwischen Wertstoffhof und anderem endlich den Arzt. Chemo-Vorbesprechung am Donnerstag, da haben wir auch die Ergebnisse von morgen. Blut, Kernspin und Rezeptorenbefund ist gut.

Mein Arzt ist fast schon euphorisch, weil die Rahmenbedingung offenbar so gut und mein Tumor so selten er auch ist, aller Statistik zum Trotz dennoch nicht gestreut hat.
Noch nicht.
Ich kann mich nicht wirklich freuen, weil ich nicht überrascht bin, dieses „Alles wird gut“-Gefühl hatte ich vorher auch schon. Es ist eine seltsame Zuversicht, die ich im Bauch spazieren trage, so sehr sich der Kopf auch sorgt. Ich versuche, dem Bauch zu gehorchen.
Spannend, dass der Tumor so ungewöhnlich ist. Schnell wachsend, aggressiv (gut für Chemo – B3) einerseits und mit hoch ausgebildeten Rezeptoren sowohl für Östrogen als auch für Progesteron (gut für Hormontherapie), das ist selten. Bzgl. des überraschend nur mittel ausgefallenen HER2NEU Werts ist eine neue Analyse angefordert. Fazit: Das Ding kriegen wir platt, allerdings führt an der Chemo nix vorbei.Na gut, damit hatte ich schon gerechnet, aber dann informieren ich mich nochmals zur Chemo und greife zum Telefon.

Meine Cousine ist die einzige Ärztin, die man am Telefon einigermaßen erreicht.

  • Haare fallen aus und dagegen lässt sich außer einer Perücke nichts machen
  • Infektionsrisiko verbietet eigentlich sowohl Gartenarbeit als auch Reiten
  • Zähne sollte man nochmals anschauen lassen, weil Mund auch schwierig ist, die Mundschleimhäute werden oft auch angegriffen
  • Die Kondition geht in den Keller, die meisten werden so schwach, dass sie gar nichts mehr machen können, also kein Reiten während der Chemo und danach auch nicht wegen der OP-Wunde, die ich nicht erschüttern darf, kein Klettern während der Chemo und danach auch nicht..., kein Skifahren, kein vernünftiges Arbeiten während der Chemo wegen Müdigkeit, kein vernünftiges soziales Leben während der Chemo wegen Müdigkeit und Aussehen, der noch zu legende Port, so ein unter der Haut getragenes Gummiteil, über das man leichter Infusionen geben kann, ist sichtbar, d.h. Rolli während der Arbeit oder blöde Fragen! Nach der OP auf absehbare Zeit kein Baden mehr, das trifft mich hart, weil ich daraus wirklich Lebensqualität bezieh
Die für Chemopatienten empfohlenen Sportarten (Laufen und Walken) sind nun wirklich nicht das, was ich auch nur ansatzweise als Ersatz sehe (Problem, wie soll man onkologische und sonstige Depressionen bekämpfen, wenn einem Sport als Anti-Depressiva versagt ist? Ich fühle mich traurig und unglücklich. Andererseits - was will ich jetzt schon aufgeben? Ich schniefe erst einmal, dann schnaufe ich tief ein und aus und versuche das alles von einer anderen Perspektive zu betrachten. Und schon geht es etwass besser. Es ist wirklich überwiegend eine Kopfsache. Aber weiter...
  • Was kann man gegen die Müdigkeit machen
  • Wie hoch ist das Infektionsrisiko tatsächlich, wie kann man vorbeugen?
  • Kann man dem befürchteten Lymphödem wirklich nicht irgendwie sinnvoll vorbeugen? (Gymnastik, Muskeltraining?)
Wo ist eigentlich Sando? Ich vermisse meine Katze und weine ein bisschen. Um mich, um die Katze, um den verpassten Sommer und vielleicht ein bisschen aus Angst.
Meine Schwester meint ganz vernünftig, dass man zwischen Depression und Krebs und zwischen Pflicht und Kür eben abwägen muss und dass es da sicher Kompromisse gibt, aber das sehe ich heute gar nicht so.

Freitag, 14. Juni 2013

Countdown to nowhere

Mein letztes "freies" Wochenende...
Und es gibt viel zu tun - oder auch nichts. Je nachdem, wie man es sieht.

Ich bereite meine Ausfälle vor, Dinge um die ich mich kümmern muss, auch wenn ich nicht kann. Meine Blumen ein letztes Mal pflegen, ausmisten und entrümpeln, Wäsche waschen und aufräumen. Die Zeit zerrinnt.
Ich habe noch Katzenzettel, die im Viertel aufgehängt werden müssen, obwohl ich ja ganz bestimmte Nachbarn im Verdacht habe, dass sie mehr wissen. Es ist sehr seltsam, wie die Menschen reagieren. Der Argwohn, mit dem die Tür geöffnet wird, wenn man klingelt... das stärkt meinen Glauben in die menschliche Gemeinschaft nicht. Die Mehrheit verhält sich, als würde sie mir nicht glauben, dass ich an einem Samstag Mittag klingle, um nach meiner Katze zu suchen. Seh ich aus wie ein Räuber? Haben die Menschen wirklich soviel Angst voreinander? Am idyllischen Münchner Stadtrand?
Schweren Herzens widme ich mich nach getaner Gartenarbeit (nochmal gründlich gießen) einigen unausweichlichen Telefonaten.

Alle sind geschockt, aber doch reagieren sie sehr unterschiedlich. Sprachlose Verlegenheit herrscht vor. Einige fragen, wie sie helfen können, machen dazu auch Vorschläge, was ich sehr hilfreich finde. Meine Tante macht sich so Sorgen, dass ich mich selbst aufrege. Meine liebe Schwiegermutter hingegen wird allen Klischees gerecht und erklärt mir erst einmal auf die Neuigkeit hin unverblümt: "Ich kann die übrigens nicht helfen" - und verkennt dabei, dass ich sie gar nicht um Hilfe gebeten habe. Unveräußerliche Restwürde. Soweit kommt's noch. Trotzdem ärgert es mich, dass mein Unglück tatsächlich nur daran gemessen wird, was es für sie bedeuten könnte. Gar nix, übrigens. Sie hat mir ja vorher auch nicht geholfen. So ein Blödsinn. Mit meiner besten Freundin verlief das Gespräch auch sehr seltsam. Sie wollte eigentlich von sich erzählen, war dann völlig überrumpelt, weil ich mal mit der Krebs-Story den Überraschungsehrenpreis geholt habe und das Gespräch endet ziemlich seltsam - peinlich fast. Was traurig ist, weil wir ja wirklich sehr gut befreundet sind.
Ich lege auf und fühl mich scheiße.
Am Nachmittag beim Reiten freunde ich mich im Nieselregen damit an, künftig wieder nur noch Unterricht zu geben und meine Reitkarriere vorerst – so fürs nächste Jahr – an den Nagel zu hängen. Zu Sport im eigentlichen Sinne werde ich wohl nicht in der Lage sein.
Am Abend schauen wir mit Freunden WM, ich weiß nicht mehr, wen gegen wen, bin mit meinen Gedanken woanders. Es gibt Bolognese. Ob ich bei der Chemo, auch noch Spaß am Essen haben werde. Den Gedanken finde ich ganz furchtbar. Trotzdem wäre es alles in allem ein guter Tag, wenn meine Katze da wäre
Es ist in hohem Maße eine Übung, sich nicht hängen zu lassen. Meine bescheidenen spirituellen Esoterikkünste bewähren sich erstaunlicherweise.

Gedankenhygiene ist wichtig! Man macht sich viel zu viel Sorgen um die Zukunft und stöbert viel zu viel in der Vergangenheit, statt einfach die Gegenwart, das Jetzt zu leben, das mit jedem vertanen Augenblick tatsächlich unwiederbringlich vorbei ist. Also los: Augen schließen - Gedanken aus dem Kopf fließen lassen (vielleicht durch die Ohren, wenn die Augen doch geschlossen sind)... Der Angst in einem Nachspüren und sich körperlich hineinfühlen, stofflich machen und dann zwischen den Fingern zerreiben. Die Leere, die entsteht, mit Kraft und Zuversicht und Wärme füllen.
Es klingt blöd, aber danach geht es einem besser.

 
Was auch hilft, ist eine Atemübung. Augen schließen, Ruhig durch den Mund ein- und wieder ausatmen. Dabei die Atmung wie einen ewigen Kreislauf vorstellen, ewig, beruhigend, ohne Pause (und dabei auch darauf achten, dass man keine Pause beim Atmen macht und das Einatmen genauso lang dauert wie das Ausatmen, ein perfekter Kreis...) Das beruhigt und gibt Kraft und Zuversicht. Vor allem, wenn man Gedanken kommen und gehen lässt, ein- und ausatmen, das Leben leben.


Und was auch erstaunlich wirksam ist, ist ein Wasserritual - oder einfacher ausgedrückt:
Duschen oder wenigstens Händewaschen.
Wenn man unter dem Gefühl von fließendem Wasser auf der Haut sich vorstellt, wie das Wasser alles Böse und Schlechte, alles Belastende fortspült und wegnimmt, fühlt man sich befreit.
Und wenn man sich danach bei dem Element Wasser für seine reinigende Wirkung bedankt, dann fühlt sich das wirklich gut an.
Auch für einen verkopften, zynischen Rechtsanwalt wie mich.
Dankbarkeit fürs Leben, das ist wichtig, denn darauf fußt der Lebenswille, den ich jetzt brauche.

Sauber, gelüftet und entspannt gehe ich ins Bett. Die nächste Woche wird wieder spannend.
Oh ja!

Donnerstag, 13. Juni 2013

Fragen über Fragen

Die Idee, auf die Messe zu fahren, hab ich wieder verworfen, damit die Klinik mich erreicht wegen Histobefunden und Terminsvereinbarung, da muss ich planen.

Die nächste Woche ist in der Kanzlei für mich relativ dicht weil der Chef abwesend ist und der Kollege Sommerschnupfen hat (wie immer wenn Arbeit droht). Zudem muss ich einen Artikel abgeben und der Abgabetermin für das Steuerstrafrechtbuch rückt auch näher...
Also vergeht ein sonniger Vormittag mit Warten und Wursteln - es ist Sommer, es ist heiß, es ist schwierig. Gartenarbeit zum Beispiel stimmt mich traurig, weil es unverschämt wäre, jetzt Blumen zu kaufen, die man dann von Fremden pflegen lassen muss - wenn man überhaupt Fremde findet, die einem die Blumen gießen und heroisch gegen Schnecken und andere Ungeheuer verteidigen. Im Gegenteil, ich sollte besser deutlich runterdampfen, was da ist (aber das tut auch weh, also verschiebe ich es und mach das morgen! Solange ich planen kann, geht es einigermaßen. Schlimm ist nur, wenn ich mich damit auseinandersetzen muss, was ich nicht mehr tun können werde...)

Mittags immer noch kein Lebenszeichen aus der Klinik und meine Nerven spannen sich. Brav mach ich meine Besorgungen, Haushaltskram eben, Hundefutter kaufen, Auto tanken etc.
Alles, um sich abzulenken, aber stets das Handy dabei, falls die Klinik anruft. Die Intervalle, in denen ich prüfe, ob mein blödes Handy sich in einem Funkloch versteckt, werden immer kürzer. Meine Nerven beginnen zu knirschen...

So ein Dreck, die Kernspin-Bilder stehen ja auch noch aus. Ob die Klinik auch nur ahnt, was sie mit diesem Missmanagement ihren Patienten an Zusatzstress macht? In der Beratung dürften wir uns so was nicht erlauben.

In der Kanzlei deshalb nur ein Blitzkriegsbesuch; ich bin nervlich zu angespannt, um mich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren. Im Augenblick wüsste ich nicht einmal, was das für Arbeit ist... (Wenn ich nachdenke, füllt sich aber die Todo-Liste schon wieder und ich kann wirklich nicht alles meiner armen Kollegin auf den Tisch legen, das wäre unfair. Außerdem lenkt so ein Vertrag mich davon ab, blöd mein Telefon zu hypmnotisieren. Warum rufen die nicht an?!
Der Nachmittag zieht sich und die Panik steigt ins Irrationale, das ich nicht mehr mit Bewegungsenergie kompensieren kann. Ich fühle mich gefangen und isoliert. Anrufe in der Klinik scheitern am Vorzimmer. Rückrufbitten bleiben ergebnislos.
Habe ich nicht einen „Anspruch“ darauf, dass ich planen kann (Termin?! Wenn mir mein Leben erhalten bleiben soll, muss ich es auch pflegen dürfen. Ich kann nicht wie ein Kaninchen vor der Schlange vor dem Telefon sitzen, bis der gnä’ Arzt anruft und mir sagt, wann ich kommen darf.)
Außerdem ist es psychisch schrecklich. Dieses auf Abruf warten, ist ungleich schlimmer, als dieses auf einen Termin hin zielgerichtete Warten. Folter.
Ich erwäge daher ernsthaft, den Arzt zu wechseln, denn Vertrauen kann nur da entstehen, wo Kommunikation möglich ist.
Besonders unangenehm ist, dass ich ja allen Mitleidenden gesagt habe, dass es heute Ergebnisse gibt und ich so nicht nur meine Geschäftstermine ins Ungewisse schieben muss, sondern eben auch meinen Freunden sagen muss, dass ich nichts weiß, die mich auch immer wieder anrufen, was es denn Neues gibt.

Und dann muss ich auch noch deren natürliche Fassungslosigkeit ertragen. Kuhäugig vorgetragene Fragen:
"Wieso?"
"Wie kann der nur?"
"Warum rufst Du nicht an?"
"Das darf man sich nicht bieten lassen!?"

Das ist ebenso kraftzehrend wie die umgekehrte Variante der anderen Fraktion im Freundeskreis.
"Er hat halt viel zu tun, der Herr Doktor."
"Er wird einen Notfall haben, vielleicht ruft er ja noch an..."
Egal, so oder so bin ich zu einer eigenen Meinungsbildung genötigt, egal, ob ich sie dann auch äußere oder nicht.

Jedenfalls hab ich jetzt echt Panik, warum der Doc nicht anruft, oder vielmehr beide Docs aus beiden Abteilungen... Wissen die, was es bedeutet, durch Angst die Zeit messen zu müssen?
  • Ist die Diagnose so schlecht, dass er sich vor dem Wochenende drücken will?
  • Was reden die in der Klinik von unterstützen und gemeinsam kämpfen, wenn sie dann nicht mal anruft?
  • Wo liegt eigentlich das Problem darin, den CT-Befund gleich zu besprechen?
  • Wo ist das „Wir“, wenn nur ich hier sitze und wie „Dummchen“ warte?
  • Was kann ich tun? Beschweren? Bei wem? Wann? Wie?
  • Irgendwas muss ich tun, denn das packe ich künftig nicht, die Kraft, die ich hier aufwende, fehlt mir anderswo, z.B. beim Unterdrücken des Krebses.

Also kümmere ich mich darum, mich um meine Krebssachen zu kümmern... 1000 und 1 Frage, die auf Antworten warten.
  • Es gibt für nach der Chemo überhaupt keine Kurzhaarschnitte, die meinem Schatzi gefallen würden, er wird mich megamäßig unattraktiv finden und das wird unsere Beziehung massiv weiter belasten, was nun wirklich nicht nötig ist.
  • Was, wenn ich während der Chemo arbeiten kann? Stimmt dann, was die Schwester sagt, dass ich mich dann unweigerlich überarbeiten werde? Vermutlich, denn das wird sich wohl nicht dosieren lassen. Jedenfalls von mir nicht. Aber ich kann auf mein EInkommen nicht verzichten. Das Krankengeld reicht nicht.
  • Was aber, wenn ich nicht arbeiten kann? Mal Geld beiseite, hab ich noch ganz andere Probleme. Ich habe keine Kraft mehr, noch mal von vorne anzufangen. Ich kann einfach nicht mehr.
  • Was, wenn ich da dann so wie in der Info beschrieben, so zunehme? Das packe ich nicht! Erstens ist es mit meinen Gelenken schlecht und zweitens (vor allem), sinkt mein Selbstwertgefühl dann endgültig in den Keller, ach was, das gräbt im Keller weiter und arbeitet sich zum Magma vor, in dem ich mich ertränken kann. Oder heißt es "die Magma"?
  • Was aber ist, wenn der Krebs so schlimm ist, dass sie gar keine Chemo mehr machen? Würde ich dann noch arbeiten gehen? Wie würde ich mein Leben ändern, wenn mir bewusster wäre, wie endlich es doch ist, wenn ich nächstes Jahr nicht mehr leben sollte, wenn dieser Sommer mein letzter wäre?
  • Sollte ich nicht wenigstens den Balkon vor dem Schlafzimmer so so herrichten, dass er schön ist, da kann ich auch fett und mit Glatze raus?
  • Wo ist eigentlich Sando? Das Katzen kraulen fehlt mir gerade, wenn ich so angespannt bin, so unendlich! Immerhin kamen heute von TASSO die Suchanzeigen, die kann man dann morgen ausbringen. Eigentlich hätte ich das ja gerne heute noch getan, aber leider ist WM und da muss man (mein Mann) natürlich Fernsehen und ich schaffe es allein nicht. Einfach weil ich nichts mehr tun will, und schon gar nicht allein, weil ich mich so allein fühle... Ich habe nicht mal mehr die Kraft zum Weinen.
Sorgen bereitet mir auch Biopsie-Wunde (Offen, eitrig (Schorf fällt ab), Flint drauf gesprüht, wegen Infekt, seither juckt die Brust. Ist das Heilungs- oder Entzündungszeichen? Kein Arzt da, den man fragen könnte... MIST. Ich mache ein paar Atemübungen und zwinge mich zur Ruhe. Panik macht's nur schlimmer.

Während die WM beginnt und meine Freunde sich alle den wahrhaft wichtigen Dingen zuwenden, ziehe ich mich besorgt wegen der Lymph-Aussage der Ultraschall- und MRT Ärztin zurück und google mal, was das heißen könnte, das mit den drei Lymphknorten von denen ich gestern erfahren habe.
Was ich finde, missfällt mir, und ich verliere das erste Mal meine Zuversicht.
  • Wer jung ist, ist brustkrebstechnisch klar im Nachteil
  • Wer befallene Lymphknoten hat, senkt seine Heilungschance um 10%/Knoten
  • Wer ein schnell wachsendes Karzinom hat, ist im Nachteil, weil Chemo kommt
  • Wenn die Lymphknoten befallen sind, müssen sie weg, wenn das nahe an der Achsel ist, steigt die Gefahr von Lymphödemen. Daher auch die vorsorgliche Verschreibung von so einem komischen Handschuh.
Lymphödeme bedeuten dicke Arme, schmerzende Hände und eine geringere Belastbarkeit des betroffenen Arms bei gleichzeitig höherer Entzündlichkeit. Nach der Chemo/OP besteht Behandlungsbedarf in über 20% der Fälle, das macht Mut. Ich habe nur Hobbies, bei denen ich meine Arme belasten muss. Und was die einschlägigen Seiten an Vorsorgemaßnahmen besprechen, macht auch keinen Mut:
Regelmäßiges Tragen von Kompressionsstulpen, keine langen heißen Bäder mehr (Baden ist meine persönliche Psychotherapie!!! und keine direkte Sonnenbestrahlung - na, das macht im Sommer ja viel Freude.

Auch in Bezug auf die Art der Chemo habe ich keine guten Funde:
  • Bei aggressiven, streuwahrscheinlichen oder schon metastasierenden Tumoren verwendet man Anthrazykline
  • Bei aggressiven Tumoren mit Lymphknotenbefall zusätzlich Taxane
  • Insgesamt bedeutet diese Kombi massive Risiken für Herz und Nieren sowie Störungen des Tastsinns und Gedächtnislücken (Chemobrain)
  • Insgesamt bedeutet diese Kombi garantierten vollständigen Haarausfall
  • Verabreicht wird das in 6 Zyklen à 26 Tagen (so wie der Herr Doktor auch gesagt hat)
  • Die Nebenwirkungen sind insgesamt knackig, ein wichtiges neues Wort ist daher die „Supportivtherapie“; mit der diese bekämpft werden können.
Mir macht v.a. neben den bekannten Grauen vor allem die Fatigue-Wirkung massiv Sorgen. Die Neubildung roter Blutkörperchen kann durch die Gabe von Erythropoietin angeregt werden. Dadurch lässt sich Blutarmut (Anämie) beheben, die als eine der Ursachen für die bei Chemotherapie oft auftretenden Erschöpfungszustände (Fatigue) gilt. Um Haarausfall zu kaschieren, erhalten die Patientinnen ein Rezept für künstlichen Haarersatz. Dieser ist allerdings nur vorübergehend nötig, da die Haare in der Regel etwa sechs Wochen nach der letzten Chemotherapie wieder zu wachsen beginnen und das etwa 1 cm im Monat.
Übelkeit und Erbrechen und als Zugabe Durchfall und Appetitlosigkeit, doch dagegen kriegt man mittel die vor der Chemo gegeben werden, dann wird's nicht so schlimm. Mal sehen, wenn ich mich im Vorfeld schon fertig mache, und mir vor Sorge schlecht wird, braucht's gar keine Chemo mehr. Das scheint ein wichtiger Gedanke zu sein, den muss ich mir merken. Ich muss wenigstens zu mir halten!
Die anderen Sachen muss ich in Angriff nehmen, wenn sie sich einstellen, bleibt ja noch genug übrig:
  • Entzündungen der Mundschleimhaut, Schmerzen beim Schlucken
  • Störungen der Blutbildung mit Blutarmut (Anämie)
  • erhöhte Infektanfälligkeit (Immunschwäche)
  • erhöhte Blutungsneigung
  • Gefühlsstörungen an Händen und Füßen
  • vorübergehende Störungen geistiger Funktionen, z.B. Konzentrationsschwäche und Beeinträchtigung der Merkfähigkeit
  • Herzmuskelschwäche (Herzinsuffizienz) durch Anthrazykline (v. a. Doxorubicin, seltener bei Epirubicin).
Die Störung ist dosisabhängig, deshalb sollte eine festgelegte Gesamtdosis an Anthrazyklinen nicht überschritten werden. Besonders hoch ist die Gefahr der Herzmuskelschwäche bei Kombination von Anthrazyklinen und einer molekularbiologischen Therapie mit Trastuzumab; regelmäßige Herzuntersuchungen sind daher zu empfehlen. Nehm ich mal so mit und bespreche das mit meinem Hausarzt.
Die OP selbst ist nicht so schlimm, das danach schon eher. Man bleibt stationär, solange der Eingriff innerlich blutet und Wundsekret abgeleitet werden muss (weil eh keine Lymphe da ist), danach bestehen dann verschiedene Probleme:
  • Unbeweglichkeit der Schulter (Da kann ich evtl. vorbeugend trainieren!)
  • Kraftlosigkeit des betroffenen Arms (Auch da kann ich vorbeugend trainieren)
  • Lymphdrainage nach der OP
  • Reha-Übungen für Arm und Lymphe
  • Reha-Übungen für Brust, Narbe massieren, Gewebe bewegen
Ich sollte mir eine Frageliste schreiben...

Mittwoch, 12. Juni 2013

Aller guten Dinge sind drei...

Donnerstag und hochtechnisch geht es weiter!
Auch im 3. Ultraschall ist der Krebs immer noch da, ich begrüße ihn mit Vornamen, immerhin verbringen wir ja viel Zeit miteinander zurzeit und da kann man sich auch mit Gegnern anfreunden. Ob das so eine Art bizarres Oslo-Syndrom ist? Egal, vielleicht schnappe ich auch nur allmählich über, wär auch eine Erklärung. Dieser Ultraschall befasst sich intensiv mit meinen Lymphknoten, damit mein Tumor auch seinen Künstlernamen erhält, unter den ihn meine Ärzte kennenlernen sollen, sprich seine Klassifikation.
Das inzwischen am weitesten verbreitete Verfahren zur Tumorklassifikation ist das TNM-System. Ein Codesystem aus Buchstaben und Zahlen steht dabei für bestimmte Merkmale wie zum Beispiel den Tumor (T), das Fehlen oder Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen (N) oder das Vorhandensein von Fernmetastasen (M). So kann ein Hausarzt aus dem Befundbericht einer Klinik schnell und eindeutig die wichtigsten Angaben über das Ausmaß der Tumorerkrankung seines Patienten entnehmen.
http://www.krebsinformation.de/themen/untersuchung/tnm.php
Zwei Lymphknoten sind in den Tumor miteingewachsen, jetzt ist es spannend, wieviele da sonst noch sind, denn davon hängen maßgeblich auch die Heilungschancen ab. Bis vier ist es ok.
Allmählich erkenne auch ich schon was bei diesen Ultraschall-Grissel-Bildern. Heute sieht der Tumor allerdings verändert aus (eher wie ein Kleeblatt statt der kompakten Kugel als die ich ihn kennen gelernt habe. Das liegt an den Blutergüssen wegen der Biopsie, meint der Arzt und ich grinse. geschieht ihm grade recht, dem Saukerl (womit ich den Tumor meine).
Vielleicht auch doch den Arzt, denn der murmelt nun bedröppelt, dass Fettröpfchen fehlen, was ein Zeichen für Befall sei...
Das ist eine schlechte aber aus meiner Sicht keine völlig niederschmetternde Nachricht, es heißt ja, bis zu vier Knoten wenn befallen sind, ist es noch egal... Nach meiner Rechnung hab ich also noch einen in Reserve.
Anders sieht es die hinzugerufene Ärztin (mit weniger Krusch im den Kitteltaschen, was ein untrügliches Zeichen dafür ist, dass sie wichtiger ist als der Ultraschall-Boy - Im Ernst, je mehr Krempel ein Arzt in den Taschen mitschleppt, desto tiefer ist in der Hierarchie der Klinik. Die Chefs haben nur einen Kuli dabei und verzichten gelegentlich sogar auf ein Namensschild - Gott hat ja auch keins). Die Ärztin jedenfalls wünscht mir so lange Beileid wünscht, bis es mir auch ganz schlecht geht. Das sollte man den Ärzten mal sagen, dass zu viel beruhigen und trösten KONTRAPRODUKTIV ist. Wenn ich ein Pferd ausbilde, das nun von Natur aus sehr erfolgreich feige ist (Fluchttier und so), dann kann ich es auch nicht überzeugen, sich einem gefährlichen Thema zu stellen, wenn ich es beruhige - damit gebe ich ja zu, dass es was zu beruhigen gibt. Sachliche Info oder meinetwegen freundliches Auslachen wären mir lieber.
Es ärgert mich jedenfalls, dass alle so mies drauf sind, denn mein Bauch ist so optimistisch, dass er selbst meine Verstandesrüge (Und was, wenn die Lymphe nicht hält und da jetzt überall Metastasen sind?) mit einem gleichgültigen Zucken abtut (Selbst wenn sie da nach der Chemo noch sind, wird das dein Leben nicht beeinflussen. Krebs ist nicht dein Todesthema!)
Kopf ist nicht überzeugt, sieht aber ein, dass es mit diesem Glauben besser ist als ohne und beschließt, ihn vorerst gelten zu lassen.
Bauch grinst, das ist kein Glauben, sondern absolute Gewissheit. Wenn Du zweifelst, lässt Du die bösen Mächte zu.
Okay, was ist Zweifel? Woran zweifle ich?
Bauch grindt, Krebs wird überbewertet.
Ich horche nach innen, ärgere mich über die Ärztin, die mir meine Sicherheit nimmt, in dem sie mich behandelt, als sei ich längst totgeweiht und gehe. Selbst wenn ich mich irren sollte (Bauch: Tust Du nicht), ist es auf dem Weg bis zur Aufklärung so deutlich angenehmer.
Bis zum CT, der Kernspinthomografie, ist es noch eine Weile hin, also lasse ich mich über die nächste Studie informieren (Vitamin D und Krebs). Das ist dann endlich mal ein gutes Gespräch. Brustkrebs ist heutzutage nicht mehr lethal. Na, das ist doch mal eine Aussage, der Rest ist verhandelbar.
Das Gespräch mit der Krankenschwester ist sehr interessant und beschäftigt Bauch und Kopf. Es geht über Priorisierung im Leben und dass man Angst zulassen soll
Soll man? Hindert mich das nicht? Ich bin mir nicht sicher, und sage das auch.
Soll ich nicht besser erst mal alles wegstecken, um mich ihm später in Ruhe zu stellen?
Die Schwester lächelt. Was, aber wenn es dann zur Unzeit kommt?
Der Wunsch, dass ich die Chemo nicht so gut vertrage, ist befremdlich, drastisch, aber richtig.
Die Schwester sagt, und das klingt logisch, dass der Körper bei der Chemo Ruhe braucht, und die werde ich ihm wahrscheinlich nicht geben, wenn ich die Möglichkeit habe
Ich nicke., Hm... ein Punkt, über den nachzudenken lohnt.
Aber ich bin im Augenblick wie ein Kreisel. Beständig und ruhig in Bewegung. Wenn ich anfange, zu bremsen, werde ich instabil.
Der Hinweis der Schwster, dass man vom außen dann aber auch nichts sieht und mitnimmt, stimmt mich nachdenklich. Darüber muss ich noch nachdenken.
Derweil habe ich meine nächste Station wahrzunehmen, den Kernspin, eine Art Super-Röntgen.
http://www.krebsinformation.de/themen/untersuchung/computertomographie.php
Der Kernspin steht im Keller und die ganze Umgebung schaut arg nach Gruft aus, bis auf die falsche Farbe. Kann aber auch an den Schwestern liegen, die eher unfreundlich sind. Mir tuts auch Leid, dass ich den Mittagstermin habe, draußen scheint die Sonne und im Park könnte ich mit netten Leuten Spatzen füttern, also ich bin auch nicht gern in der Gruft hier - und im Gegensatz zu Ludmilla hier bekomme ich auch kein Geld dafür.
Na egal.
Viele haben Angst vor der Untersuchung, aber das ist unnötig. Rückwirkend würde ich es eher als Warm-up sehen. Schlimm ist es jedenfalls nicht.
Als Erstes kriegt man das Kontrastmittel, wird in einen Kittel, so ein Krankenhaus-Nachthemd gesteckt und durch die Röhre gezogen.
In der Röhre ist es laut, aber man spürt nichts und wird auch nicht berührt. Also muss man sich keine Sorgen machen. Dann ist es auch schon wieder vorbei und ich kann mich wieder anziehen. Neugierig bin ich ja schon, wie der Befund ist.
Aber Pech gehabt. Dass ich entgegen früherer Termine meine Befunde nicht gleich erklärt bekomme, finde ich extrem belastend. Vor allem, weil ich damit gerechnet habe. Meine größte persönliche Stärke, nämlich meine Flexibilität, leidet unter den Krankenhausaufenthalten sichtbar. Und auch das ärgert mich.
Frustriert trolle ich mich in den Sommertag. Warum muss ich eigentlich durchs Krankenhaus schleichen und darf nicht Eis schleckend wie die anderem im Cafe sitzen?
Weil er gleich ums Eck ist, beschließe ich zu meinem Friseur zu gehen und mit ihm die Nebenwirkung der Chemo aufs Haar zu erörtern. Er ist betroffen, hat aber viel Erfahrung damit, erzählt mir spannende Dinge über das Haar an sich und meine Frisurmöglichkeiten im Besonderen und bietet an, mit mir gemeinsam Perücken kaufen zu gehen, wenn es soweit ist.
Das ist nämlich knifflig, denn die meisten Haare (die allerallermeisten) fallen aus, aber man weiß nicht wann und auch nicht alle auf einmal, sondern in Schüben büschelweise. Die Chemo wirkt nicht nur auf die Krebszellen, sondern auf alle schnell wachsenden Zellen, zu denen neben den Tumorzellen, v.a. auch alle Hautzellen und Haarzellen gehören. Wenn die Sterben, fallen die Haare aus. So einfach ist das. Und so traurig.
Dazu sind „tolerante“ Frisuren wichtig. Andererseits will ich keinen Bubikopf, wenn noch nicht raus ist, ob sie ausfallen... Schwierig.
Kann man eigentlich aus meinem wunderbaren Haar dann wenigstens ein Haarteil machen?
Fakt ist, dass man damit rechnen sollte, seine Haare zu verlieren und sich darauf vorbereiten sollte. Es ist leichter, wenn man eine schöne Perücke (ja, das gibt's!) im Haus hat, wenn die Haare in der Bürste hängen. Und auch bei einer Kurzhaarfrisur tut es nicht ganz so weh.
Kopftücher sind übrigens auch ein Thema...
http://www.brustkrebsdeutschland.de/infos/img/kopftuch_broschuere.pdf
Mittags kümmere ich mich um meinen Job - ich hab ja was anderes auch noch zu tun! Zwinge mich zur telefonischen und e-Mail-Bearbeitung der wichtigsten Sachen. Ich bin ja noch da! Artikel schreiben, Rechtsprechung prüfen, Verträge weiterleiten... Langweilig wird mir nicht!
Ich stelle fest, dass ich argwöhnisch alle Frauen mit kurzen Haaren betrachte und nach für mein Gesicht verträglichen Lösungen suche.
Und dafür fühle mich entsetzlich:
a) weil das tatsächlich mein Hauptproblem ist (wo ist eigentlich die Katze, die kommt gleich an 2. Stelle, auch wenn es peinlich ist, weil die Haare nachwachsen werden) und
b) weil mir nichts auffällt, was ich mir auch nur als Notlösung vorstellen könnte und
c) weil ich mich schäme, dass es so ist... Ich habe ja eingangs schon gesagt, dass ich allmählich überschnappe!
Nachmittags bin ich dann noch beim Hausarzt wegen der Blutbefunde. Mein Blutbild ist in Ordnung, die Werte sind alle gut, wenngleich ein paar Entzündungshinweise enthalten sind (sehr witzig, wir kennen den Tumor und die drei wackeren Lymphknoten ja!).
Die Tumormarker sind unauffällig, was mich freut, denn ich lerne, dass das bei metastasierenden Tumoren in den weit überwiegenden Fällen (60-90%) nicht so ist.
Sonst sind so Befunde für die nicht eingeweihten Patienten sehr unverständlich und ich verstehe auch nicht, warum man keine Tumormarker vom Krankenhaus verlangt hat, denn auch wenn deren Fehlen nichts darüber aussagt, dass KEINE Tumore da sind, ist ihr Vorhandensein immerhin ein Warnsignal, dass es sich lohnt, mal genauer nachzusehen (finde ich).
http://www.tk.de/tk/untersuchungen-a-z/t/tumormarker/32890
Obwohl ich natürlich weiß, dass also mein Blutbild KEIN Grund zur Vorfreude ist, ist es nach über einer Woche fröhlichen Katastrophensteigerns endlich, endlich mal eine gute Nachricht und die will ich genießen und mir ausmalen, dass alles doch gar nicht so ganz Dicke kommt (Halbdick reicht ja wirklich auch).
Kopf meint, wird eh nicht halten, aber Bauch hat recht und ich zudem Hunger. Ende für heute!

Dienstag, 11. Juni 2013

Heldenmut und Kriegserklärungen

Am Abend hatte ich ein Gespräch mit meiner Cousine, die Dermatologin ist und viel mit Hautkrebs zu tun hat, über die aktuelle medizinische Situation, die derzeit verfolgten Möglichkeiten und vor allem schuldmedizinische Grenzen.
Wenn man sich ansieht, wie viele Fehler in der Medizin - und vor allem in der Forschung - gemacht werden, bewahrheitet sich wieder der alte Spruch, dass man nur den Statistiken glauben darf, die man selbst gefälscht hat. Ich bin nur leider mathematisch zu doof, um irgendeine Statistik richtig zu lesen, geschweige denn zu fälschen.
Ich fühle mich verwirrt, überfordert von den hundert Millionen Fachbegriffen, die ich nie zuvor gehört habe - und auch nie hätte hören wollen. Es ist ja nun einmal so, dass der Nicht-Mediziner so was nur am eigenen Leib lernt, also das Lehrgeld mit Blut und Tränen bezahlt. Nein, ich muss nicht alles wissen!
Andererseits - wenn ich an der Blut- und Tränenfront voll dabei bin, dann will ich verdammt wenigstens auch das Wissen dazu! Ich wollte den Krebs nicht, aber ich will auch kein Opferlamm sein, dass sich durch die Chemo-Maschine drehen lässt.
Das ist ein Thema, das mich zu den Studien bringt. Das Für und Wider zur Teilnahme an Studien wird im Netz heiß diskutiert. Wer kein Opferlamm sein will, will vermutlich auch kein Versuchskaninchen. Die Therapie ist gefährlich genug, selbst wenn die Ärzte schon Erfahrung haben, und ich weiß nicht, ob mein Körper auch noch "Versuche" aushält.
Für Studien allerdings spricht, ist der Umstand, dass ich dann diesen Krebs nicht UMSONST habe. Für Studien spricht, dass nur durch sie der Kampf gewonnen werden kann. Für Studien spricht, dass neue Methoden neben Risiken auch die Chance bietet, besser zu sein! Und ganz egoistisch ist es so, dass man im Rahmen von Studien besser überwacht wird, als wenn man im Normal-Strom mitschwimmt.
Fazit: Ich bin für JEDE in Betracht kommende Studie zu haben.
Wunderbare Gedanken, bei denen ich mich hilfreich und edel fühle. Etwas Heldenmut habe ich mir vielleicht auch verdient. Immerhin werde ich von einem bösartigen Tumor, mit hoher Streuungswahrscheinlichkeit, extrem agressiven Wachstum und weiteren hässlichen Attributen besetzt.
Außerdem hält mich das Studiengegrübel davon ab, über die Chemo nachzudenken.
Ich will diese Chemo nicht machen, aber andererseits will ich unbedingt gegen den Krebs gewinnen. Die Ärzte (Freunde wie Beauftragte im Krankenhaus) lassen mir keine Wahl, die alle sind sich absolut sicher, dass eine Chemo sein muss, speziell bei diesem Krebs.
Nachdem also das "ob" entschieden ist, stellt sich die Frage nach dem "wie":
Stationär, Ambulant, Fusion oder Oral?
Hier schien es mir bei allen Lernwillen sinnlos, zu verstehen, warum dann und dann diese oder jene Chemo gewählt wird. Das ist zu komplex für mich. Gute Informationen habe ich aber über diesen Link erhalten:
http://www.brustkrebs-info.de/patienten-info/index.php?id=6.3.2&stat=&substat=open
Am Ende läuft es darauf hinaus, dass die mir auferlegte Chemo als Fusion verabreicht wird (Oral scheinen nur die harmloseren verabreicht zu werden). Unklar ist noch, ob es sechs oder acht Zyklen à 3 Wochen werden, mit verschiedenen Medikamenten, deren genaue Zusammensetzung noch von diversen Tests abhängt, die im Vorfeld gemacht werden müssen. Ich kann das ambulant machen, wenn ich es vertrage.
Das nächste Thema sind dann die Nebenkriegsschauplätze: Dass ich bei den in Betracht kommenden Chemotherapien meine Haare verlieren werde, ist für alle Mediziner keine Frage. Leider geben sie mir die falsche Antwort. Ich hätte nicht gedacht, dass man an seiner Wolle so hängen kann, aber man tut es und es tröstet einen ÜBERHAUPT nicht, wenn man dann hört, dass sie wieder nachwachsen. Sagen wir es wie ist: KEINER ist bereit, sich solidarisch das Haupt zu scheren.
Allerdings hilft es auch nichts, zu jammern. Also kann man nur dieser Hürde pro-aktiv begegnen und sich frühzeitig über Perücken informieren. Und zwar in einem Laden, in dem man sich wohlfühlt. Ich habe in München in der Löwenhofpassage in der Innenstadt eine wunderbare Verkäuferin gefunden, die mir wirklich und wahrhaftig die Angst vor der Perücke genommen hat, aber dazu komme ich noch. Probleme wird es auch mit den Fingernägeln und den Zähnen geben. Ernährung ist ein weiteres Thema, das für viele zum Problem wird.
Ich bin entsetzt, was da alles an Kleinkram auf mich zu kommt. Aber ok, da hilft jetzt nur vorwärts durch. Vorwärts durch, das klingt so mutig, aber das ist es nicht. Das fühlt sich an, wie wenn man beim Autofahren im Nebel Gas gibt, damit man schneller durchkommt. Das kann gut gehen, muss es aber nicht.
Eigentlich ist es ein schöner Sommerabend mit gutem Essen. Das gebe ich nicht auf! Niemals.
Wo ist eigentlich die dumme Katze? Die andere fehlt heute abend auch. Toll, wenn man die Leisetreter einmal zum Kuscheln braucht. Also liege ich allein wach im Bett und grüble, entwickle ausgeklügelte Pläne, wie ich in mein Geschäfts- und Privatleben nun noch das klinische Leben reinquetsche, was ich aufgeben kann, ohne das mir wirklich „was fehlt“? Allmählich erkenne ich, dass Krebs krank vor allem eines heißt: "Freiwillig gebe ich keinen Meter auf".
Ich muss mir nur noch eine Verteidigungsstrategie überlegen. Langsam reift in mir folgende Erkenntnis: Ich bin nicht krank, ich bin befallen! Und weilich das so nicht akzeptiere, befinde ich mich ab heute im Krieg. Im Krieg gegen Krebs.
Und morgen werde ich mir meine Verbündeten suchen, meine Waffen wählen, meine Wälle aufrüsten und die Mauern verstärken. So einem Krustentier werde ich doch ernsthaft nicht weichen!
Von soviel Heldenmut erschöpft bin ich dann wohl eingeschlafen.

Montag, 10. Juni 2013

Business as usual

Der Irrsinn geht weiter - und seltsamerweise gewöhnt man sich irgendwie daran.
Morgens bin ich also erst mal zur Blutabnahme beim Hausarzt erschienen. Mit dem hab ich erst mal meine bisherigen Abenteuer besprochen, man lernt allmählich, seine Geschichte zu erzählen.
Lehrreich ist das Krank-Sein ja auch, zumal ich mich im Augenblick ja auch eigentlich gar nicht krank fühle. Was man so alles aus den Blutwerten rauslesen kann, ist zum Beispiel schon verblüffend. Weniger begeisternd ist die Aussicht, künftig, also während der Chemo, mindestens wöchentlich zur Blutentnahme zu gehen.
Na, mir ist es egal, weil ich damit keine Probleme habe. Mit mir hat meine Cousine während dem Studium Blutabnehmen geübt. Mein Arzt lacht, nach der Chemo kann es jeder. Ah. Ich lache mit, auch wenn ich das jetzt gar nicht so komisch gefunden habe.
Aber zurück zum Blut...
Wenn man die Auswertung dessen kriegt, was da in einem oder mehreren Röhrchen eingeschickt wurde, versteht man erst mal gar nix. Kyrptische Zeichen, seltsame Zahlen, adrett garniert mit ein paar "*" und "*" und "-". Ich verstehe kein Wort, wobei das natürlich daran liegt, das kein Wort da steht, sondern eben nur Kürzel.
Diese Kürzel erklärt recht gut
http://www.code-knacker.de/blutwerte.htm
Tumormarker sind wohl nicht verlässlich, weshalb mir der Arzt davon abgeraten hat, sie überhaupt zu ermitteln (hab ich dann trotzdem machen lassen, schon aus Neugier, und hat kein sinnvolles Ergebnis gebracht - nach den Markern keinen Tumor, obwohl ich ihn ja sehen und spüren konnte).
Bei der Chemo werden die Blutwerte v.a. genommen, um die Leukozyten zu kontrollieren. Leukozyten sind weiße Blutkörpchen, die Krankheitserreger abwehren. Sie leiden ebenfalls unter einer Chemotherapie und wenn der Wert unter einen bestimmten Wert sinkt, ist die Gefahr, zu erkranken und kein Immunsystem zu haben, so hoch, dass die Chemo ausgesetzt wird. Die nächsten Monate werden also ein fröhliches Leukozyten-Zählen.
Im Büro hab ich dann nach Zögern erst mal denen gesagt, was los ist, die ich sonst anlügen müsste. Ein kurzes Krisengespräch mit den Chefs war sehr positiv und hat mich auch motiviert. Meine beiden Chefs haben mir jegliche Unterstützung zugesagt, die man mir gewähren kann und das hat mich schon beruhigt.
Für alle, die nicht die Möglichkeit haben, notfalls von Zuhause aus zu arbeiten, oder auch mit den mit längerer Arbeitsunfähigkeit verbundenen Einbußen nicht zurechtkommen können, gibt es verschiedene Beratungsstellen, die auch sozialrechtlich weiterhelfen. Das ist auch sinnvoll, denn hier kommt es wirklich sehr auf die individuelle Situation, das ganze soziale Umfeld an, da strecken sich jedenfalls die seriösen Online-Infodienste.
http://www.krebsinformation.de/wegweiser/adressen/sozialrecht.php
Ganz einfach war es trotzdem nicht. Der Umgang mit einander wurde im Büro zum rechten Geeier, zu unklar den Kollegen, was ich eigentlich will. Rücksichtnahme oder Business as usual. Heutzutage haben wir in unserer Hochglanz-Lügen-Idyllwelt einfach alles hässliche rausgesperrt, keine Kranken mehr, die nicht ins Krankenhaus oder ins Heim oder jedenfalls an einen Pflegedienst abgeschoben werden, Sterbende schon gar nicht... wir wollen ja nicht mal wissen, wo das Schnitzel herkommt. Wenn man selbst krank ist, muss man sich darüber klar sein, dass das Meiste dessen, was einem an GEschmacklosigkeiten, Gemeinheiten, Schmerz und dergleichen widerfährt, nicht BÖS gemeint ist, sondern Gedanken- und Hilflosigkeit entspringt. Ich habe mir während meiner akuten Krebskampfphase noch oft anhören müssen, dass ich es meiner Umwelt schwer gemacht hätte, weil man mir den Krebs nicht angesehen hat. Hat aber keinen davon abgehalten, genervt auf mein Gejammer zu reagieren, wenn mir mal nach Jammern war. Es ist schwierig - und nicht nur für mich, sondern auch und vor allem für jene Leute, die zwar viel Zeit mit einem verbringen, einem dabei aber nicht richtig nahekommen (und das auch nicht sollen); Arbeitskollegen zum Beispiel.
Mir fällt am Arbeitsplatz jedenfalls schwer, sich auf die Millionen von E-Mails zu konzentrieren. Aber das könnte auch daran liegen, dass jetzt der erste richtige Arbeitstag nach dem Urlaub ist. Das ist auch etwas, was man früh nicht genug lernen kann: Sehr viel Unangenehmes, kann vom Krebs stammen - oder von der Chemo - aber es muss es nicht! Mindestens ebenso oft hat es ganz andere - harmlose - Ursachen, aber man wuselt innerlich sofort los und schiebt es dem Krebs zu. Lasst das! Es gibt dem Krebs nur noch mehr Macht über Euch, über Eure Gedanken, Eure Gefühle...
Abends hab ich dann nochmals Gespräch mit einem befreundeten Arzt gesprochen, der mir die Wirkungsweise der Chemo erklärt hat und auch, was passieren kann, wie man selbst und der Arzt darauf reagiert. Es ist ein Trial-und-Error-Verfahren, weil man immer noch vorher nicht sagen kann, was exakt bei dem konkreten Patienten passiert.
Abends habe ich dann auch noch schweren Herzens meine Freunde informiert. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich.
Hilfreich für alle – auch für mich – war es, dann möglichst schnell in ein konkretes „Was ändert sich“ und „Was bleibt“ einzusteigen. Das ist konstruktiv und hilft irgendwie, den Irrsinn zu meistern.

Freitag, 7. Juni 2013

Unter die Räder gekommen

Für meinen Termin bei der Histologie, habe ich erst mal die Arbeit abgesagt, schwupps bin ich schon im Ausnahmezustand, wobei ich da jetzt nicht kleinlich sein will. Krankenhaus ist auch Arbeit... nur anders.
Die Termine im Krankenhaus - gerade in einem Großen - sind eine Herausforderung besonderer Art. Die Meinungen darüber, welche Klinik die Richtige ist, gehen da auseinander. Für die Großen spricht die Erfahrung. Für die Unikliniken spricht die Forschung. Für die Kleinen spricht das Menschliche... Am Ende haben mir all meine Arzt/Medizinfreunde dazu geraten, eher in eine große, am Besten in eine Uniklinik zu gehen. Ich persönlich denke, dass es auf den Arzt ankommt, den man erwischt. Und auf die eigene psychische Situation. Ich bin ein Klotz, kann damit leben nicht gemocht zu werden (und verstehe das manchmal sogar). Ich kann mich wehren, kenne berufsbedingt meine Rechte, bin stressresistent und eloquent, mit einem gerüttelt Maß an Selbstironie ausgestattet und auch sonst durchaus für Galgenhumor zu begeistern.... Und all das war in einem großen Münchner Universitätsklinikum auch bitter nötig! Also, wer psychosoziale Betreuung bei Ärzten sucht, ist nach meiner Erfahrung in einem großen Klinikum vollkommen fehl am Platze.
Die Maschinerie dort überfährt einen, wie am Fließband müssen da Unmengen von Patienten durchgeschleust werden – das ist unheimlich und beängstigend. Tröstend ist, dass Krebs also ganz offensichtlich nun wirklich kein Einzelschicksal ist, aber das tröstet nicht lang. In meinem Fall war es genau an der Anmeldung, für die man auch schon eine Nummer ziehen musste, vorbei.
Da sitzt so eine Dame mit Brille sicher verschanzt hinter einer Rezeption und schaut einen über den Brillenrand hinweg an, als hätte man sie gerade angerülpst. "Sie wünschen?" Ja, was wünsche ich am Empfang des Brustzentrums? Glück, Gesundheit und vielleicht etwas gegen die Erderwärmung, wenn wir schon dabei sind? "Ich habe einen Termin, beim Oberarzt." Die Brille funkelt, die Mundwinkel zucken nach unten. "Nein."
Ich schüttle den Kopf, lächle breiter. "Doch", wiederspreche ich. "Ich habe mit dem Arzt selbst telefoniert. Er hat mich für 14:40 h herbestellt." Lächeln hilft nichts, die Brille funkelt weiter, so wird das nichts. "Davon weiß ich aber nichts", sagt der Klinik-Cerberos, der freche Patienten in Schach halten will. "Nun", wehre ich mich. "Das ist jetzt noch nicht zwingend. Es wird noch mehr geben, das IST, von dem Sie nichts wissen."
Jetzt weiß ich wenigstens, warum die Mundwinkel der Schwerkraft nachgeben. Ich lächle etwas ehrlicher und warte. Name, Adresse, Versicherung... na also geht doch. Und dann das befreiende: "Nehmen Sie draußen Platz, wir rufen Sie auf". Den Spruch sollte ich noch öfter hören, meist nach langem intensiven Herbeisehnens. Eines gleich am Rande: Krebs ist vor allem ein Gedulds-Test.
Für das Warten muss man sich deshalb schnellstens eine Strategie zurechtlegen. Da gibt es den Händeringer, den Seufzer, den Herum-Tiger, die die Zwangsbeichter, die MP3-Zucker und die Schutzleser. Zu denen gehöre ich. Man nehme sich ein Buch und vergrabe sich da hinein. Das hat den Vorteil, dass man einerseits nichts von der Panik und der schlechten Stimmung der anderen Patienten mitbekommt, weil man ja liest. Zudem hat es mehr als alle anderen Techniken den VOrteil dass die Zeit schneller vergeht und man mit etwas Glück vergisst, dass im Krankenhaus auch ein vermeintlich exakter Termin wie 14:40 h keineswegs exakt ist. Alles ist relativ und Zeit ist dehnbar. Wer immer das physikalisch nachgewiesen hat, er hat vermutlich in einem Krankenhaus-Wartebereich begonnen. Ok, vermutlich ist auch um 16:50 irgendwo auf der Welt gerade 14:40, aber irgendwie bin ich beim Termin vereinbaren von MEZ ausgegangen und hab gedacht, dass man bei einer avisierten Behandlungsdauer von einer Stunde mit zwei Stunden auskommt... Wie naiv.
Als ich endlich drankam, fragte ich mich, warum ich so ungeduldig auf den Befund gewartet habe. Der Arzt schaut mich an und seufzt.
Böses Karzinom, alles kein Spaß... Großes Programm inkl. Chemo und drumherum, Biopsie, anschließende Untersuchungen meiner Organe, wie die mich durch die bevorstehende Chemo-Rosskur bringen werden und weitere Terminvereinbarungen.
Und schon bin ich wieder draußen, um nochmal "kurz zu warten". Jetzt lese ich nicht, sondern überlege. Die Maschine nimmt Fahrt auf, ich bin beeindruckt. Sprachlos sogar und das ist selten. Ok. das wird jetzt aufwändiger, also rufe ich meine Chefs an und vereinbare einen Termin, damit wir mal über meine Einsatzmöglichkeiten in näherer Zukunft sprechen können, meine Mandantentermine etc.
Mittelkurz später, die Ultraschallbilder sind in der Akte, sitze ich nochmals beim Arzt, der sich mit mir über ein paar grundsätzliche Dinge unterhalten will. Die Info-Übung vom Wochenende hat sich rentiert, denn nun prasseln Fragen auf einen ein, was echt beängstigend ist:
Wie stehen Sie zu ihrer Brust?
Soll Ihre Brust erhalten werden?
Und wenn ja, wie? Silikon?
Wollen Sie noch Kinder haben?
Legen Sie Wert darauf, dass Ihre Eierstöcke geschützt werden?)
Soll man vor der Chemo Eizellen entnehmen um eine in vitro-Befruchtung (künstlich) vornehmen zu können?
Meine Lieblingsantwort, war trotz allem: "ÄH".
Also frage ich lieber mal zurück. Auch das ist wichtig. Sich vorher zurechtlegen, was man wissen will. Auch da hilft es zu lesen, zu recherchieren, weil einem da die besten Fragen einfallen. Mir jedenfalls.
Und die vielen Aussagen, auf meine Fragen sind widersprüchlich
Sie können auch während der Chemo normalerweise zumindest eingeschränkt arbeiten
Die Chemo bedeutet, dass Sie auch bei 100% Arbeitszeit nur 50% Leistung bringen
Sie werden definitiv müde und erschöpft sein
Am Haarausfall führt kein Weg vorbei
Ihr Leben wird sich ändern, Sie müssen Vorsorge treffen, Sie müssen neu planen, es wird kein „ex ante“ mehr geben!
Die Nebenwirkungen kriegt man durch Medikamente in den Griff
Es gibt keine verlässlichen Aussagen, bevor wir nicht die Biopsie-Ergebnisse haben
Verwiert und mit schwirrenden Kopf fahr ich heim und setz mich erst mal auf die Terrasse, der jetzt gerade eines fehlt: Meine Katze. Dem Hund ist es zu heiß, die blöde Kröte ist in Spanien groß geworden, wie kann er da vor einem Münchner Sommertag passen?
Ich denke an meinen Kater, mein kleines Totemtier, meine Seelenbürste, die ich jetzt so dringend wie nie zuvor im Leben bräuchte...
Telefoniere mit Tierärzten und Tierheimen, hänge Zettel aus, und suche in der Nachbarschaft.
Nachts kann ich nicht schlafen. Ich muss mein Leben planen, wenn ich es behalten will. Arbeit, Familie, Haushalt, Tiere - alles will organisiert sein, und zwar schnell und präzise, doch mit all den Variablen ist das schwer. Präzise flexibel ist das Wort. Oder eierlegende Wollmilchsau!
Ich weine ein bisschen, wenn keiner hinschaut.