Montag, 10. Juni 2013

Business as usual

Der Irrsinn geht weiter - und seltsamerweise gewöhnt man sich irgendwie daran.
Morgens bin ich also erst mal zur Blutabnahme beim Hausarzt erschienen. Mit dem hab ich erst mal meine bisherigen Abenteuer besprochen, man lernt allmählich, seine Geschichte zu erzählen.
Lehrreich ist das Krank-Sein ja auch, zumal ich mich im Augenblick ja auch eigentlich gar nicht krank fühle. Was man so alles aus den Blutwerten rauslesen kann, ist zum Beispiel schon verblüffend. Weniger begeisternd ist die Aussicht, künftig, also während der Chemo, mindestens wöchentlich zur Blutentnahme zu gehen.
Na, mir ist es egal, weil ich damit keine Probleme habe. Mit mir hat meine Cousine während dem Studium Blutabnehmen geübt. Mein Arzt lacht, nach der Chemo kann es jeder. Ah. Ich lache mit, auch wenn ich das jetzt gar nicht so komisch gefunden habe.
Aber zurück zum Blut...
Wenn man die Auswertung dessen kriegt, was da in einem oder mehreren Röhrchen eingeschickt wurde, versteht man erst mal gar nix. Kyrptische Zeichen, seltsame Zahlen, adrett garniert mit ein paar "*" und "*" und "-". Ich verstehe kein Wort, wobei das natürlich daran liegt, das kein Wort da steht, sondern eben nur Kürzel.
Diese Kürzel erklärt recht gut
http://www.code-knacker.de/blutwerte.htm
Tumormarker sind wohl nicht verlässlich, weshalb mir der Arzt davon abgeraten hat, sie überhaupt zu ermitteln (hab ich dann trotzdem machen lassen, schon aus Neugier, und hat kein sinnvolles Ergebnis gebracht - nach den Markern keinen Tumor, obwohl ich ihn ja sehen und spüren konnte).
Bei der Chemo werden die Blutwerte v.a. genommen, um die Leukozyten zu kontrollieren. Leukozyten sind weiße Blutkörpchen, die Krankheitserreger abwehren. Sie leiden ebenfalls unter einer Chemotherapie und wenn der Wert unter einen bestimmten Wert sinkt, ist die Gefahr, zu erkranken und kein Immunsystem zu haben, so hoch, dass die Chemo ausgesetzt wird. Die nächsten Monate werden also ein fröhliches Leukozyten-Zählen.
Im Büro hab ich dann nach Zögern erst mal denen gesagt, was los ist, die ich sonst anlügen müsste. Ein kurzes Krisengespräch mit den Chefs war sehr positiv und hat mich auch motiviert. Meine beiden Chefs haben mir jegliche Unterstützung zugesagt, die man mir gewähren kann und das hat mich schon beruhigt.
Für alle, die nicht die Möglichkeit haben, notfalls von Zuhause aus zu arbeiten, oder auch mit den mit längerer Arbeitsunfähigkeit verbundenen Einbußen nicht zurechtkommen können, gibt es verschiedene Beratungsstellen, die auch sozialrechtlich weiterhelfen. Das ist auch sinnvoll, denn hier kommt es wirklich sehr auf die individuelle Situation, das ganze soziale Umfeld an, da strecken sich jedenfalls die seriösen Online-Infodienste.
http://www.krebsinformation.de/wegweiser/adressen/sozialrecht.php
Ganz einfach war es trotzdem nicht. Der Umgang mit einander wurde im Büro zum rechten Geeier, zu unklar den Kollegen, was ich eigentlich will. Rücksichtnahme oder Business as usual. Heutzutage haben wir in unserer Hochglanz-Lügen-Idyllwelt einfach alles hässliche rausgesperrt, keine Kranken mehr, die nicht ins Krankenhaus oder ins Heim oder jedenfalls an einen Pflegedienst abgeschoben werden, Sterbende schon gar nicht... wir wollen ja nicht mal wissen, wo das Schnitzel herkommt. Wenn man selbst krank ist, muss man sich darüber klar sein, dass das Meiste dessen, was einem an GEschmacklosigkeiten, Gemeinheiten, Schmerz und dergleichen widerfährt, nicht BÖS gemeint ist, sondern Gedanken- und Hilflosigkeit entspringt. Ich habe mir während meiner akuten Krebskampfphase noch oft anhören müssen, dass ich es meiner Umwelt schwer gemacht hätte, weil man mir den Krebs nicht angesehen hat. Hat aber keinen davon abgehalten, genervt auf mein Gejammer zu reagieren, wenn mir mal nach Jammern war. Es ist schwierig - und nicht nur für mich, sondern auch und vor allem für jene Leute, die zwar viel Zeit mit einem verbringen, einem dabei aber nicht richtig nahekommen (und das auch nicht sollen); Arbeitskollegen zum Beispiel.
Mir fällt am Arbeitsplatz jedenfalls schwer, sich auf die Millionen von E-Mails zu konzentrieren. Aber das könnte auch daran liegen, dass jetzt der erste richtige Arbeitstag nach dem Urlaub ist. Das ist auch etwas, was man früh nicht genug lernen kann: Sehr viel Unangenehmes, kann vom Krebs stammen - oder von der Chemo - aber es muss es nicht! Mindestens ebenso oft hat es ganz andere - harmlose - Ursachen, aber man wuselt innerlich sofort los und schiebt es dem Krebs zu. Lasst das! Es gibt dem Krebs nur noch mehr Macht über Euch, über Eure Gedanken, Eure Gefühle...
Abends hab ich dann nochmals Gespräch mit einem befreundeten Arzt gesprochen, der mir die Wirkungsweise der Chemo erklärt hat und auch, was passieren kann, wie man selbst und der Arzt darauf reagiert. Es ist ein Trial-und-Error-Verfahren, weil man immer noch vorher nicht sagen kann, was exakt bei dem konkreten Patienten passiert.
Abends habe ich dann auch noch schweren Herzens meine Freunde informiert. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich.
Hilfreich für alle – auch für mich – war es, dann möglichst schnell in ein konkretes „Was ändert sich“ und „Was bleibt“ einzusteigen. Das ist konstruktiv und hilft irgendwie, den Irrsinn zu meistern.

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