Sonntag, 23. Juni 2013

Demolition Man

Der Tag begann damit, dass die Klinik anrief, um den Termin zum Port-Legen zu verschieben. Das ist blöd, denn den brauch ich für die Chemo und die Chemo wiederum kann erst starten, wenn der Port lang genug drin ist (5 Tage in meinem Fall), um sich eingewöhnt zu haben und den Schnitt abheilen zu lassen.
Ports sind Kathetersysteme, die unter die Haut geschoben werden, um die Venen bei regelmäßigen Infusionen zu entlasten. Vom Port wird dann ein Schlauch durch die Venen bis direkt vors Herz geschoben, damit das Chemo-Gift dann nicht im Arm in mein Blut eintropft, sondern direkt am Herzen. Das klang für mich auf den ersten Blick total bescheuert, weil ich lieber meinen Arm als mein Herz riskieren will. Aber die Erklärung hat mich dann doch beruhigt. Am Herz wird mit Hochdruck das Blut in den ganzen Kärper verteilt. Das bedeutet, dass sich auch das Chemo-Gift sofort maximal verteilt, während es im Arm erst mal mühsam wegtransportiert werden müsste und daher dort mehr Schaden anrichtet als erforderlich. Na, immerhin klingt das so, als hätte man da richtig nachgedacht. So erschreckend das alles ist, ist es irgendwie auch tröstlich und ich fühlte mich kurzfristig gut aufgehoben.
http://www.port-katheter.de/portkatheter/portkatheter.html
Aber wie eigentlich immer hält die vertrauensvolle Stimmung nicht an, denn wenn die jetzt den Port-Termin verschieben, dann verschiebt sich alles andere auch. Ich beschwere mich und hoffe, dass wir dann den Termin so legen, dass wir insgesamt noch im Zeitplan bleiben.
Während ich noch auf den Rückruf wegen dem neuen Termin warte, kommt meine Cousine vorbei und warnt mich eindringlich davor, den Port wie geplant in den Arm legen zu lassen. Am Schlüsselbein sei ein viel besserer Ort, da gäbe es weniger Komplikationen. Ich soll unbedingt wiedersprechen, wenn der Port am Arm gelegt werden soll. Das verunsichert mich, weil ich hätte wegen der Beule, mit der sich der Port unter der Haut abzeichnet doch deutlich diskreter gefunden. Immerhin könnte auch in München jetzt dann irgendwann mal Sommer sein und da mag ich nicht hochgeschlossen rumlaufen, damit keiner die Beule sieht und nachfragt. Ich nehme mir vor, das vor dem Eingriff nochmals anzusprechen. Für den Arzt wird es ja nicht das ganz große Problem sein, da nochmals umzudisponieren und das Schlüsselbein statt den Arm zu nehmen.
Auch die Chemobelehrung am Nachmittag ist superdeprimierend, ich komm mir vor, wie im falschen Film.
Da kommt ein junger Assistenzarzt rein und setzt sich mir mit einer Mischung aus Grabesernst und Genervtheit gegenüber und beginnt mit den denkwürdigen Worten: "Sinn der Chemo ist es, Ihren Körper so weit zu zerstören, dass er es gerade noch überlebt." Während ich noch an dem Prolog zu knabbern habe, verpasse ich ein paar der üblichen Nebenwirkungen - Übelkeit, Haarausfall undsoweiterundsoweiter. In regelmäßigen Abständen kommt wieder dieses "wir zerstören Sie".
Beim dritten Mal hebe ich die Hand und widerspreche. "So geht das nicht. Das wird so nichts."
Erstauntes Schweigen.
"Ich will sagen, so können Sie mit keinem Menschen reden. Ich bin ja nicht zum Spaß hier, da will ich diese Zerstörungsorgie nicht hören. Das ist kontraproduktiv."
Erstauntes Blinzeln. "Aber so ist es. Damit müssen Sie sich abfinden. Ihr Körper wird zerstört..."
"Nein!" Das Gefühl im falschen Film zu sein, verstärkt sich. "Sagen Sie, der Krebs wird zerstört. Das klingt gut, da ist jeder Patient bei Ihnen, denn genau dafür ist er ja zu Ihnen gekommen. Machen Sie dann weiter mit das wird nicht ohne Nebenwirkungen abgehen... Da nickt man dann zwar nicht mehr ganz so herzlich, aber das war ja jedem schon vorher klar. Das kann man ertragen. Dann weiter mit aber wir werden alles tun, um diese Nebenwirkungen so gering und erträglich wie möglich zu halten... und dann fliegen Ihnen die Herzen zu. Da sind wir ein Team, das vereint und schafft positive Energien."
Wie gesagt, es ist ein junger Arzt. Der könnte noch lernen. Vielleicht bringt es ja was, wenn wir hier Kommunikationstraining machen. Erstaunlich das Ärzte da offenbar überhaupt keine Ausbildung bekommen.
Wir unterhalten uns dann noch über verschiedene sonsstige Nebenwirkungen. Rissige Haut, taube Hände, vorübergehender Verlust der Geschmacksnerven... Ist alles nicht so prickelnd.
Er kommt dann auf Atrosegefahren und Depressionen als Nebenwirkungen zur Chemo zu sprechen. Beides Krankheiten, für die ich eine gewisse Anfälligkeit zeige. Als ich darauf hinweise - beides sollte eigentlich schon in meinem Krankenblatt stehen - zeigt sich mein Arzt so überrascht wir hilflos. "Tumortherapeutisch ist die vorgeschlagene Therapie die Beste."
"Ja", räume ich ein, weil ich ihm das sofort glaube. "Aber ich hab weder was davon, wenn ich danach krebsfrei im Rollstuhl sitze oder von der Brücke springe."
Als im weiteren Verlauf auf jede meiner Fragen immer erklärt wird, dass dies oder jenes tumortherapeutisch das beste sei, bitte ich darum, auf dieses t-Wort zu verzichten. Ich hätte gerne einen gesamtheitichen Ansatz, denn ich bin nicht nur ein Tumor auf zwei Beinen. Wenn aufgrund meiner Familienneigung zu Depressionen und meinen schlechten Gelenken, in Bezug auf ebendiese Depressionen und Atrose eh schon erhöhtes Risiko
besteht, wäre dann nicht eine andere Medikamentenzusammensetzung - so geeignet sie tumortherapeutisch auch sein mag - eine individuell für mich bessere - unter einem ganzheitlichen Ansatz?!
Trotz meiner Mühen komm ich aber nicht gegen das Regime an und fühle mich dann tatsächlich wie ein wandelnder Tumor. Als Mensch bin ich völlig egal.
Selbst die Beipackzettel für die Medikamente bekomme ich nur mit Druck. "Die verstehen Sie eh nicht", sagt der freche Kerl.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln. "Dann können Sie sie mir ja auch geben. Sie ersparen mir nur eine mühselige Internet-Recherche und ich habe einen Anspruch darauf. Sie wollen doch, dass ich diesen Zettel unterschreibe."
Ich kriege die Zettel.
Die Chemo selbst läuft in 6-8 Einheiten ab, mit immer drei Wochen Pause dazwischen. Infusionen, die mehrere Stunden dauern. Das Immuntief und damit die gefährlichen Tage sind immer am 3. Tag nach der Infusion. Da ist dann der Zellnachschub unterbrochen, weil die von der Chemo zerstörten Zellen fehlen und die neuen noch nicht wieder da sind. So jedenfalls hab ich das verstanden. Davon sind auch die weißen Blutkörperchen betroffen, die wiederum als Immunpolizei im Körper tätig sind.
Nach meinen Erfahrungen kann ich nur empfehlen, sich auf so ein Chemo-Gespräch vorzubereiten und auch nach Möglichkeit sich Fragen zurecht zu legen. Gerade wenn man schon Vorerkrankungen hat, kann man das gar nicht deutlich genug ansprechen, weil es sonst in der Akte - leider - schnell untergeht. Einen Einstieg für die Vorbereitung findet man hier.
http://www.krebsinformation.de/wegweiser/iblatt/iblatt-behandlungswahl.pdf
Leider sind meine Erfahrungen kein Einzelfall. Ich habe das oft (aber nicht immer) auch von anderen Patienten sowohl in meiner als auch in anderen Kliniken gehört - und bei Weitem nicht nur Krebspatienten. Gerade in den großen Kliniken sind die Ärzte so in der Maschine gefangen, dass sie gar nicht mehr den Menschen sehen, sondern nur den Fall selbst. Ich habe nie böse Absicht oder auch nur Gleichgültigkeit bemerkt. Gar nicht, nur eben aus Routine und engen Abläufen heraus geborene Gleichgültigkeit.
Aber das sollte nur den Ton der Fragen bestimmen, aber nicht ihre Hartnäckigkeit in Bezug auf die Antworten. Gerade weil ein überarbeiteter, gestresster Arzt nicht alle Details in den Akten im Kopf hat (auch wenn es wünschenswert wäre), sollte man auf alles, was relevant sein könnte hinweisen.
Ich habe beispielsweise vergessen, auf meine Kontaktlinsen hinzuweisen und als ich dann Probleme mit den Augen während der Chemo hatte, wurde mir gesagt, dass ich keine KL hätte tragen sollen... Wär ich nicht darauf gekommen und vorher hat auch kein Arzt gefragt. Der Aufwand jedenfalls lohnt sich und ich habe mich sogar mit meinem "Demolition Man-Arzt" dann wirklich gut verstanden. Auch wenn das noch ein Stück Weg war.

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