Mittwoch, 31. Juli 2013

Dünnes Eis




Dünnes Eis im Hochsommer!
Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, gleichzeitig zu zerfließen und zu gefrieren. Das ist treffend und zeigt, wie es mir geht. Bescheuert.
Dennoch geht es, wenn Körper und Psyche in ein und derselben Situation völlig verschieden reagieren. Na gut, "bescheuert" war noch nie ein Ausschlusskriterium. Aber der Spagat, den mir dieses äußere Schwitzen und das innere Frieren aufzwingen, ist gewaltig und so gar nichts für ein Steiftier wie mich, das einen Purzelbaum schon für einen akrobatischen Hochakt hält.
Ich hab mich gestern beim Wandern wohl übernommen, nehme ich an. Ich weiß jedenfalls nicht wie ich sonst meine Schwankungen erklären kann.
Das ganze Wochenende ist psychisch instabil. Ich mag mich und mein Leben nicht und fühl mich von allen verraten, ohne sagen zu können, warum. Insbesondere von mir selbst, oder vielmehr von meinem Körper, der mich mit einem Ganzkörpermuskelkater quält.
Mir tut selbst das Liegen weh.
Muskelkater reagiert unter Chemo anders. Man baut die Milchsäure schlechter ab, denke ich mal. Vielleicht, weil man so viel anderes zum Abbauen hat. Aber das ist eine These, die ich medizinisch auch mit Tante Googles Hilfe nicht verifizieren konnte...

Jedenfalls versuche ich mit keinem zu reden und sage auch meine Reitverabredung ab, weshalb ich ich dann schlecht fühle. Das Ross kann ja nix dafür.

Schon um irgendwie den blöden Tag rumzukriegen, lass ich mir ein Bad ein und verkrieche mich mit einem guten Buch in die Wanne. Ich sollte selbst auch wieder mehr schreiben. Fantasy-Probleme sind so herrlich weit weg vom Krebsalltag.
Das wirkt immer gut auf meine Psyche (Das Baden, nicht die Fantasy-Probleme!). Warum bade ich so gern? In der Wanne ist es nett und warm und das Leben bleibt draußen. Vielleicht ist das so die Sehnsucht nach der Fruchtblase. Vollpension und keine Sorgen? Aber wer weiß schon, was einen Embryo so umtreibt. Wird schon keine Gründe haben, dass man sich daran nicht erinnert.
Baden jedenfalls ist schön und wirkt auch heute.
Begeistert stelle ich fest, dass – relativ – erfreulich meine kurzgeschnittenen Haare so eine Art Ehrengarde zurückgelassen haben, die fast als Frisur durchgehen könnte. Irokesenmäßig vielleicht, weil an den Seiten mehr weg geht, aber immerhin. Meine ausgelichtete Schambehaarung ist auch nicht so peppig, aber das ist das Geringste.
Unerfreulich ist, dass ich immer noch Rasieren muss. Ich hätte gedacht, dass das eine gute Seite an der Chemotherapie sei, dass man sich diesen Aufwand wenigstens spart.
Die Rasur ist schon so ein erstaunliches Thema der Menschheit, das genauerer Betrachtung bedarf. Es zeigt wieder einmal auf subtile Weise den Geschlechterkonflikt auf:
Ich meine, wie Männer immer darüber reden, was das Rasieren für ein unfassbarer Stress ist. Was es an Lebenszeit kostet, sich jeden Morgen das Gesicht rasieren zu müssen (und dann nochmals drüber Jammern), was sie dann doch statistisch eh nur alle zwei Tage tun...( Rasieren, nicht Jammern!)
Wie viel Fläche ist das, die vom Durchschnittsmann damit alle zwei Tage bearbeitet werden müssen?

Frauen hingegen... Achseln, Beine, Bikinizone... Alle drei Tage spätestens, damit es keine Stoppeln gibt. Das sind ganz andere Flächen!
Und wir tun das - ganz entgegen sonstiger weiblicher Gepflogenheiten - schweigend.
Wenn wir nicht den Zeitaufwand gegen Schmerz tauschen und zu Epilierer und Wachs greifen. Aber diese Stoppelhaare halten sich. War ja klar. Phhhh. Fies ist das.

Doch, wenn ich ehrlich bin, darf ich nicht klagen.
Die Chemo selbst läuft im Großen und Ganzen ereignisfrei. Und das ist gut. Das ist richtig gut. Ich sollte dankbar sein. Bin ich auch. Meistens. Wenn ich grad dran denke. Und ich sollte dankbar dafür sein, dass es mir so gut geht, dass ich nicht ständig dran denke. Elend ist eine gaaaaanz hervorragende Erinnerungsfunktion und wenn mir das erspart bleibt.... Also DANKE (an wen auch immer). Ehrlich.
Mein Problem - wie mein gestriger Wandertag gezeigt hat - besteht vielmehr darin, sich nicht wieder all das anzugewöhnen, was einen überhaupt erst hierher gebracht hat. Ich denke an die Schwester bei der Voruntersuchung im Krankenhaus, die gemeint hat, sie wünscht mir, dass ich die Therapie nicht zu gut vertrage, damit ich lerne, mehr auf mich zu achten. Heute verstehe ich, was sie gemeint hat, auch wenn ich die Formulierung immer noch arg uncharmant finde.

Ein bisschen was habe ich schon gelernt.
Es ist die Kraft der positiven Gedanken, die das Leben lebenswert machen.
Und es sind die negativen Gedanken, die es uns vermiesen.
Was ich falsch gemacht habe, weiß ich.
Ob der Krebs daher kommt, weiß ich nicht. Aber ich vermute es.
Das ist auch psychologisch geschickt. Denn wenn es stimmt, dann ist es schlau, all die krebserregenden Gewohnheiten zu lassen.
Also so dumme Dinge, wie
  • zu viel arbeiten, 
  • zu negativ denken,
  • sich zu viel vornehmen
  • zu wenig Sport
  • zu gehetztes Essen
Wenn mein Krebs sich wider Erwarten von einem so derart vorbildlichen Lebenswandel nicht verscheuchen lassen sollte, würde immerhin der Rest des Lebens dadurch netter werden. Also eine win:win-Situation. Oder aus Sicht meines Krebses - eine loose:loose-Situation. Entweder er verliert oder ich verliere nicht. Wie geht der Spruch: Manchmal verliert man und manchmal gewinnen die anderen. Ja genau! Ätsch, Krebs!
Und Schadenfreude ist nicht edel, aber unterhaltsam. 

Das Fax vom Hausarzt sagt prompt, dass meine Blutwerte sensationell gut sind. Das ist ein Zeichen! Yeah!
Sie sind verdächtig gut. Fast zu gut (sind das wirklich meine?). 
Ich erschrecke bei dem Gedanken und breche in Angstschweiß aus. 
Dann erschrecke ich, weil ich erschrecke. 
Dieser Schreck steigert sich zur Panik, denn woher kommen plötzlich die Zweifel? 
Zweifel schwächen mich und dann gewinnt der Krebs doch... 
Er wird sich krebstypisch von der Seite heranschleichen und zuschlagen, wenn ich schwach bin. 
Ich könnte heulen und mir ist kalt. Obwohl ich immer noch schwitze.
Ich betrachte kritisch nochmals meine Blutwerte... Was hab ich eigentlich?
Ich kann mich nicht entscheiden, ob dieses Psychoschwanken jetzt in die Chemostatistik zählt, oder ob ich da wirklich nur dieses klassische Chemo-Elend aufnehme, also Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit...
Tief durchatmen. Ruhig bleiben. Sammeln.

Letztlich ist es nämlich ein Vorteil, wenn man sich mit solchen Themen selbstkritisch und reflektiert befasst. Dann ist man vorgewarnt.
Ich persönlich stelle fest, dass es dem Umgang mit dem Krebs und seiner Vertreibung mittels Chemokeulen sehr viel leichter wird, je besser ich mich wappne. Wenn ich weiß, warum etwas passiert, kann ich es richtig einschätzen. Dann bin ich nicht mehr ganz so Opfer, sondern Täter.
Eigentlich bin ich nicht unzufrieden mit mir, jetzt, wo ich mich wieder beruhigt habe.
Man frägt sich oft, wie man diese oder jene Kuh wieder vom Eis bekommt. Ich bin zwar keine Kuh, aber ich bin zuversichtlich, dass ich den Weg zurückfinde. Auch über dünnes Eis. Der Gedanke wärmt.
Machen wir für heute Halb/Halb

22:6 

Dienstag, 30. Juli 2013

Im Schreckenswald - Krebs auf Reisen

  • Eigentlich sind unsere Betriebsausflüge immer supergeheim und niemand darf wissen, was wir wo machen.
    Unsere Chefs finden das lustig. Meine Kollegen finden das bedrohlich. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass man irgendwohin gekarrt wird und hilflos ausgeliefert den Dingen harrt, die sich da Amateurkomiker ausdenken.

    Ich habe daher beschlossen, meinen Krebs zur Waffe zu machen und auf eine Extrawurst zu bestehen. Siegreich, wenn auch erst nach längerem Hin und Her und die Berufung auf Grundrechte wie Menschenwürde und Gleichheitsgrundsatz (insbesondere mit dem Verweis, dass man nicht nur Gleiches gleich behandeln muss, sondern eben auch Ungleiches ungleich und damit Chemopatienten eben anders als gesunde Kollegen).
    Jedenfalls gabs für mich und meine Eloquenz eine Ausnahme und ich erfuhr tatsächlich nicht nur vorher (!), das wir mit dem Bus zum Cross-Golfen nach irgendwo hinter Regensburg fahren, ich durfte zusammen mit meiner Lieblingskollegin sogar selbst mit dem Auto fahren!
    Mein Argument, dass ich nicht weiß, ob ich mit der Chemo in den Knochen den ganzen Tag durchhalte, hat dann doch gezogen. War aber eine knappe Sache, die dann doch eine Chefkonferenz hinter geschlossenen Türen erfordert hat. Traurig wär das, wenn es nicht irgendwie auch komisch wäre. Tragikomödiantisch quasi. Ich bin mir nicht sicher, aber vermutlich haben Diktatoren ihre Kapitulation schon mit weniger Zögern und Jammern unterzeichnet.

    Uns so kam's, dass wir durch den Nieselregen in die Bayrische Provinz fahren. Bayrisch Kongo quasi. Mindestens. Das Outback der Provinz der Provinz, irgendwo ganz tief in Niederbayern. Wenn man still in die Landschaft lauscht, hört man den Randwasserfall schon rauschen... und wir stürzen mit unserem Auto in jene Tiefe, vor der sich unsere Vorfahren schon bei ihren ersten Seefahrerversuchen gefürchtet haben. Oder deren Kumpels von vor der Küste. Bergvölkern dürfte die Vorstellung einer Scheibenwelt nicht gerade nervös gemacht haben.
    Vielleicht ist es aber auch nur das Radio, das trotz emsigen Durchlaufens der gesamten Frequenzbandbreite einfach keinen Sender mehr findet. Ob es hier Werwölfe gibt, die Freitagabend bei Vollmond heulen? Unwillkürlich suche ich nach atmopshärisch passenden Burgruinen als Hundehütte...
    Die Adresse, wo wir uns treffen sollen, ist ziemlich schwer zu finden, jenseits der Karten, die von Standard-Navigationssystemen vorgehalten werden, und so nähern wir uns dem Ziel eher spiralförmig, aber trotz allem immer noch rechtzeitig.
    Das liegt aber an meiner Kollegin, die ist nämlich anders als ich immer pünktlich und plant auf längeren Strecken einen Verkehrspuffer ein. Auf so was würde ich nie kommen. Ich bin drei Tage zu spät auf die Welt gekommen und die Verspätung habe ich seither nie mehr eingeholt.  Deshalb bin ich immer zu spät und fühle mich irgendwie seltsam, wenn ich pünktlich unterwegs bin. Aber meine Kollegin hat sich durchgesetzt. Ich kann ja nicht immer gewinnen.
    Dieses Mal aber hätten wir mal besser auf mich gehört, denn dann wären wir zu spät gewesen.
    Und hätten nicht so lange warten müssen.
    Am Treffpunkt, der eine Scheune war, hinter der ich unwillkürlich eine Gruft mit Vampirsärgen im diesigen Dunst der Felder vermute, war nämlich außer uns nicht ein Vampir, kein Werwolf und noch nicht einmal Fuchs und Hase. Nur Nieselregen.
    Der allerdings reichlich. Gut eine Stunde später, kommt endlich der Bus mit genervten Kollegen. Der Nieselregen lässt nach, trotzdem kommt es mir gerade frostig vor. Unsere Chefs sind bemüht heiter.
    "Ach und unsere Kay ist auch da. Nun, dann wollen wir ihre Kräfte schonen und mal lieber gleich loslegen! Wer weiß, wie lange sie durchhält. Ha. Ha. Hahaha."
    Gezwungenes Gelächter. Mitleidige Blicke. Fremdschämen.
    Ich öffne den Mund, um höflich zu fragen, warum er dann so umständlich nach einem Schlag auf die Nase fragt, der mich ebenso viel Kraft kostet wie das Unterdrücken des entsprechenden Impulses. Aber meine Kollegin kennt mich und tritt mir gegen das Schienbein. Ich humple ins Abseits und fühle mich entblößt. Ich hab nicht gern Krebs. Mir macht die Chemo keinen Spaß und ich bin überhaupt nicht gern schwach. Aber noch weniger mag ich es, ungefragt an solche Widrigkeiten erinnert zu werden, gerade dann, wenn ich sie erfolgreich verdrängt habe.



    Wir losen unsere Gruppen aus und meine Kollegin und ich sind in einer Gruppe erklärter Nichtgolfer. Hurra! Das ist gut, weil dadurch untertags der Leistungsdruck gegen Null geht, aber schlecht, weil wir garantiert nicht gewinnen können.

    Da wir hier wirklich irgendwo im Nirgendwo sind, frage ich höflich nach, wo das Spiel endet, denn dort sollten wir das Auto parken, damit wir dann gegebenenfalls früher fahren können. Nein, sagt der Oberanimateur, das geht nicht, das ist Querbeet. Aber er fährt uns jederzeit zum Auto, wenn es denn erforderlich ist. Ich bin nicht so überzeugt, denn querbeet wäre es dann auch für sein Auto, oder?! Aber egal, ich will nicht streiten.
    Trotzdem frage ich dreimal nach, ob das wirklich die einzige Möglichkeit ist und ob das Angebot zuverlässig steht, und er versichert es dreimal.
    Das ist gut. Drei ist eine magische Zahl. Sie entfaltet Kraft und bindet den Oberanimateur (Lars) mit seiner Seele an diesen meinen Wunsch. Inkarnationsübergreifend. In alle Ewigkeit. Werwölfe und Vampire horchen auf...
    Lars grinst etwas verunsichert. Aber er nickt. Hastig.
    Vielleicht hätte ich dabei nicht mit den Augen rollen sollen. Na egal.
    Der andere Kollege, der hier in der Gegend wohnt und deshalb auch mit dem Auto herfahren durfte, seufzt erleichtert.

    Die Probleme wechseln als es losgeht, denn der Crossgolf-Kurs ist endlos. Erstens in realen Metern endlos. Wir rechnen abends nach und kommen auf satte 14 km Strecke durch Feld und Wald, Stock und Stein,... Und zweitens auch im übertragenen Sinne, wenn man zum ersten Mal einen Golfschläger schwingt, ist das echt knifflig und im Unterholz erst recht.
    Wir erwägen zu Mogeln, weil nach etwa einer Stunde macht es überhaupt keinen Spaß mehr, zumal es jetzt dampfig schwül wird und die Mücken und andere Blutsauger wieder aus ihren Löchern kriechen. Als ich vorhin von Vampiren gesprochen habe, hatte ich etwas ... weniger profanes ... irgendwie stylisheres im Sinn (auch wenn ich verspreche, dass meine Vampire niemals glitzern werden!)
    Meine Kollegin erwähnt ganz zu recht, dass wir auch um 15:00 h noch keine Aussicht auf Essen haben. Das weckt das Raubtier in mir, jetzt habe ich auch Hunger. Und schlechte Laune und überhaupt...
    Auch die Werwolfgeschichte funktioniert plötzlich auch ohne Mondlicht indizierte Metamorphose...
    Es ist vermutlich schon nicht schlau, wenn man einen Abenteuerwandertag mit Chemo im Kreuz mitmachen will.. In dieser Hinsicht war ich noch nie schlau und will es auch gar nicht sein. Aber jetzt lerne ich, dass es nochmal was anderes ist, wenn das Abenteuer so derart schief geht, dass auch gesunde Leute an ihre Grenzen kommen.
    Mit einem Mal wird mir alles zuviel und ich könnte mich auf die nächste Wurzel setzen und fluchen. Weil ich so überheblich bin, so dumm und so unvernünftig. Oder auch heulen. Lang und intensiv.
    Geht aber nicht.
    Ich habe nur ein "Loch" lang Zeit mich zu sammeln, bevor die Kollegen wieder aufschließen und denen will ich echt nicht erklären, dass offenbar auch Hirnzellen zu den schnell teilbaren und chemozerstörten Zellen gehören.
    An sich ist das alles lustig, denke ich mir. So ist es immer.
    Wenn was ein bisschen schlecht ist, ist es einfach nur schlecht.
    Aber wenn es so richtig schlecht ist, dann gibt es ein Phänomen wie es das auch im das Auge des Orkans geben soll - denn richtig "scheiße" ist jedenfalls rückwirkend immer lustig.
    Nein, ich meine das ganz im Ernst. Überlegt doch mal:
    Genau betrachtet sind doch die besten Partygeschichten immer nur nachher gut.
    Vorher, also solang man drinsteckte, waren die größten Burner ganz und gar nicht toll.
    Außer man weiß es.
    Dann kann man sich auch schon zwischendrin freuen.
    Oder wenigstens amüsieren. Humor ist wenn man trotzdem lacht. Mit meiner Kollegin stolpere ich kalauernd und grinsend durch den finsteren Wald. Sie fällt hin. Und lacht.
    Ich purzle über eine Wurzel und zerkratze mich an Brombeeren.
    Ich lache auch. Allerdings nicht ganz von Herzen.
    Auch wenn ich es nicht zugebe, merke ich, dass es mit Chemo schon nochmal anders ist...
    a) weil ich echt viel zu Essen brauche, damit es mir gut geht;
    b) weil offenbar meine Nieren so arbeiten, dass alle Flüssigkeit vermehrt ausgeschwemmt wird
    c) weil ich zwar körperlich einigermaßen leistungsfähig bin, aber eben nicht so wie sonst.

    Ich hab mein ganzes Leben viel Sport gemacht, aber wenn ich mit weniger Fitness in dieses Abenteuer gestartet wäre, hätte ich das hier bei genauerer Betrachtung niemals schaffen können. Ich komme mir ziemlich leichtsinnig vor. Und das frustriert mich noch mehr. Es ist was anderes, ob man was nicht will, oder man nicht kann. Düster philosophierend, kommen auch meine ebenso (fast) hungrigen Kollegen wieder und wir ziehen weiter. Es gibt im Sommerwald ziemlich wenig zu Essen. Vor allem, wenn ein provinzgroßes Funkloch verhindert, dass man mit dem Handy um Hilfe ruft. Oder wenigstens einen Pizza-Service, der per Helicopter ausliefert.
    Die paar Blaubeeren bleiben den wenigen erhalten, die sich gefangen zwischen möglichem Fuchsbandwurm und sicherem Hungertod für ersteres Risiko entscheiden.
    Fußlahm, genervt und gelangweilt erreichen wir gegen 16:00 h dann mit einem aus dem Bauch heraus knurrenden Team  den Gasthof, wo es Gerüchten zufolge was zu Essen geben soll.

    Es nieselt zwischendrin noch mal kurz. Passend zu Stimmung.
    In weiser Voraussicht habe ich in dem Dorf in der Bäckerei zwei nicht mehr ganz frische Nusschnecken kurz vor Ladenschluss (um 16:00 h!) erstanden, auch wenn mein im Team befindlicher Chef böse geschaut hat. Was man hat, hat man. Und etwas Vorsicht hat selten geschadet, aber häufig genutzt.
    So auch dieses Mal. Im Gasthof erfahren wir nämlich, dass wir nicht im Gasthof warten, sondern draußen in der Scheune. Dort werden uns dann auch nach ein paar lustigen Spielen Brötchen serviert. Der Wirt sprach von Brotzeit, aber das ist in Anbetracht der Platten mit ein paar angetrockeneten Salami-Baguettes wirklich etwas irreführend. Eine Brotzeit ist nämlich eine vollwertige Mahlzeit.
    Das Angebot in der Scheune hingegen genügt, wenn man es auf über 30 Leute runterbricht, die nach 14 km Matsch-Cross echt müde und hungrig und zudem ausgekühlt sind, gerade mal um die endlosen Tiefen meines Magens auszuloten. Danach habe ich jedenfalls immer noch mehr Hunger als vorher, wenn ich dann nur so ein bisschen was esse.
    Selbstlos teile ich mit meinem Team meine Nusschnecken.
    Das mit dem "Anfüttern" funktioniert offenbar auch bei anderen Mägen, denn nun hat auch mein Chef Hunger bekommen und spricht mit dem Wirt, dass wir schon mal vorab ein bisschen was kriegen, bis die anderen Teams eintrudeln, die sich offenbar noch mehr als wir verlaufen haben. Mein durch viele Jahre wilden Ausreitens geschärfter Orientierungssinn hat uns einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
    Es hört auf zu nieseln. Jetzt regnet es statt dessen.
    Gleichwohl müssen wir noch ein paar Spiele machen. So ist das geplant. Lars wird ja nicht fürs Nichtstun bezahlt, sondern fürs Animieren. Kochen wäre eine tolle Sache, würde allen gefallen. Lars hat aber andere Ideen.
    Eierlaufen zum Beispiel.
    Oder vielmehr Golfball-Laufen, passend zum Thema. Schade. Golfbälle kann man nicht essen.
    Ich bin echt froh, dass ich mich rausreden kann.
    Krebs hat - unverhofft, aber eben doch - auch seine guten Zeiten und während die Kollegen Heiterkeit heuchelnd und Grimassen schneidend durch den Platzregen patschen, trinke ich Kaffee und bin zufrieden. Relativ.
    Mein Senior-Chef kommt zu mir und fragt, warum ich nicht mitmache. Es wäre gut fürs Team, wenn ich mich nicht ausgrenzen würde. Ich sage, dass ich müde bin und lächle entschuldigend. Mein Chef meint, dass ich mich schon ein bisschen mehr anstrengen könnte. Die Spiele gehören eben auch dazu. Wir brauchen alle "Team-Spirit".
    Ich frage, ob er mich im Krankenhaus besucht, wenn ich zusammenbreche und gehe in den Regen zu den anderen. Er übrigens nicht. Chefs sind vom Team-Spirit befreit.
    Meine Kollegin schlägt vor, das Abendessen in Anbetracht der bisherigen kulinarischen Erfahrungen auszulassen und nass und müde wie wir sind, lieber gleich heimzufahren.
    Sie predigt katholischen Ohren, denn genau das hätte ich auch schon vorschlagen wollen. Frohgemut gehen wir zu Lars, unserem eidgebundenen Animateur und bitten um den ausgelobten Transport zu unserem Auto.
    Geht jetzt nicht. Sagt er. Nach dem Essen. Und den Spielen. (NOCH MEHR SPIELEN?)
    Wenn der Bus kommt.
    Auch der andere Selbstfahr-Kollege möchte gleich fahren und bestätigt das uns gegebene Versprechen... Nach längerem Hin und Her setzt sich juristische Rhetorik durch (oder die von mir aus zwei Holzscheiten krude geschnitzten Pflöcke in meiner Hand) und wir können ihn überzeugen, er fährt uns.
    Nein, er fährt in einem Transporter mit 8 Sitzplätzen nur 2 Personen. Meine beiden Kollegen. Ich muss warten, bis meine Kollegin mich dann abholt.
    Also sitze ich frierend in einem Bushäuschen in Niederbayern und warte.
    Und weine ein bisschen.
    Geht gut. Tränen tarnen sich mit Regen und zeichnen malerische Muster in den Schlamm, der meine Wangen bedeckt (Die Brombeeren waren schmutzig).
    Mir tut alles weh und ich bin erschöpft, physisch und psychisch. Außerdem habe ich Hunger.
    Und mir ist kalt.
    Ich will heim, wo ich besser hätte bleiben sollen.
    Auf dem Rückweg rufen wir meinen Mann an und flehen ihn an, für uns was zu Kochen.
    Weil wir so furchtbar Hunger haben. Hungäääääääär!
    Er sagt zu und die Aussicht auf eines seiner Top-Sterne-Verwöhn-Menüs könnte auch wesentlich grässlichere Tage zu einem versöhnlichen Abschluss bringen.
    Sicherheitshalber halten wir dennoch bei dem Laden mit dem goldenen M um uns mit einer Wegzehrung, und vor allem Getränken auszurüsten.
    Nicht, dass wir in einen Stau geraten. Das wäre tödlich. Unterzucker wird dramatisch unterschätzt.

    Wir lachen auf dem Nachhauseweg herzlich über unsere Abenteuer (hab ich es nicht gesagt?) und das Essen ist wirklich toll. Steak mit Gratin und Gemüse und Salat und davor eine Brotsuppe und danach noch ein Nachtisch...
    Nein, so ein Tag kann nicht schlecht sein.

    21:5 

Montag, 29. Juli 2013

Back to work - Krebs im Büro

  • Die Chemoferien sind vorbei.
    Der Sommer gibt sich bedrohlich, drückend, schwül.
    In der Fußgängerzone flanieren fröhlich Fische und Seepferdchen. Wer Kiemen hat, ist klar im Vorteil.
    Der erste Tag in der Kanzlei beginnt mit einer endlos langen Telefonliste was zwar kein Wunder, aber eben auch nicht gerade angenehm ist. Mal abgesehen davon, dass ich frauenuntypisch nicht gern telefoniere, ist es im Büro an Tagen wie diesen besonders unangenehm.
    Die Mandanten sind nämlich im Gegensatz zu mir, in ihren Themen voll drin und ich hatte zwischendrin tausend andere Dinge im Kopf und hier Millionen von anderen Akten auf dem Tisch. Mindestens.
    Ich wär auch gern mal so eine Fernsehanwältin, die immer nur einen, max. zwei Fällchen hat und die sind ganz wichtig und die Mandanten sind ganz dankbar und hilfsbereit und so... Und alles im schicken Kostümchen und High Heels und so...
    Hach...
    Ärzte denken sich vermutlich dasselbe, wenn sie die Arztserien ankucken. Das ist eigentlich arglistige Täuschung. Wie viele junge Menschen werden mit so einem Schmarrn zu völlig falschen Studiengängen gelockt?! Erklärt das die Heerscharen frustrierter Berufsträger? Desillusionierte Opfer perfider Propaganda?
    Einer meiner Mandanten versucht sich gerade von seinem Vorstand zu trennen und die Verhandlungen sind wirklich peinlich. Da verdient man deutlich sechsstellig und die streiten sich echt wegen 50 € Aufwand wegen einer Zusatzversicherung herum.
    Seit ich in dieser Krebsgeschichte stecke, bin ich irgendwie leichter reizbar, wenn wegen solchen Banalitäten so ein Zirkus gemacht wird. Das ist vermutlich gut fürs Karma aber schlecht für die Karriere.
    Andererseits hätte mich das hier jetzt auch ohne Krebs genervt. Das sind die Schattenseiten meines Berufs. Man sieht auch die Schattenseiten der Gesellschaft. Oder, um hier jungen, illusionsbehafteten Lesern die Wahrheit zu sagen: Vor allem die Schattenseiten der Gesellschaft.
    Na egal, ich telefoniere jedenfalls brav mit allen, die mich sprechen wollen und fertige danach verschiedene Schriftsätze, bis ich endlich in Mittag gehen kann.
    Ich habe Schweinehunger! Brutal.
    Der Begriff "Schweinehunger" kommt bestimmt daher, dass man in dem Zustand ohne mit der Wimper zu zucken, eine ganze Sau vertilgen könnte. Obelixmäßig sozusagen. Ob das an den Anti-Übelkeitspillen liegt? Egal. Jedenfalls muss ich aufpassen, dass ich auf der Straße nicht den ersten arglos vorbeikommenden Dackel reiße!
    Nachmittags über Schriftsätzen und Literaturrecherchen stelle ich fest, dass ich mir schwer tu, mich da wieder einzufinden, die Rhythmuswechsel sind sehr fordernd. Jeden Tag halbtag wäre vielleicht leichter, aber das geht noch weniger bei uns organisatorisch.
    Ich kenne mich, meine Kollegen und meine Mandanten - das läuft dann auf ganztags raus. Es ist mir ein Rätsel, wie das in anderen Kanzlei tatsächlich funktioniert.

    Spät Nachmittag drückt ein Gewitter so schwer und schwül in die Stadt, dass mir der Kreislauf dicht macht und mein Mann mich abholt. Schon praktisch, dass er sein Büro in der Nähe hat und obendrein daheim arbeiten kann, wenn er mag.
    Ich schlafe noch im Auto ein.
    Aber dann abends zum Geburtstag meiner Schwägerin bin ich wieder fit und freu mich auf Würstel beim Grillen. Wie lange ist es her, dass ich das letzte Mal gegessen habe?

    20:5

Mittwoch, 24. Juli 2013

Liebesbeweise - Krebs-Alltag...

  • Mein Mann lädt mich spontan zum Shoppen ein. Das ist wirklich süß, ein echtes Opfer.
    Mit Frauen Einkaufen gehen, wird ja sonst als Höchststrafe angesehen. Und mein Mann betont sonst, da besonders strafempfindlich zu sein...
    Nein, das ist vorbildlich und ich bin sehr gerührt.


    Deshalb ist das Opfer kein ungetrübtes Geschenk. Aber ich will natürlich nicht ablehnen, denn sonst wird es nie wieder so ein Angebot geben. Also plane ich für die Zukunft. Und gehe shoppen.
    Gemeinsam fließen wir durch die schwülen Einkaufspassagen, denn einen richtig entschlossenen Münchner Sommer kann auch eine Klimaanlage nicht meinen... Und wir tun beide so, als würde es uns gefallen. Einander zuliebe.
    Ich denke an "das Geschenk der Weisen", und finde Liebe plötzlich unendlich kompliziert.
    Aber ich leide echt unter der Hitze, ich vertrage offenbar solange mein Körper als Chemielabor zweckentfremdet wird, den Münchner Sommer nicht. Die Temperaturwechsel, die Schwüle, das alles ist einfach viel anstrengender als sonst...
    Wäre Ehrlichkeit besser oder würde sie entmystifizieren und die Gest entwerten.
    Argumente sprechen den Kopf und nicht das Herz an. Wir würden nicken und es lassen und er wäre enttäuscht, weil er mir die Freude, die er mir machen wollte, nicht gemacht hat. Nicht so, wie er sie sich vorgestellt hat. Und ich würde mich zwar freuen, aber nicht so wie er es sich für mich gewünscht hat. Vielleicht freue ich mich jetzt mehr, wenn ich mich zwinge, das wirken zu lassen, als Daheim, wo ich mich ärgere, dass ich nicht...
    Es ist zu heiß zum Denken. Und das ist mir plötzlich sehr willkommen.
    Ich kauf mir ein T-Shirt und dann schauen wir noch ins Gartencenter.
    Aber für die Beete gibts um die Jahreszeit einfach nix Gescheites.

    Nachmittags treffe ich mich mit meiner Freundin zum Reiten, aber irgendwie ist überall Stau und nach einer Odyssee über die Käffer kommen wir gerade rechtzeitig zu dem lange überfälligen Gewitterplatzregen beim Pferd an und fahren genauso lang wieder heim.
    Sehr anstrengend und sehr frustrierend das.
    Nach dem Abendessen bin ich wieder sehr müde.
    Das muss ich beim nächsten Mal besser timen, dass an den Tagen danach zwischendrin Nickerchen sein müssen.
    Aber wenigstens ist die Luft jetzt wieder klar und frisch und ich freu mich auf das frisch bezogene Bett.

    19:5

Dienstag, 23. Juli 2013

Cancer-Noa: Hitze!

Cancer-Noa: Hitze!: Wenn man morgens aufwacht, weil es so schwül ist, dass man spontan nach Kiemen schreit, dann ist das kein guter Tag für eine Komplett...

Hitze!

  • Wenn man morgens aufwacht, weil es so schwül ist, dass man spontan nach Kiemen schreit, dann ist das kein guter Tag für eine Komplettvergiftung.
    Ächzend hieve ich mich aus dem Bett, ignoriere den Spiegel und setze erst mal Emma, meine Perücke, auf.

    Es hat durchaus seine Vorteile, wenn man so wie ich halb blind ohne Kontaktlinsen ist. Denn wenn man blind ins Bad tappt, erst die Perücke aufsetzt und dann die Kuck-Prothesen einbaut, erspart man sich den blöden Anblick, der einem andernfalls gleich morgens die Laune vermiest.

    Dass es morgens schon so heiß ist, dass das Gehirn verquillt, ist auch nicht von Nachteil, denn auch deprimierende Gedanken werden dann träge und man kann ihnen mit einem Stöhnen entgehen, wenn man schnell genug die Treppe hinuntereilt, wo der Kaffee wartet.

    Vormittags habe ich nach der Chemo frei und nutze das für einen kleinen Ausritt mit einer Freundin durch den etwas kühleren Wald. Wir planschen mit den Pferden durch den Fluss und ich fühle mich einigermaßen gut. Ein bisschen, wie wenn eine Grippe im Anflug ist. Man fühlt sich einfach nicht 100%ig gut, aber es ist nix Konkretes.

    Nachmittags kommt dann meine Kollegin für einen Schriftsatz vorbei – den wir im Schatten der Terrasse schreiben. Das ist doch besser als im Büro!

    Abends bei unserem Spieleabend war ich dann aber schon ab 9 sehr müde; sehr, sehr müde.

    Gestern und heute je soviel war vielleicht zuviel? Ich hab meine Kräfte etwas überschätzt, obwohl ich nicht viel gemacht hab, gemessen an meinem Plansoll.

    Zudem ist es immer noch drückend schwül, hochsommerlich heiß, sodass es unter meiner Perücke schon eher ungemütlich ist. Fungides Klima. Darf man zur Chemo eine Pilzsalbe auftragen?
    Fragen, auf die selbst Tante Google schweigt.

    Ich bin schweinemüde, aber der Tag war eigentlich gut.

    18:5

Montag, 22. Juli 2013

Einfach haarig - Chemo und Haarausfall

  • Der zweite Chemo-Tag, oder sagt man der erste Tag im zweiten Zyklus?
    Egal! Jedenfalls beginnt erst mal mit einem Schock!
    Da geht man nix ahnend verschlafen ins Bad und fährt sich gähnend durchs schüttere Haar... und schreit screammäßig vor Grauen!
    Wo ist die Gruselmusik wenn man sie mal braucht?!
    Meine nicht festgebundenen Haare haben sich vollkommen verheddert und bei der Gelegenheit großflächig verabschiedet.

    Mit Tränen in den Augen starre ich auf meinen Schädel mit der Restfrisur.
    So ein Mist.
    Doch was hilft's?
    Entschlossen stülpe ich mir EMMA über die Ohren, wurschtel ein Haarband drüber und erkläre dem Krebs den Krieg.
    Dafür klappt in der Chemo heute alles besser. Das Einchecken geht reibungslos, meine Blutwerte sind immer noch super und die Chemo läuft gut ein, ohne dass mein Magen murrt.
    Danach trabe ich dann zu meinem langjährigen Friseur und lass mir einen Kurzhaarrasur-Schnitt verpassen.
    Auschwitz lässt grüßen. Seufz.
    Mir hat Sinead O'Connor übrigens nie gefallen. Der Hinweis, dass ich eine sehr schöne Schädelform habe und Kurzhaar wirklich toll tragen könnte, ist übrigens - auch wenn es undankbar wirken sollte - wirklich überhaupt gar kein Trost!
    Ich nehme mir meinen Zopf als Souvenir mit und träume davon, bald ein superedles Zusatzhaarteil für hollywoodverdächtige Hochsteckfrisuren zu haben, das absolut echt aussieht, weil es ja echt MEIN Haar ist. Nach vorne schaun, im Großen wie im Kleinen!

    Solcherart mit künftigem Glamour getröstet, gönne ich mir ein Eis und freue mich erst einmal darüber, dass ich mit zwei von acht Chemos jetzt schon ¼ des Horrors überstanden habe!
    Außerdem ist Sommer und im Winter würde ich frieren mit ohne Haare.

    Später kommt dann noch meine Reitfreundin vorbei und näht mit mir eine Tressenlösung für meine Haarbänder, bevor wir abends noch zum Pferd fahren und ein bisschen ausreiten. Ich probiere das mit der Tresse gleich aus. Die Idee ist, dass man mit so einem Schlauchhaarband und einer Tresse den Eindruck eines Kopftuchs mit Pferdeschwanz erweckt und damit nicht auf die doch recht warme Perücke angewiesen ist.
    Yup! Das geht.
    Nach dem Abendessen, das mein Mann in der Zwischenzeit gekocht hat und dass wir auf der Terrasse einnehmen können, während draußen die Glühwürmchen ausschwärmen, bin ich dann rechtschaffen müde.

    Hatte Tiefen dieser Tag, aber alles in allem lohnt er nicht zu jammern.
    Wirklich nicht.
    17:5

Sonntag, 21. Juli 2013

Drahtseilakte... Krebs und Partnerschaft

Das Wochenende ist achterbahnmäßig.
Voller Höhen und Tiefen und mit aufgeregtem Magen zwischen Schreien und Lachen.
Mit anderen Worten - das Wochenende vor der Chemo am Montag ist immer seltsam, und das Leben mit der Perücke auch.

Ich denke, alle gaffen mich an, aber das stimmt nicht.
Ich denke, alle sehen, dass ich "anders" bin, aber das stimmt auch nicht.
Ein paar Büschel Haare ändern einen Menschen nicht, es ist allein die Annahme, dass sie es könnten... Es ist halt eher so, dass wahr das ist, was man glaubt. Lass Deine Ängste nicht zur Wirklichkeit werden - zu dem, was wirkt - denn sie sind nicht wahr!

Eine Freundin ist über eine Anzeige von einem Pferd gestolpert, das ich mir mal ansehen sollte. Sie sucht nach einem Neuen und ich überlege auch, mir nach dem Tod meines Rentners noch einmal eins zu kaufen. Oder sollte ich sagen, ich überlegte? Gegenwärtig ist es doch eher verwegen, sich zusätzliche Verantwortung aufzuladen, solange ich nicht weiß, was mit mir sein wird.

Na gut, dann testen wir das Vieh eben für meine Freundin.
Das Ross steht am anderen Ende der Stadt - oder noch ein bisschen weiter draußen. Man hört schon fast den Randwasserfall rauschen.
Entsprechend schwierig ist die Suche, trotz Navi nähern wir uns unserem Ziel, indem wir es spiralförmig einkreisen... aber am Ende klappt's.
Wir treffen ein nettes Pferd, einen hübschen Lusitano und der Verwandte eines anderen Pferdes, das ich früher mal geritten bin.
Ich habe sogar die Gelegenheit, mal ein paar zircensische Lektionen zu reiten, was mit meinen Turnierpferden nicht geht.
Allerdings sind wir umsonst hingefahren, weil die Eigentümerin es nun doch nicht verkaufen will.
Ich bin genervt, weil das hätte sie nun wirklich am Telefon sagen können, dann hätte ich mir den Weg gespart.
Auf dem Heimweg bin ich dann nicht nur körperlich, sondern auch seelisch „fertig".

So ist es dieser Tage immer:
Man lebt intensiver, wie mit Polfilter vor der Seele.
Alles was traurig macht, macht eben trauriger.
Leider klappt es andersrum nicht so oft.
Am Abend sitze ich müde auf der Terrasse und warte auf die Glühwürmchen, die sich heute mal verspäten - blöde Viecher.

Mein Mann setzt sich dazu und über Belanglosigkeiten, kommen wir zu seinen Sorgen.
Er spricht an, wie sehr ihn belastet, dass er mir nicht helfen kann.
Er formuliert es anders, aber das ist es, was er sagen will.

https://www.ueberleben-mit-brustkrebs.de/mein-leben/umgang-mit-angehoerigen/article-internet-als-informationsquelle---wo-und-wie-informieren-sich-angehoerige-und-freunde-21190.html?articleListURL=%2Fmein-leben%2Fumgang-mit-angehoerigen%2Findex.html%3F

Der Egoismus, den ich gerade entwickle, ist gut und notwendig unter therapeutischen Aspekten, weil ja objektiv wirklich viel auf mich einstürmt, aber...
hmhmhm ...
Davor waren wir eben ein Team und ich hab auch ihm viel abgenommen, was ich jetzt von hier auf jetzt nicht mehr tue.
Damit fällt dem anderen eine Stütze aus, die er irgendwie gebraucht hat.
Also muss der andere sich umorientieren - was er natürlich einsieht und gerne tut - denn nunmehr bekommt er keine Hilfe, sondern soll Hilfe geben. Und alle Freunde fragen natürlich, wie es mir geht, wie sie mir helfen können... Doch auch sein Leben hat sich geändert - doch auf ihn nimmt keiner Rücksicht, er muss nicht nur auf mich verzichten, sondern zudem auch meine Probleme mit lösen, mir helfen, mich zu all den Arztterminen fahren, meine Stimmungsschwankungen ertragen.
Und gerade wenn ich versuche, mir nichts anmerken zu lassen, kennt er mich gut genug, dass er doch sieht, dass es anders ist - und dann weiß er schon nicht, wie er sich verhalten soll. Soll er auf meine Oberflächenlaune eingehen oder auf meine Tiefenstimmung?
Ich weiß es selbst nicht!

Er soll mir helfen. Er will mir helfen? Wie kann er mir helfen?

Ich bin jedenfalls trotz aller Betroffenheit froh, dass er mit mir mal auch über sich gesprochen hat, weil ich jetzt doch vieles an seinem "seltsamen" Verhalten besser verstehe. Ich würde ihm auch gern helfen, aber ich weiß auch nicht wie.

Saublöde Situation. Jetzt sind wir unser halbes Leben zusammen und eiern miteinander rum, als wären wir zwei Teenies... Ich muss lachen. Dieser Aspekt ist irgendwie putzig. So kann man sich neu kennen lernen.
Nachts drücke ich mal wieder vor dem Insbettgehen und überlege, um was es geht:

Wir haben so viele Probleme auf verschiedenen Ebenen zu bewältigen
  • funktional (denn der Alltag muss ja irgendwie weitergehen)
  • physisch (die Nebenwirkungen der Chemo)
  • sozial (das Verhalten von Familie, Freunden, Bekannten, der Eiertanz zwischen Wissen und Erwartung)
  • psychisch (Angst, dass ich den blöden Krebs nicht besiege; Sorge, dass sich selbst im Siegfall alles ändert)
  • seelisch (irgendwann muss ich das, was ich so erlebe ja auch noch verarbeiten. Na, dafür habe ich den Blog hier)

Ich überlege noch ein bisschen weiter und bin auf einmal angenehm müde. Nach soviel Selbsterkenntnis war das dann doch kein ganz schlechter Tag - vorausgesetzt, ich setze meine Weisheiten irgendwie um...
Mit so

guten Vorsätzen schlafe ich ein.
16 : 5

Freitag, 19. Juli 2013

Camouflage - Chemo in der Arbeit...

  • Heute ist Donnerstag und ich überrasche meinen Spiegel im Bad mit der neuen Perücke!
    So gehe ich heute in die Arbeit. Meine sehr, sehr dünn gewordenen Bestandshaare habe ich mit einem Nylonstrumpf streng an den Kopf geplättet.
    Emmas erster Einsatz. Ich bin unglaublich aufgeregt...
    Auf dem Weg ins Büro schaut mich auf der Straße niemand anders an als sonst - fällt also doch nicht auf?! Ich bin etwas erleichtert.
    Auch in der Kanzlei lassen die ersten Reaktionen Hoffnung zu. Mein Chef macht mir ein etwas schiefmäuliges Kompliment. Seine Sekretärin glaubt gar nicht, dass das eine Perücke ist... aber meinen Lebensmut gibt mir meine Sekretärin zurück:
    "He, schaut cool aus."
    Ich nicke. "Ja, findest Du? Danke!"
    Sie legt die Stirn in Falten, setzt an, bricht ab... Ich erkenne, dass Neugier gegen Höflichkeit kämpft, grob foult und so die nächste Frage kommt: "Aber sag mal... wenn Dir die Haare doch eh ausgehen - warum gehst Du dann noch so teuer zum Friseur, mit neuem Schnitt, Strähnchen färben und so?"
    Ich hätte sie KÜSSEN können - ein größeres Geschenk hätte mir keiner machen können.
    Solcherart gestärkt, geht mir auch die viele Arbeit gut von der Hand. Ich arbeite mich durch Aktenberge und telefoniere bis der Hörer glüht. Wo sind die Bäume, die ich ausreißen soll.
    Der Schwung trägt mich durch den Tag, doch er hält nicht an.
    Abends drückt sommerliche Schwüle in die Münchner Innenstadt und mein Kopf juckt. Die Kopfhaut tut weh, meine Haare kämpfen wohl ums Bleiben.
    Daheim setze ich Emma auf ihr Lüftungsgestell, befreie meine Haare behutsam aus dem Netz und winde mir dann das weiche Haarband um den Schädel, damit sie etwas Halt haben.
    Das Fax vom Arzt ist gekommen, meine Blutwerte haben sich erholt. Sie sind so gut, dass meiner Chemo nächste Woche nichts entgegensteht. Anlass für ein laues Hurra!
    Dann ruft noch aus dem Krankenhaus der Obergiftmischer, also mein Chemotherapie-verantwortlicher Arzt, an und teilt mir freudestrahlend mit, dass mein Tumor bereits auf die erste Dosis reagiert hat. Er ist messbar kleiner geworden.
    Ah. Anlass für ein lautes Hurra. Aber es bleibt aus. Warum?
    Ich bin platt.
    Einmal, weil ich ja gesagt habe, dass der Krebs raus muss und deshalb nicht überrascht bin.
    Dann aber überrascht mich, dass ich nicht überrascht bin, weil das heißt, dass ich mir das echt geglaubt habe.
    Und dann überrascht mich vor allem, dass der Arzt so überrascht ist, denn der sollte das anders als ich doch wissen?!
    Und dann bin ich wirklich überrascht, wie überraschend das doch alles ist.
    In mir keimt der hässliche Verdacht, dass ich doch mehr Versuchstier als Patent bin und die Ärzte doch gar nicht so genau wissen , wie das mit diesen Chemos funktioniert. Kein Grund, ihnen böse zu sein. Sie sind stets bemüht und wer Zeugnisse lesen kann, weiß was er davon zu halten hat.
    Aber das ist unfair. Es ist ja mein Krebs und nicht ihrer. Und ich könnt allein gar nichts machen.
    Also: Ein bisserl was tun ist besser als nichts tun - aber die beste Lösung ist eben noch lange keine gute.
    Also Übung in Optimismus:
    Egal, ob es zufällig oder absichtlich hilft. Wenn der Tumor wenigstens auch verschwindet, kann ich auf meine Haare leichter verzichten. Die sind dann sowas wie eine Eskorte.
    "Begleitet den Dreckskerl ruhig und lasst ihn nicht aus den Augen, meine Freunde."
    Abends haben wir Spielerunde, ich viele kreative Energien und so genieße ich mit meinen Freunden einen wunderbaren Sommerabend.
    Nachts aber komme ich doch ins Grübeln.
    Wie standen denn die Chancen, dass der Krebs weggeht?
    Ich war ja so sicher, dass der Tumor verschwindet, dass ich diese Frage nicht weiterverfolgt habe. Doch bevor ich diese Fragen Tante Google anvertrauen, schlafe ich ein!
    Ist vielleicht auch besser so.

    15,5:4,5

Mittwoch, 17. Juli 2013

Chemo - EMMA

Heute kommt die Putzfrau.
Der Gedanke, dass sie sieht, dass mir die Haare ausgehen - oder vielmehr, wie viel mir ausgehen, ist mir furchtbar peinlich.
Eine Stimme meint, dass sei außerordentlich albern, etwas Unabänderliches aufzuschieben. Eine andere meint, dass die Putzfrau doch nett ist und ich mich nicht schämen muss. Eine dritte meint pragmatisch, dass es doch keiner spannt, wenn ich einfach die Haare aus dem Bad-Mülleimer in die Tonne leere.
Gesagt, getan.
Die anderen Stimmen sollen die Klappe halten! Ich muss mich erst selbst daran gewöhnen, dass ich künftig polieren, statt kämmen muss.
Auf der Fahrt in die Kanzlei erzählt mir mein Mann, dass er heute mal mit seinen Kollegen bei sich auf der Arbeit darüber reden will, was ihm alles missfällt. Ich bin hocherfreut, weil er endlich initiativ wird. (Kann man das so sagen? Oder heißt es immer nur, die Initiative ergreifen? Egal, ich bin jedenfalls stolz auf ihn).
Auf dem Weg vom Auto führt mich mein Weg am Dom vorbei, was nicht ungewöhnlich ist, der steht da schon länger.
Es ist seltsam, weil ich an sich völlig ungläubig bin - oder jedenfalls mit "Kirche" als Verein nichts anfangen kann.
Jedenfalls jetzt zieht es mich ins Innere. Etwas fremdelnd, zaghaft, linkisch stehe ich da und komme mir doof vor. Das ist nicht meine Welt, hier gehöre ich nicht hin. Ich bin als Teenie aus der Kirche geflogen und habe sie seither nie vermisst.
Aber trotzdem, bin ich da.
Ich lasse den Hauptaltar liegen und schleiche in eine Ecke, wo vor einem sehr anrührenden Marienbild ganz viele Kerzen brennen. Dort setze ich mich hin und denke nach. Die Mutter Gottes, die Erbin der heidnischen Muttergöttinnen, das Sinnbild für Leben und Liebe...
Prüfend sehe ich ihr ins Gesicht und sie lächelt. Etwas resigniert, aber freundlich, liebevoll. "Da bist Du also. Lange nicht gesehen."
Soviel zur Resignation.
"Aber es wird schon. Es geht immer weiter. Immer. Irgendwie".
Das ist freundlich.
"Du bist nicht allein."
Ich entzünde eine Kerze. Für meine vermisste Katze, für mich, fürs Gesund werden.
Ich muss dann zu einem Mandanten an den Flughafen fahren und es wird ein langer Tag.
In langen Gesprächen, versuche ich die Wogen zu glätten und Details für die Sachverhaltsaufarbeitung zu ermitteln. Es zeigt sich, dass man sehr lange vermeintlich einträchtig über Obst sprechen kann, ohne je zu bemerken, dass der eine Äpfel und der andere Birnen meint. Oh je, wie ich hier Frieden schaffen soll, zwischen der Personalvertretung und der Geschäftsführung ist mir nicht ein Rätsel.
Auf der Heimfahrt ist es brütend heiß im Auto, mir reicht's.
Am Abend kauf ich dann noch meine Perücke - Emma - und weil mir die nette Dame im Perückenladen in der Löwenhofpassage ("Höhle des Löwen" - wie passend *g*) einen so guten Preis macht, schaut auch noch eine Trasse raus, mit der man ein Kopftuch oder so haarig aufpeppen kann. Mein Mann schleift mich noch in den nächsten Laden, wo wir ein paar Käppis und Mützchen kaufen. Huäh! Hurra! Ich weiß es nicht, emotional schwierig das alles.

Perückenkaufen
Auf dieser Seite habe ich ganz gute erste Tipps zu diesem Thema gefunden und alles ist recht unaufgeregt und sachlich dargestellt:
http://www.haarausfall-und-peruecken.de/echthaar-peruecken/die-erste-peruecke-auswaehlen/10010

Meine persönlichen Tipps zum Perückenkaufen:
  1. Rechtzeitig gehen (wenn man seine eigenen Haare noch hat, kann man viel besser besprechen, was man für eine Perücke haben will, es erleichtert die Beratung)
  2. eine Freundin mitnehmen (das ist moralische Stütze und Stilberatung in einem!)
  3. mehrere Läden ansehen und dorthin gehen, wo die Beratung und das Ambiente am Besten ist (ich hatte solche Angst vor diesem Schritt und in dem einen ("meinem") Laden, war ich dann so erleichtert. Das nimmt einem so viel Angst vor diesem Krebskrieg, wenn man gerade dieses emotional so grässlich haarige Haar/Perückenthema gelöst bekommt und sich da gut aufgehoben fühlt)
  4. Drüber schlafen und "seine" Perücke nochmals besuchen.


Alles in allem war's heute in Ordnung.
12,5:4,5

Dienstag, 16. Juli 2013

Chemo - Freunde in der Not

  • Am nächsten Tag ist mir mein Durchhänger peinlich.
    Kritisch betrachte ich den Spiegel und schäme mich. Es hätte schlimmer kommen können. Haare wachsen nach, Emma, die Perücke der Wahl, ist schon reserviert um kahle Schädel zu verdecken und überhaupt...
    Immerhin bin ich körperlich trotz Chemo fit und schlecht ist mir auch nicht. Also nicht undankbar sein!
    Im Büro tröstet mich meine Sekretärin. Sie hat eine gute Adressen für künstliche Augenbrauen, bei der sie ihre auch hat machen lassen. Ich schau blöd, denn das wär mir bei ihr gar nicht aufgefallen. Also, jetzt, wo ich es weiß, sieht man es schon, aber sonst...? Wenn alle so schlechte Beobachter sind wie ich, ist das also echt kein Beinbruch. Na ja, besser ein schwacher Trost, als gar keiner.

    Endlich habe ich einen unangenehmen Schriftsatz fertig. Einen von der Sorte, wo die Ausgangslage schon nicht die Beste ist (wenn die innere Stimme immer spottet, dass wohl eher die Gegenseite Recht hat...) und dann die Rechtslage noch kompliziert ist und zudem die Unterlagen ziemlich unsortiert... bah bah bah - Augen auf bei der Berufswahl, sage ich immer. Entsprechend erleichtert bin ich, als endlich das dumme Ding fertig ist und ich den Entwurf an die Sekretärin mailen kann - und den Lehrling bitte, mir ein Eis mitzubringen. Ich hab mal wieder Hunger!
    Es ist brütend heiß und mir bröseln die Haare auf den Schreibtisch, es ist kein Spaß und ziemlich frustrierend.
    Meine Kollegin, mit der ich beiläufig darüber gesprochen habe, dass ich während der Chemo nicht zum Zahnarzt gehen sollte, hat über ihre in einer Zahnarztpraxis arbeitende Mutter wertvolle Tipps zum Thema Mundpflege für mich organisiert, was ich rührend finde. Es sind diese kleinen, hilfreichen Gesten, die einem den ganzen Irrsinn erträglich machen.

    Abends nimmt mich mein Chef mit nach Hause und hat dafür extra noch zwanzig Minuten gewartet, bis ich fertig war. Auch Chefs haben ihre nette Seiten.

    Dann abends beim Spielen bröseln meine Haare weiter. Außerdem tut mir die Kopfhaut weh. Einer meiner Kumpel hat mir ein Haarband mitgebracht, weil das die Haare entspannt und sie dann weniger ausgehen.
    Abends liege ich grübelnd wach.
    Es ist so, dass die Welt sich total ändert. Gerade die Dinge, die vorher selbstverständlich oder vielleicht sogar lästig waren, wie Zähneputzen, Haare bürsten... rücken plötzlich in den Fokus, werden zu Problemen oder jedenfalls möglichen Problemzonen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Es scheint alles weiterhin zu gehen, aber nichts geht mehr von allein.

    Alles bedarf besonderer Sorgfalt.
    Das zehrt.
    Aber dann ist es so fein, wenn man Freunde, Bekannte, Kollegen hat, die ein bisschen von dieser Last abnehmen, die einem Tipps geben, mit überlegen und einem das Gefühl geben, dass das doch letztlich ein Problem ist, dass man mit Logistik lösen kann. Denn so ist es auch, auch und gerade, wenn man es selbst leicht vor lauter Schreck anders sehen möchte.
    Jedes Detail ist lösbar.
    Alles ist machbar.
    Es ist nur sehr viel und man muss das generalstabmäßig durchplanen. Aber - und auch das ist ein Trost - dann klappt's.
    11,5:4,5 

Montag, 15. Juli 2013

Chemo - Bad Hair Day


  • Auf in die neue Woche. Die Sonne scheint und damit ist das beste eigentlich schon gesagt.
    Mit anderen Worten, beginnt der Morgen damit, dass mein Mann sich freut, heuer keine Partys mehr zu haben, was mir irgendwie die Freude am Morgenkaffee vermiest.
    Auch im Bad wird es nicht netter. Es ist nicht ungewöhnlich, dass mein Spiegelbild am Montagmorgen nicht besonders nett zu mir ist. Aber neben den üblichen Augenringen und unvorteilhaften Pickeln ist heut ein echter Bad Hair Day.
    Mir gehen die Haare nämlich leider inzwischen von selber inzwischen aus. In großer Zahl - feiges Pack, soviel zu wir stehen das gemeinsam durch. Andererseits darf man nicht unfair sein. Sie sind die ersten Opfer im Feldzug gegen den Krebs. Gefallen in Verrichtung ihrer Pflicht, an der Front - Jawohl.
    Wenn ich besser pfeifen könnte, würde ich den Zapfenstreich blasen (pfeifen), während ich zwei Handvoll Haare dem Mülleimer überantworte.
    Auf dem Weg ins Büro mache ich einen Termin beim Friseur aus. Mir bricht das Herz, aber es wird nicht leichter, wenn ich es aufschiebe. Das macht dafür der Friseur, der hat heute nämlich keinen Termin mehr frei.
    In der Arbeit geht es zäh, aber immerhin komme ich endlich mal wieder dazu, mich ordentlich um meine Fälle zu kümmern. Die Verkaufswerte von "Einfach kein Held" liegen auch nicht da, wo sie sein sollten. Das deprimiert mich. Ich grüble auf dem Rückweg, während ich hinter den Kollegen herdackle, woran das liegen könnte? Entweder daran, dass ich einfach und mit gutem Grund viel dünnhäutiger als früher bin und meine Nerven blank liegen. Oder aber daran, dass man dem ganzen Chemo-Terror am Besten dadurch entkommt, dass man sich mit anderen Problemen ablenkt. Oder aber daran, dass ich den Fantasyautoren-Schmarrn doch ernster nehme als gedacht?! Vielleicht ist diese Schreib-Manie ansteckend? Meine Immunwerte sind ja schlecht?!
    Schmunzelnd sitze ich mit einer feiner Tasse Sommertee am PC und widme mich wieder brav und pflichtbewusst meinen Fällen. Fantasy muss warten, die neu zu schreibende ebenso wie die verkaufsbedürftige...
    Ich lehne mich zurück und massiere meine Schläfen, das hilft oft. Dabei stütze ich jedenfalls meine Finger an meiner Stirn ab, genauer gesagt, in der Nähe meiner Augenbrauen. Das ist praktisch, bietet sich ergonomisch an und erlaubt gezieltes Massieren. Dumm ist nur, dass man dabei auch die Augenbrauen ein bisschen mitmassiert. Normalerweise kein Problem, aber jetzt schon, denn offenbar gehen die mir auch aus. Entsetzt starre ich auf den Schreibtisch, wo deutlich sichtbar weitere tote Haare liegen. Augenbrauen.
    Ich atme tief ein und beschließe entgegen dem ersten Impuls NICHT zu schreien.
    Bis mich Kopfschmerzen beim Denken stören. Offenbar bekomme ich neuerdings von der Klimaanlage Migräne, das ist neu, das war noch nie da.

    Als ich an einem schwülen Münchner Sommertag völlig durchgeschwitzt Zuhause ankomme, rügt mich meine medizinstudierte Cousine, dass ich mir körperlich zuviel zumute.
    Außer etwas Walken und vielleicht "langsam im Schatten radeln" dürfte ich eigentlich gar nichts tun ... außer mich umbringen vielleicht? Im Augenblick, so als Momentaufnahme, wäre das echt eine Alternative. So ein Mist! Ich schwanke zwischen Heulen und Um-Mich-Schlagen. Auf dem Weg in den Speicher, wo ein Sandsack hängt, komme ich am Schlafzimmer vorbei und werfe mich spontan aufs Bett, um ein bisschen zu Heulen.
    Dabei fällt mir ein, dass Heulen schlecht für die Wimpern ist und ich entscheide mich lieber wieder um. Wimpern fallen bisher noch nicht auf und ich will dieses Glück nicht überstrapazieren.
    Die Foren im Internet, die mein Mann beim Abendessen erwähnte (auf der Suche nach „künstlichen Augenbrauen“), sind der Frust pur, mal abgesehen von den höchst deprimierenden Heulstories dort, sind auch die Fakten selbst tatsächlich zum Heulen, was ja - siehe oben - den noch vorhandenen Wimpern schadet!
    Zudem sieht man ohne Haare seltsam genug aus, da braucht man nicht auch noch rote Augen, eine geschwollene Nase und fleckige Backen - andererseits erkennt einen dann vermutlich keiner mehr? Entscheidungen über Entscheidungen.
    Wo war ich stehen geblieben? Ich bin schon ganz durch den Wind!

    Ach ja - Haarfakten: Also scheinbar kann es es kann mehrere Monate dauern, bis die Haare wieder zu wachsen anfangen und dann langsam, ungleichmäßig und zunächst kraus und grau... Entsetzlich!
    Mein Kater bleibt verschollen und sonst gibt es auch nichts Erfreuliches zu berichten, weil ich in meinem Leben gerade nichts Erfreuliches entdecke.

    Und jetzt, wo ich dringend reden müsste, ist da keiner und ich bin allein, allein, allein...
    Das war heute nicht mein Tag - 10,5:4,5

Donnerstag, 11. Juli 2013

Fußball in der Chemophase

Heute ist Sonntag und Partytag
Gemeinsames Fußball-Schauen mit Freunden im Garten.
Morgens habe ich erst mal an meinem Buch geschrieben. Irgendwann werde ich es auch veröffentlichen, ein Fantasy-Großwerk, in dem viel Herzblut und Seelenarbeit aus vielen guten und schlechten Jahren liegt (www.kay.noa.de). Die Kampfszene ist gut gelungen.
Entsprechend gut gelaunt habe ich mit meiner Freundin die Pferde besucht. Wunderprächtig. Während die mit dem Ross Kutsche fahren übt, bzw. mit einem Holzblock, den man sich als Kutsche denkt und einer langen Leine, den misstrauischen Gaul erst einmal ein Gefühl dafür gibt, wie es sich anfühlt, wenn da hinten was dranhängt. Ach, und das Navigieren nur mit Leinen ohne Schenkel und so, das ist für ein Reitpferd natürlich schon auch spannend.
Ich beobachte das kritisch und beschließe dann, dass der Trampelpfad, der sich am Bahnrand, wo die Pferde am meisten entlanglaufen immer bilden, eindeutig zu tief ist. Also greife ich zur Schaufel und ziehe den wieder glatt. Das ist auch Sport. Vor allem gegen Mittag in der prallen Sonne. Geht die Chemo auch aufs Hirn? Ich bin mir jedenfalls nicht mehr sicher, ob der Plan so schlau war. Nein, ich bin mir sicher, dass er nicht schlau war. Aber ich bin zu stolz, um mittendrin abzubrechen. Das ist vermutlich auch doof. Aber der Hufschlag ist wieder schön und ich bin schweißgebadet.
Jetzt jedenfalls droht dann der Sonnenstich und wir fahren heim. Nach kurzem Päuschen putze ich fürs Fest unseren Hinterhof (so ein Scheißjob). So eine Plackerei zehrt, und dass, obwohl ich doch am Mittag auf dem Reitplatz trainiert habe.
Nach dem Aufbau dann das Fest, das ich sehr genossen habe. Endlich fühl ich mich mal nicht wie ein Krüppel, obwohl meine Haare jetzt schon deutlich nachlassen.
Dafür macht mein Mann abends nach dem Fest noch eine Riesenszene (so ein Stress, kein Spaß, grausam... nie wieder Feste).
Leicht angetrunken geht er dann heute mal ins Bett, während ich noch aufräume.
Seine Nerven liegen blank, auch wenn ich nicht jammere. Es ist echt schwer, damit umzugehen. So wenig wie ich weiß, wie das wird, wie jeder Tag aufs Neue spannend ist, so wenig weiß er es, und während ich unmittelbar spüre, wie es mir geht und zumindest, was ich tun sollte, ist er darauf angewiesen, was ich sage, was er beobachtet. Aber bin ich ehrlich? Gebe ich zu, wenn es mir schlecht geht? Übertreibe ich es mit dem Jammern? Wer denkt eigentlich auch mal an ihn, dessen Leben sich ja ebenso dramatisch geändert hat, wie meins? Wenn gestern schon die Freundin so gar nicht wusste, wie sie sich verhalten soll - wie viel schwerer ist es dann für einen Menschen, von dem ich nun schon auch irgendwie Hilfe erwarte?
Nein, es ist echt nicht damit getan, das eigene Leben nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Es ist auch das Leben meiner Umgebung, meiner Familie. Und das ist eine Aufgabe, die man leicht übersieht, weil man einfach auch so unendlich mit sich selbst, mit Beschwerden, Stimmungsschwankungen, Angstattacken, Unsicherheiten beschäftigt ist. Aber sie ist wichtig. Denn ein Stück weit quält man sich ja nicht nur für sich allein, sondern auch für die Menschen, die man liebt und - daran sollte man öfter denken - die einen lieben.
Ach, und da Deutschland gewonnen hat, ist heute ein guter Tag!
10,5:3,5

Montag, 8. Juli 2013

Sommer! (Krebs und Stimmungsschwankungen)

Ein wunderbares Sommerwochenende, das ich - typisch - vollpacke bis oben hin.

Am Samstag gehen wir erst einmal einkaufen, eine Freundin und ich.
Ich genieße mein im Wind wehendes Haar, denn demnächst wird die Perücke wehen.
Wehmut.
Dass man immer erst merkt, was man mag, wenn es geht?
Ich beschließe, diesen philosophischen Wink in Bezug auf Lebensgestaltung ernst zu nehmen.
Noch ein Vorsatz.
Mal sehen, ob ich den halten kann.

Krebs ist ein wunderbarer Anlass, über das Leben nachzudenken, denn auch das wird einem in seiner Endlichkeit endlich bewusst. Es ist eine Gelegenheit, seine Ziele, seine Prioritäten, die Mittel und Wege gründlich zu inspizieren und - wenn man schon aus der Bahn geworfen wird - dazu zu nutzen, alles wieder etwas aufgeräumter, bewusster, zielstrebiger aufs Gleis zurückzubringen. Es ist anstrengend, deprimierend und unerfreulich. Aber es ist trotzdem ein gutes Gefühl, denn es ist eine Chance, die man so oder so teuer bezahlt und sich allein deshalb nicht entgehen lassen sollte. Noch schlauer ist es, wenn man das macht, weil man sieht, wie schnell es gehen kann, dass man aus der Bahn geworfen wird. Das ist dann Nutzen ohne Kosten. Wenn ein Leser dieses Blogs sich diesen Apell auch ohne Krebs zu Herzen nähme würde es mich sehr, sehr freuen!


Abends werde ich dann mit einem schönen Sonnenuntergang am Tegernsee bei Grillen auf einem Seegrundstück bei einer Freundin belohnt. Wermutstropfen hier ist nur, dass sie (die Freundin) so gar nicht weiß, wie sie sich verhalten soll.
Ich verstehe sie gut und kann ihr nicht helfen, denn ich weiß es auch nicht. Ich hatte ja auch noch nie Krebs und bin da totaler Anfänger.
Ich versuche es mit ignorieren und das klappt nach einem etwas holprigen Anfang ganz gut.
Genauer gesagt, ab da, wo der Hund mit einem glitschigen unbeschreiblichen ETWAS freudestrahlend aus dem See zurückgekommen ist und dieses ETWAS unbedingt auch auf den Grill legen wollte...

Akute Probleme lenken doch immer noch am Besten von grundsätzlichen ab.
9,5:3,5

Samstag, 6. Juli 2013

Blutarmer Geburtstag (Krebs und Feiern)

Der Kanzleitag heute ist sehr angenehm, denn ich muss auf eine Feier. Ein Mandant von uns betreibt einen Kindergarten und der hat heute Sommerfest.
Ich finde mich mit Stadthonoratioren beim Kuchenessen umringt von Kindern und lasse mich für meine Erfolge feiern.
Sollte toll sein.
Ist es aber nicht.
Mir wird gerade bewusst, dass ich wohl keine Kinder mehr bekommen werde. Und das ist komisch. Also nein, es ist natürlich nicht komisch, denn wegen der Chemo sollte man erheblich Pause machen, bevor man schwanger wird, weil das Risiko mit geschädigtem Zellen zu "arbeiten", zu groß ist. Und danach bin ich grenzwertig alt. Ich will ja nicht wie die Oma wirken, wenn man die Blagen vom Kindergarten abholt.
Kindergarten richtig...
Süß sind sie ja schon die Kleinen und sooo aufgeregt. Ich wollte ja eigentlich nie Kinder haben. Aber es ist was anderes, wenn ich die nicht will, oder wenn mir der Krebs sie verbietet.
Bah! Der Baum ist gefällt.
Jammer nicht, weil Du was nicht kriegst, was Du nicht wolltest und schau nach vorn.

Ich unterhalte mich mit einem Stadtrat über die Krippenproblematik in der Landeshauptstadt und stelle fest, dass es gar nicht schlecht ist, wenn ein Kind weniger um einen Krippenplatz kämpft, weil es viel zu wenig gibt. Wenn man dann erfährt, dass pro Kind 8qm Grünfläche als Genehmigungsvoraussetzung in einer Millionenstadt gefordert werden, beginne ich zu ahnen, warum das Krippenproblem so schnell nicht gelöst werden wird. Verwaltung ist was, das nicht nur in meinem Krankenhaus nicht funktioniert.

Abends feiert dann meine Cousine ihren Geburtstag und so gehen wir da auch noch hin, ist ja nicht weit. Meine Cousine wohnt nebenan. Das Familientreffen ist auch wirklich nett, aber es ist drückend schwül und mir wird das zuviel. Ich bin müde und ohne rechten Grund einfach nicht gut drauf.
Kann mich selbst nicht leiden und geh zu uns rüber.
Im Fax liegt der Bericht aus dem Labor mit meinen Blutwerten. Die sind schlecht. Das erklärt meine Stimmung. Hat mein Bauch wohl schon geahnt, dass die weißen Blutkörperchen mich im Stich lassen, die Feiglinge.

An sich fühle ich mich nicht schlecht, aber wenn ich heute Chemo-Termin gehabt hätte, hätte ich nicht gedurft. Mit den Blutwerten ist das Risiko zu groß.
Das schockt mich, weil ich eigentlich gedacht habe, dass ich das echt so durchziehen kann.
Dafür habe ich den altersschwachen Marillenbaum hinter dem Haus entholzt und hoffe, dass es ihm jetzt dann wieder besser geht.
Wir Krüppel müssen doch zusammenhalten. Ich brauche Kraft und es tut mir gut zu sehen, dass ich was machen kann.

Beim Entholzen komme ich mir plötzlich etwas leichtsinnig vor, weil ich mit bloßen Händen das tote Holz ausbreche und mich zerkratze und mir der ganze Dreck auch in die Haare fällt.
Die gehen dann abends zum ersten Mal so richtig aus. Noch eine Hoffnung, die zerplatzt.

Das ist schrecklich, schrecklich, schrecklich.

Im Augenblick bin ich wie gelähmt, zu geschockt auch nur für Elend – seltsam eigentlich, denn überraschend ist das mit der Glatze nicht.
Gilt für die Chemo-Bilanz auch das Psycho-Rumgezicke? Ich bin mir nicht sicher und werte halb/halb.
8,5:3,5

SACHTEIL:
Die Haare gehen aus, weil auch Haarzellen zu den sich schnell teilenden Zellen gehören und damit von der Chemo mit angegriffen werden. Genauer gesagt die Haarwurzeln. Zuerst werden die Haare etwas stumpf. Dann gehen sie relativ schnell großflächig in Büscheln aus. Man kann sie ganz ohne Widerstand einfach aus der Kopfhaupt ziehen. Das ist erschreckend und faszinierend zugleich.
Es gibt verschiedene Praktiken, mit dem hässlichen Thema umzugehen. Ein Teil meiner Leidensgenossinnen haben gleich zu Beginn das Thema abgehakt und zum Rasierer gegriffen. Ein anderer Teil hofft erst einmal auf ein Wunder und ruft nach einer Rasur, wenn die ersten Büschel sich lösen. Andere schneiden die Haare ganz, ganz kurz, weil es dann nicht so auffällt. Ich weiß nicht, was am Besten ist. Ich habe meine Haare ausgekämmt und erst ganz zum Schluss beim Friseur einen Superkurzschnitt bestellt (die Story kommt noch).
Auf jeden Fall ist es unendlich beruhigend, wenn man eine Perücke im Schrank hat, mit der man sich auch anfreunden kann! Die sollte man unbedingt frühzeitig und prophylaktisch holen.
Mich hat getröstet, dass man aus den Haaren ein Super-Haarteil basteln lassen kann, mit dem ich dann künftige Post-Chemo-Traumfrisuren zaubern können werde. Darum habe ich meine Haare gesammelt und zu einem Zopf geflochten. Ein Haarteil habe ich mir allerdings dann doch nicht machen lassen. Bis jetzt, wer weiß? Der Zopf ist noch da.

Freitag, 5. Juli 2013

Nachwehen (Krebs und gute Vorsätze)

Der nächste Tag beginnt mau.

Nach dem Krach mit meinem Mann gestern fühle ich mich richtig krank und elend. Ich kann mir solche Streits nicht leisten. Das bringt mich aus dem Tritt, das kostet meinen Seelenfrieden, das zeigt, wie sehr ich unter der Oberfläche doch am Strampeln bin - auch unterhalb meiner eigenen Aufmerksamkeit.
Kenne ich mich so wenig?

Sehr grübelnd fahre ich in die Arbeit und - kaum Wunder - läuft auch die Kanzleiarbeit eher schleppend. Maßlos ärgert mich, dass ich echt bei dem blöden neuen System für die Zeiterfassung an meine intellektuellen Grenzen stoße! Das kann doch nicht sein, so ein dämlicher PC kann nicht mal bis drei zählen und lehr einen dennoch Demut.
Abends eine gute Nachricht. Meine Schwiegermutter hat angeblich meine immer noch abwesende Katze unter dem Auto des Nachbarn gesehen. Ich vertrete die These, dass die Katze sich wegen dem Hund nicht heimtraut, der sie als ich sie zuletzt gesehen habe, durch den Garten gescheucht hat...

Aber tief in mir nagen Zweifel. Er ist jetzt über vier Wochen weg, der Kater und soooo erschrocken dürfte er von einem Sprint, den der altersschwache und halblahme Köter auch gar nicht ernst gemeint hat, eigentlich auch nicht sein.
Unsere alldonnerstägliche Spielerunde ist richtig sommerlich und harmonisch. Glühwürmchenalarm, als wäre der Garten ein Mini-Lampionfest.



Auch wenn der Tag schleppend begonnen hat, ist es ein schöner Sommerabend gewesen.
Ich bin milde gestimmt und werte positiv:
8:3

PS: Nachts fällt mir traurig auf, dass sich mein Leben nicht wirklich geändert hat.
Vom Masterplan zur Umsetzung ist es ein weiter Weg und meine Vorsätze schwinden. Ich bin nach wie vor nicht beim Sport, sondern in der Arbeit. Ich schlafe zu wenig und schone mich nicht. Im Gegenteil, mit der Idee, so weiterzuleben, wie bisher, zwinge ich meinen armen Körper eigentlich, die Chemo nebenbei zu machen. Das kann nicht gut gehen. Es ist wohl ausgesprochen undankbar, wenn man in einer Situation, in der die Nebenwirkungen sich so in Grenzen halten und die Krankheit sich primär in der psychischen Belastung meldet - und auch da nur mittelbar, weil man einfach auf den normalen Stress dünnhäutiger reagiert - ernsthaft jammert. Ich gelobe Besserung, ziehe mir die Decke über den Koüf und versuche zur Abwechslung mal, einigermaßen früh einzuschlafen.

Donnerstag, 4. Juli 2013

LeibGericht (Krebs und Arbeit)

Der Dienstag beginnt damit, dass ich zu Gericht muss.

Das ist, sollte man meinen, bei einem Anwalt nicht ungewöhnlich, aber da wir in erster Linie in der Beratung tätig sind, eben doch eher die Ausnahme.

Zudem handelt es sich um einen Sammeltermin vor dem Arbeitsgericht. Das heißt, dass gefühlte hundert Rechtssachen gleichzeitig geladen und dann der Reihe nach abgearbeitet werden. Fließband-Jura - der hässliche Runzelarsch des Rechtsstaats.
Das System hat den Vorteil, dass man nach einer ersten Eröterung mit dem Gericht, sich in Ruhe zwischen den Parteien nochmals draußen vor der Tür besprechen und ggf. außergerichtlich einigen kann, während das Gericht in der Zwischenzeit die nächste Sache behandelt - ABER es hat den Mega-Nachteil, dass bei der Methode ewige Wartereien unvermeidlich sind.
Soweit so unerfreulich.
Zudem handelt es sich um einen recht nervigen Fall, aber das ist ein Sonderthema, das in diesem Blog nichts verloren hat. Vielleicht liegt es auch an meiner schlechten Laune, dass ich so genervt bin.
Wichtiger ist, dass ich in dieser Woche mein Immuntief habe.
Also Blutkörperchen im Minusbereich und damit akute Infektionsgefahr und keine Abwehrkräfte... Jede Grippe bedeutet u.U. Intensivstation, was mir schon Sorge macht, zumal unser Münchner Wetter wie üblich Kapriolen schlägt und sich morgens nicht festlegen mag, in welcher Jahreszeit der Abend endet.

Alles in allem triftige Gründe, dass ein anderer Kollege diesen Gerichtstermin wahrnimmt. Blöd nur, dass meine Kollegin, die mich sonst vertritt, selbst einen Auswärtstermin hat und mein direkter Chef im Urlaub ist. Bleibt noch aus dem Team ein weiterer Kollege, den ich höflich bitte.
Der weigert sich mit dem Hinweis, dass er a) genug zu tun hat (nicht, dass wir nebenan alle untertags unsere Nägel maniküren würden...) und b) diese Warterei noch nicht einmal vergütet wird.
Okay, notgedrungen frage ich beim Oberchef nach, ob nicht doch angesichts des Umstandes, dass so ein Termin in einem überfüllten, überhitzten Gerichtssaal sicherlich nicht das ist, was ein Todkranker tun sollte, wenn die Ärzte schon öffentliche Verkehrsmittel nachdrücklich verbieten.
Der Chef fragt höflich an, bekommt aber keine andere Nachricht und hat dann nicht den Nerv, dass er befiehlt, was freiwillig nicht getan wird. Ich fühle mich ein wenig verraten und im Stich gelassen und auf dieses fröhlich-verlogene "Sie schaffen das. Toi toi toi" stelle ich fest, dass selbst ein friedfertiger Mensch wie ich sich in Gewaltphantasien hineinträumen kann, die eindeutig FSK 18+ hätten.
Aber okay, da der Mandant schon gar nichts dazu kann, gehe halt dann doch ich.
Immerhin kann mein Mann mich zum Gericht mitnehmen, was mir immerhin die U-Bahn-Fahrt erspart.
Dabei wird deutlich, wie sehr ich meinen Holden mit meinem Leben belaste.
Immerhin verläuft der Prozess erfreulich gut.

Am Abend gebe ich beim Reiten meiner Freundin Unterricht, bin aber nicht so recht bei der Sache. Zuviel geht mir im Kopf herum.
Irgendwie klappt das alles nicht, mit meinem neuen Leben.
Ich arbeite wie ein Depp, beuge mich immer wieder fremden Sachzwängen und breche dafür meine Vorsätze.
Warum kann ich nichts von dem umsetzen, was ich mir vorgenommen habe?
Zudem habe ich Hunger und fresse den ganzen Tag über wie ein Schwein, alles was bei 3 nicht auf dem Baum ist.
Das ist auch ein Chemo-Nebeneffekt. Mein Körper schreit nach Nahrung. Nach Energie.

Ich muss echt aufpassen, dass ich nicht auf der Straße einen Dackel reiße ("Ihr Hund ist ja zum Anbeißen...“) Ich sollte mir einen Salzstreuer in die Handtasche packen.

Aber alles in allem ist der Tag nicht schlecht verlaufen. Die Probleme, die ich habe, haben jedenfalls nichts mit dem Krebs zu tun, sondern mit mir. Der Krebs macht es nur offensichtlich... Aber das darf ich ihm nicht vorwerfen.

Heute ist unentschieden.

7,5:1,5

Mittwoch, 3. Juli 2013

Bruchlandung (Krebs)

Trotz aller guten Vorsätze. die ich am Wochenende gefasst habe, geht es in der Arbeitswoche unerfreulich los.

Pfff.

Ich hatte ein Personalgespräch bezüglich meines Einsatzes, das hochgradig mies lief. Emotional schwierig und unkommunikativ. Meine Chefs können mit der Situation noch weniger umgehen als ich.

Ich bin völlig außerstande mich mit dem, was "schief" läuft, verständlich zu machen. Simpel gesagt, läuft es darauf hinaus, dass mich alle schonen wollen (und auch müssen), aber eben nicht da, wo ich Schonung bräuchte, sondern da, wo sie es für nötig, zweckmäßig oder irgendwo auch für bequem halten. Da wird das Schonen schnell zum Abschieben. Aber da auf beiden Seiten die Befindlichkeiten so groß sind, kann ich das so nicht ausdrücken und auch nicht umschreiben.
Kommunikation versagt. So ein Mist.
Und überhaupt geraten die Themen auch immer vom Allgemeinen und Grundsätzlichen, um das es mir ginge, zu einer Besprechung aktueller konkreter Fälle und das verzerrt das Bild. Einzelne Ausnahmen sind ja kein Problem, die nicht und die nächste auch nicht, aber irgendwann ist die kritische Masse erreicht - und dann kippt das Ganze und weil es meiner Umgebung nicht bewusst ist, wie schwierig das ist, sind dann alle völlig erstaunt und dann ist es wieder noch schwieriger geworden und ich kann mich nicht verständlich machen. Warum eigentlich nicht?
Ich versuche es mit der kleinen Schneeflocke, die sich auch nicht bewusst ist, was sie mit ihren Kumpels in einer Lawine ausrichtet. Hat nicht geklappt.

Im Ergebnis läuft es also darauf hinaus, dass man mir jetzt meine Lieblingsfälle wegnimmt, also die Schönen, Spannenden mit den netten Mandanten, weil man mich entlasten will - und dann bleibt bei mir nur der Bodensatz, also jener Prozentsatz frustrierender, enteignungsgleicher Mandate, die auf jedem Schreibtisch rumlümmeln und das Gewissen des Sachbearbeiters quälen.
Blöd nur, wenn die dann den besagten Tisch plötzlich exklusiv für sich haben!

Das ist aber schwer so darzustellen, dass es nicht völlig schief rüberkommt.

Auch unsere Einladung zur Fußball-Party hat in den ersten Tagen nach Aussprache wenig bis keine Resonanz, was mich offen gestanden im Augenblick auch quält. Ich sehe mich schon völlig einsam vor dem Grill im Garten sitzen und es regnet auf die Leinwand.
Ich versage mir tapfer, hier emotional und spontan zu reagieren, und schweige erst einmal.
Abends dann im Gespräch mit meinem Mann zeigt sich der Druck, unter dem er steht. Mich schockt, dass er seiner Meinung nach „traurig ist, weil sich unser beider Leben so vollständig geändert hat“.
Wobei er das nach wie vor nicht artikulieren kann, was sich geändert hat, weshalb ich eigentlich vermute, dass es nur die Betrachtungsweise desselben Lebens ist.

Fazit des Tages:
Es ist schwieriger gegen die Vorstellungen und Erwartungen des Umfelds anzukämpfen als gegen den Krebs selbst.

Nö, heute war ein Scheißtag!
6:1

Dienstag, 2. Juli 2013

Achterbahn (Krebs)

Das Wochenende nach der Chemo ist schwierig, oder vielleicht um ehrlich zu sein, eher nach der Woche und meinem Versuch, die Chemo zu ignorieren.
Arbeiten, Gesund werden und oben drein Chemo ignorieren - das ist alles vielleicht etwas viel. Es ist faszinierend wie die Chemo das Leben reduziert. Man muss plötzlich zwischen all den Dingen wählen, die vorher selbstverständlich waren. Das verschiebt den Fokus dramatisch und man ist unversehens gezwungen, alles zu ignorieren, was einem nicht ganz wichtig ist.
Aber es ist echt schwierig, sich darauf zu konzentrieren, etwas zu ignorieren.

Nachdem ich selbst nicht in der Verfassung bin, selbst zu reiten, gebe ich ein bisschen Reitstunde. Da sitze ich harmlos in der Sonne und muss nur dumm daherreden. Das kann ich gut, das klappt auch aus dem Stegreif.

Andererseits ist es auch deprimierend, zuzuschauen. Als stünde am Reitplatz ein Schild: Ich muss leider draußen bleiben.

Ich erkenne das als Selbstmitleid, gebe mir einen moralischen Tritt in den Hintern und dann geht es auch wieder besser.

Vielleicht aber war die Reitstunde trotzdem zuviel, oder die Sonne oder der Staub auf dem Reitplatz - ich weiß es nicht. Jedenfalls geht es mir abends nicht gut, seelisch und auch körperlich. Ich spür halt, dass sich was tut. Die Nacht ist entsprechend schlecht. Ich wälze mich herum, habe Ameisen in den Füßen und Flöhe im Bauch.
Mich quält auch die Länge meiner To-Do-Liste:
Leute anrufen, Pferd, Hund, Katze, Garten, Haus, Kanzlei, Ärger mit der Krankenkasse, die rumstresst wegen irgendwelchen Belegen und Klinik... Warum gibt es eigentlich keine psychoadministrative Behandlung? Das wäre ein Nebenzweig der Psychiatrie, der tatsächlich "Heilen" könnte. Wie unglaublich viele Amokläufe, Nervenzusammenbrücke und Beziehungskrisen man da vermeiden könnte. Und auch volkswirtschaftlich... Wie effizient ein Krankenhaus wäre, das sich um Menschen kümmert und mit ihnen spricht... Das sich so wie andernorts auch, an seine Vereinbarungen hält und Patienten als Kunden und nicht als Bettler behandelt. Oh, es gäbe soviel zu tun. Doch als ich mich suchend nach einem Blatt Papier umsehe, um ein Organigramm zu malen, fällt mein Blick auf meine Liste. Die von oben. Ist das auch genau das, was ich ändern sollte?
Kürzer treten, strukturierter sein und nicht mehr jede Aufgabe willig annehmen.
Jedenfalls hab ich furchtbar Hunger!

Brav lasse ich den Sonntag etwas ruhiger angehen, nämlich mit einem gemütlichen Brunch mit meiner Cousine und meiner Schwester.
Essen und Ratschen, das ist doch mal ein Plan.
Dann fühlt sich alles einfacher an. Dumm nur, dass mein Auge so nervt, tränt und juckt und mit den Kontaktlinsen nicht kooperieren will.
Habe ich etwa schon Heuschnupfen? Das wäre etwas früh im Jahr, aber soweit lässlich.
Chemo schlägt auf die Haut und da gehört, wie ich gerade lerne auch die Hornhaut dazu.
Noch was für die Liste. Die andere Liste. Die Fehlerliste, die Dinge also, die ich bekämpfen oder ignorieren muss.

Ich nutze den Nachmittag für eine Atemübung und Meditation zur Körperstärkung und denke mir einen Lichthelm, damit meinen Haaren nix passiert.Eigentlich war es ein schöner Tag, zumal er mit einem Biergartenbesuch ausklingt, ich habe echt ständig Hunger!
Das zeigt, dass auch (oder gerade) ein Krebsleben auch schön sein kann, weil man es bewusster lebt.
6:0