Gute Nacht.
Erstaunlich wie schnell man bereit ist, selbst so was gar nicht anheimelndes wie ein Krankenzimmer als Heimat anzusehen, wenn nur die Alternative in Form von Not- und Wachräumen grässlich genug ist.
Das alles ist so grotesk, dass man es eigentlich als Sit-Com abheften muss und ich hoffe, all die lieben Leser, die sich an meine Grusel-Comic-Erlebnisse schon gewöhnt haben, empfinden es auch so. Ich kriege ja Feedback meist mit weinenden Augen, aber ich spüre, dass da auch lachende Augen sein werden. Und das ist gut so. So soll es sein. Man muss den verborgenen Witz im Leben finden, hervorzerren und gnadenlos belachen.
Und daher geht es munter weiter wie im Irrenhaus:
Obwohl in der Kanzlei explizit im Kalender gestand hat, dass ich am Montag die OP hatte, wurde ich während meiner ungeplant langen Abwesenheit am Dienstag mit Mails bombardiert.
Wo Dateien sind, die ich ordnungsgemäß im Akt gespeichert hatte?
Ob ich bitte dies oder das machen könnte...?
Was mir einfällt, mich nicht zu melden?
Wo die Akten bleiben?!
Warum ich mich nicht auf Mails antworte??!
Hallo?!?
Es gipfelt, während ich das lese und mich immer noch schwach fühle mit der unglaublichen Mail: "Schwingen Sie jetzt ihren Hintern vor einen PC und mailen Sie die Dokumente!!!"
Ich bin am Dienstag Mittag immer noch unter Restbetäubung oder stehe wegen der OP neben mir oder - ich weiß auch nicht, wo genau ich mich befinde. Auf dem falschen Planeten vielleicht.
Auf alle Fälle maile ich nur knapp zurück: "Sorry, die OP war schwieriger als erwartet. Da ich dabei fast verblutet wäre, komme ich erst jetzt auf mein Zimmer. Hier habe ich kein Internet, aber ich frage, ob ich mich auf der Station irgendwo aufschalten kann. Die Dateien habe ich ordnungsgemäß gespeichert, unter dem Namen des Mandats..."
Ich gebe zu, dass ich beim Tippen mit etwas Abstand das nur damit erklären kann, dass ich noch unter Drogen stand. Die Reaktion ist nur toxisch zu erklären. Auf beiden Seiten.
Fünf Minuten später kommt die Entwarnung. "Daten sind da."
Von der Kollegin, die mich später besucht, erfahre ich, dass die Dateien natürlich gemäß Büroanweisung gespeichert waren. Ich wusste ja, dass ich im Krankenhaus sein werde und habe das sauber vorbereitet.
Aber gestresst war ich trotzdem. Ich weiß auch nicht, aber inmitten des Büroterrors entwickle ich wirklich das Gefühl, mich dafür entschuldigen zu müssen, dass ich Krebs habe, dass ich mich operieren lassen muss, dass ich während der Chemo immer wieder tageweise ausgefallen bin, obwohl ich das über Überstunden wieder reingeholt habe.
Völlig erschöpft, emotional wie körperlich, liege ich erst mal in meinem Bett und weine ein bisschen.
Dann nutze ich die Gelegenheit bis zur OP-Nachbesprechung nachmittags, um mich zu reinigen.
Obwohl ich ein anderes Hemdchen anhatte, als ich aufgewacht bin, finde ich wirklich bis runter zu meinen Füßen immer noch ein paar verräterische Blutspritzer. "Viel Blut verloren" klingt so geordnet, so klinisch. Tatsächlich ergibt die CSI-Analyse, dass es ein unglaubliches Gepritschel gewesen sein muss...
Na ja, jetzt bin ich sauber und habe ein paar Fragen an das OP-Team.
Der Chef-Operateur ist nicht da, unvorhergesehener OP-Termin, aber dafür alle anderen bis runter zum Praktikanten. Das Zimmer ist regelrecht überfüllt.
Hmpf.
Der Vize-Chefarzt gibt widerwillig, aber auf beharrliches investigatives Fragen dann doch Auskunft...
(Es ist manchmal blöd, wenn man Anwalt ist. Die Menschen reagieren nur noch einsilbig wie Verbrecher auf Fragen.)
Ich betone mehrfach, dass es mir gut geht und ich wirklich nur gern wissen würde, was denn nun schief gelaufen ist. Es sind ja nur Abzüge in der B-Note. Das Hauptziel ist erreicht.
Die Antworten kommen stockend, aber ich weiß, wie man fragen muss.
(Es ist manchmal gut, wenn man Anwalt ist. Die Menschen erwarten erst gar nicht, dass man nett ist und einen mit blöden Fragen verschont).
Der langen, für beide Seiten quälenden Rede kurzer Sinn:
Es war eine klassische Eselei, die das da ausgelöst hat. So einfach Pech, wie man manchmal eben auch Glück hat. Statistische Ausreißer in der Routine.
Die OP selbst lief perfekt. Bis zum Schluss beim Rausziehen... Da ist irgendwie eine der großen Arterien beschädigt worden. Und sie gab sich dann widerspenstig, die Arterie. Hat Blut gespuckt wie blöd und es waren drei Konserven nötig, um die Sauerei wenigstens inwendig auszugleichen und mich wieder aufzutanken.
Aber jetzt ist alles in Ordnung.
Die Narbe selbst ist schön geworden.
Ich betrachte kritisch meine Brust und zucke, so gut es mit dem Verband geht, die Achsel.
Wenn er sagt.
Ich sehe da nur Fäden auf einer verquollenen Wurst, die dort vorher nicht war.
Unter der Achsel habe ich jetzt noch eine zweite Narbe - des Notschnitts wegen, der zum Blutung stillen erforderlich war.
Ich kann ihn nicht sehen und eigentlich ist mir das auch egal.
Die Optik meiner Achsel ist jetzt für mein emotionales Wohlbefinden nicht ganz an vorderster Front verantwortlich und wenn ich die Wahl hätte, wo ich meine Falten am Liebsten tragen würde ... läge sie vermutlich auf Rang zwei gleich nach den Fußsohlen. (Das Gesicht ist jedenfalls - das muss hier mal OT gesagt werden - ein wirklich ungeeigneter Ort! Wie viel leichter könnten sich Menschen wiederfinden, wenn diese Veränderung des primären Erkennungsmerkmals nicht wäre... Nein Gott ist eindeutig männlich. Einer Frau wäre das nicht passiert).
Das mit diesem Schnitt ist schon lustig. Wenn wir - wie ich in der Vorbesprechung zu fragen gewagt habe (und ich hab's auch hier erzählt) - gleich unter der Achsel geschnitten hätte, hätte ich jetzt noch ein paar Liter eigenes Blut mehr und nur eine Narbe.
Das kommt davon, wenn man dann so arrogante Antworten gibt, dass wahre Könner eben nicht dort oben, sondern theoretisch diskreter bei der Brustwarze den Schnitt ansetzen, um dann unter der Haut zum Tatort vorzudringen. Das war Hochmut und der kommt vor den Fall - nur dass ich es bin, die dabei die Beulen kassiert.
Na gut, aber fair muss man bleiben - das soll nicht passieren, aber es kann passieren. Und den Krebs haben wir besiegt. Da regen wir uns doch über einen Schnitt nicht auf. Ein bisserl Schwund hat's immer. Kollateralschäden.
Außerdem bin ich müde.
Die Wunde blutet ziemlich nach und der Suckelbeutel, also jenes an Schläuchen hängende Gummifläschchen, dass die aus meinen OP-Wunden austretende Lymphflüssigkeit auffangen soll, muss recht oft geleert werden.
Lymphdrainage heißt das in Fachkreisen und sei, so wird mir versichert, völlig normal.
Bei fast jeder Operation kann es nach dem Eingriff zur Ansammlung von Wundsekret, Blut oder Gewebsflüssigkeit kommen. Geringe Mengen an Flüssigkeit können vom Körper selbst absorbiert und abgebaut werden. Um den Heilungsprozess zu erleichtern und die Ansammlung von Flüssigkeit in der Wundhöhle zu verhindern, werden Drainagen eingelegt.
http://www.chirurgie-portal.de/ratgeber-operation/operation/drainage.html
Als nächstes kommt die Physiotherapeutin und zeigt mir ein paar Übungen, zur Wiederherstellung der Gelenkigkeit.
Da ich im Vorfeld seit Erhalt meiner Diagnose bereits täglich vortrainiert habe (Schultermuskulatur bis zum Abwinken gedehnt), ist die Physio ganz angetan, von den Ergebnissen unserer ersten Einheit. Ich kann das nur jedem empfehlen. Es lohnt sich, da schon vorzuarbeiten. Je fitter man vorher ist, desto leichter fällt es nachher!
http://www.joggen-online.de/lauftraining/stretching-und-dehnuebungen/dehnuebungen-schultern-arme.html
(Dieser Link bezieht sich zwar auf Lauftraining, doch die Übungen sind dieselben und die Zeichnungen und Erläuterungen sehr gut nachvollziehbar wie ich finde. Es gibt aber auch auf Youtube viel Material dazu.)
Na also. Back to life!
Am Abend bemerke ich entsetzt, dass ich durch die Zimmerwechsel das Frühstück und durch die OP-Besprechung irgendwie das Mittagessen verpasst habe. Ich bin jetzt seit fünf Mahlzeiten nüchtern und das zehrt allmählich an meinen Kräften.
Aber der Reihe nach.
Nachmittags und abends kommen dann erstaunlich, wirklich erstaunlich viele Leute zu Besuch.
Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Freunde habe.
Kollegen, meine Spieler, mein Mann natürlich, meine Tante, meine Cousine... es ist rührend und ich bin gerührt.
Wenn jetzt noch das Essen genießbarer wäre, wäre alles perfekt.
Doch das Essen ist eine Frechheit. Wirklich. Nicht weil ich verwöhnt bin.
Ich habe Hunger und ich würde gern essen - aber das... geht... nicht... Leberwurst und Stinkekäse und doch gleich eine ganze Cocktailtomate, die einer vom Leben gekrümmten, verkrüppelten Essiggurke in ihrem Fach Gesellschaft leistet.
Und dann ein Joghurt.
Immerhin.
Ich esse die Brotscheibe trocken und erlöse Tomate und Gurke von ihrem Leiden.
Den Geruch der Beläge ertrage ich nicht.
Wie gut, dass das zweite Bett in meinem Zimmer gerade nicht belegt ist.
Das haben wir eh am Nachmittag als Sofa gebraucht, weil für all die Gäste nicht genug Stühle da waren. Hoffentlich kommt morgen noch jemand zu Besuch. Sonst sterbe ich an Langeweile - und das wäre nach all den Strapazen doch wirklich schade.
Nachdem ich am Verhungern bin, hole ich mir, als alle wieder gegangen sind und es im Krankenhaus ruhiger wird, einen weiteren Besuch.
Den Pizzamann.
Die Schwester macht große Augen und ist irritiert. Doch als ich ihr ein Stück anbiete, sagt sie nicht nein und wir werden Freunde.
Und auch wenn ich wahrscheinlich zu hungrig war, um wirklich kritisch zu sein: Diese Pizza Magaritha war die Beste, die wirklich Allerallerbeste, die ich je gegessen habe.
Der Krankenhaus-Rhythmus ist nichts für Nachtaktive wie mich. Aber die Schwester freut sich über ein bisschen Unterhaltung.
Ich mich auch und so ist es wie immer im Leben auch beim Small-Talk ein stetes Geben und Nehmen.
Müde und satt - wie schön ist datt.
Mit einem Gähnen begebe ich mich zur Ruhe. Der Arm suckelt auch wenn ich schlafe. Die Schmerzen sind auch ohne größere Schmerzmittel tolerabel.
Ich finde sogar eine einigermaßen bequeme Position und darf das Fenster in meinem nur von mir belegten Zimmer kippen.
Eigentlich perfekt.
Wenn nur diese Gummimatte als Matratzenschoner nicht wäre. Wegen der schwitzt man nämlich fürchterlich von unten her. Also nicht perfekt.
Aber gut.
Es fühlt sich richtig an.
Fragezeichen Weinbergschnecke - Pixelpony (www.piqs.de) |
Unglaublich, wie ich mich darüber freuen kann, als ich endlich in "mein" Krankenzimmer darf...
Erstaunlich wie schnell man bereit ist, selbst so was gar nicht anheimelndes wie ein Krankenzimmer als Heimat anzusehen, wenn nur die Alternative in Form von Not- und Wachräumen grässlich genug ist.
Das alles ist so grotesk, dass man es eigentlich als Sit-Com abheften muss und ich hoffe, all die lieben Leser, die sich an meine Grusel-Comic-Erlebnisse schon gewöhnt haben, empfinden es auch so. Ich kriege ja Feedback meist mit weinenden Augen, aber ich spüre, dass da auch lachende Augen sein werden. Und das ist gut so. So soll es sein. Man muss den verborgenen Witz im Leben finden, hervorzerren und gnadenlos belachen.
Und daher geht es munter weiter wie im Irrenhaus:
Obwohl in der Kanzlei explizit im Kalender gestand hat, dass ich am Montag die OP hatte, wurde ich während meiner ungeplant langen Abwesenheit am Dienstag mit Mails bombardiert.
Wo Dateien sind, die ich ordnungsgemäß im Akt gespeichert hatte?
Ob ich bitte dies oder das machen könnte...?
Was mir einfällt, mich nicht zu melden?
Wo die Akten bleiben?!
Warum ich mich nicht auf Mails antworte??!
Hallo?!?
Es gipfelt, während ich das lese und mich immer noch schwach fühle mit der unglaublichen Mail: "Schwingen Sie jetzt ihren Hintern vor einen PC und mailen Sie die Dokumente!!!"
Ich bin am Dienstag Mittag immer noch unter Restbetäubung oder stehe wegen der OP neben mir oder - ich weiß auch nicht, wo genau ich mich befinde. Auf dem falschen Planeten vielleicht.
Auf alle Fälle maile ich nur knapp zurück: "Sorry, die OP war schwieriger als erwartet. Da ich dabei fast verblutet wäre, komme ich erst jetzt auf mein Zimmer. Hier habe ich kein Internet, aber ich frage, ob ich mich auf der Station irgendwo aufschalten kann. Die Dateien habe ich ordnungsgemäß gespeichert, unter dem Namen des Mandats..."
Ich gebe zu, dass ich beim Tippen mit etwas Abstand das nur damit erklären kann, dass ich noch unter Drogen stand. Die Reaktion ist nur toxisch zu erklären. Auf beiden Seiten.
Fünf Minuten später kommt die Entwarnung. "Daten sind da."
Von der Kollegin, die mich später besucht, erfahre ich, dass die Dateien natürlich gemäß Büroanweisung gespeichert waren. Ich wusste ja, dass ich im Krankenhaus sein werde und habe das sauber vorbereitet.
Aber gestresst war ich trotzdem. Ich weiß auch nicht, aber inmitten des Büroterrors entwickle ich wirklich das Gefühl, mich dafür entschuldigen zu müssen, dass ich Krebs habe, dass ich mich operieren lassen muss, dass ich während der Chemo immer wieder tageweise ausgefallen bin, obwohl ich das über Überstunden wieder reingeholt habe.
Völlig erschöpft, emotional wie körperlich, liege ich erst mal in meinem Bett und weine ein bisschen.
Dann nutze ich die Gelegenheit bis zur OP-Nachbesprechung nachmittags, um mich zu reinigen.
Obwohl ich ein anderes Hemdchen anhatte, als ich aufgewacht bin, finde ich wirklich bis runter zu meinen Füßen immer noch ein paar verräterische Blutspritzer. "Viel Blut verloren" klingt so geordnet, so klinisch. Tatsächlich ergibt die CSI-Analyse, dass es ein unglaubliches Gepritschel gewesen sein muss...
Na ja, jetzt bin ich sauber und habe ein paar Fragen an das OP-Team.
Der Chef-Operateur ist nicht da, unvorhergesehener OP-Termin, aber dafür alle anderen bis runter zum Praktikanten. Das Zimmer ist regelrecht überfüllt.
Hmpf.
Der Vize-Chefarzt gibt widerwillig, aber auf beharrliches investigatives Fragen dann doch Auskunft...
(Es ist manchmal blöd, wenn man Anwalt ist. Die Menschen reagieren nur noch einsilbig wie Verbrecher auf Fragen.)
Ich betone mehrfach, dass es mir gut geht und ich wirklich nur gern wissen würde, was denn nun schief gelaufen ist. Es sind ja nur Abzüge in der B-Note. Das Hauptziel ist erreicht.
Die Antworten kommen stockend, aber ich weiß, wie man fragen muss.
(Es ist manchmal gut, wenn man Anwalt ist. Die Menschen erwarten erst gar nicht, dass man nett ist und einen mit blöden Fragen verschont).
Der langen, für beide Seiten quälenden Rede kurzer Sinn:
Es war eine klassische Eselei, die das da ausgelöst hat. So einfach Pech, wie man manchmal eben auch Glück hat. Statistische Ausreißer in der Routine.
Die OP selbst lief perfekt. Bis zum Schluss beim Rausziehen... Da ist irgendwie eine der großen Arterien beschädigt worden. Und sie gab sich dann widerspenstig, die Arterie. Hat Blut gespuckt wie blöd und es waren drei Konserven nötig, um die Sauerei wenigstens inwendig auszugleichen und mich wieder aufzutanken.
Aber jetzt ist alles in Ordnung.
Die Narbe selbst ist schön geworden.
Ich betrachte kritisch meine Brust und zucke, so gut es mit dem Verband geht, die Achsel.
Wenn er sagt.
Ich sehe da nur Fäden auf einer verquollenen Wurst, die dort vorher nicht war.
Unter der Achsel habe ich jetzt noch eine zweite Narbe - des Notschnitts wegen, der zum Blutung stillen erforderlich war.
Ich kann ihn nicht sehen und eigentlich ist mir das auch egal.
Die Optik meiner Achsel ist jetzt für mein emotionales Wohlbefinden nicht ganz an vorderster Front verantwortlich und wenn ich die Wahl hätte, wo ich meine Falten am Liebsten tragen würde ... läge sie vermutlich auf Rang zwei gleich nach den Fußsohlen. (Das Gesicht ist jedenfalls - das muss hier mal OT gesagt werden - ein wirklich ungeeigneter Ort! Wie viel leichter könnten sich Menschen wiederfinden, wenn diese Veränderung des primären Erkennungsmerkmals nicht wäre... Nein Gott ist eindeutig männlich. Einer Frau wäre das nicht passiert).
Das mit diesem Schnitt ist schon lustig. Wenn wir - wie ich in der Vorbesprechung zu fragen gewagt habe (und ich hab's auch hier erzählt) - gleich unter der Achsel geschnitten hätte, hätte ich jetzt noch ein paar Liter eigenes Blut mehr und nur eine Narbe.
Das kommt davon, wenn man dann so arrogante Antworten gibt, dass wahre Könner eben nicht dort oben, sondern theoretisch diskreter bei der Brustwarze den Schnitt ansetzen, um dann unter der Haut zum Tatort vorzudringen. Das war Hochmut und der kommt vor den Fall - nur dass ich es bin, die dabei die Beulen kassiert.
Na gut, aber fair muss man bleiben - das soll nicht passieren, aber es kann passieren. Und den Krebs haben wir besiegt. Da regen wir uns doch über einen Schnitt nicht auf. Ein bisserl Schwund hat's immer. Kollateralschäden.
Außerdem bin ich müde.
Die Wunde blutet ziemlich nach und der Suckelbeutel, also jenes an Schläuchen hängende Gummifläschchen, dass die aus meinen OP-Wunden austretende Lymphflüssigkeit auffangen soll, muss recht oft geleert werden.
Lymphdrainage heißt das in Fachkreisen und sei, so wird mir versichert, völlig normal.
Bei fast jeder Operation kann es nach dem Eingriff zur Ansammlung von Wundsekret, Blut oder Gewebsflüssigkeit kommen. Geringe Mengen an Flüssigkeit können vom Körper selbst absorbiert und abgebaut werden. Um den Heilungsprozess zu erleichtern und die Ansammlung von Flüssigkeit in der Wundhöhle zu verhindern, werden Drainagen eingelegt.
http://www.chirurgie-portal.de/ratgeber-operation/operation/drainage.html
Als nächstes kommt die Physiotherapeutin und zeigt mir ein paar Übungen, zur Wiederherstellung der Gelenkigkeit.
Da ich im Vorfeld seit Erhalt meiner Diagnose bereits täglich vortrainiert habe (Schultermuskulatur bis zum Abwinken gedehnt), ist die Physio ganz angetan, von den Ergebnissen unserer ersten Einheit. Ich kann das nur jedem empfehlen. Es lohnt sich, da schon vorzuarbeiten. Je fitter man vorher ist, desto leichter fällt es nachher!
http://www.joggen-online.de/lauftraining/stretching-und-dehnuebungen/dehnuebungen-schultern-arme.html
(Dieser Link bezieht sich zwar auf Lauftraining, doch die Übungen sind dieselben und die Zeichnungen und Erläuterungen sehr gut nachvollziehbar wie ich finde. Es gibt aber auch auf Youtube viel Material dazu.)
Na also. Back to life!
Am Abend bemerke ich entsetzt, dass ich durch die Zimmerwechsel das Frühstück und durch die OP-Besprechung irgendwie das Mittagessen verpasst habe. Ich bin jetzt seit fünf Mahlzeiten nüchtern und das zehrt allmählich an meinen Kräften.
Aber der Reihe nach.
Nachmittags und abends kommen dann erstaunlich, wirklich erstaunlich viele Leute zu Besuch.
Ich wusste gar nicht, dass ich so viele Freunde habe.
Kollegen, meine Spieler, mein Mann natürlich, meine Tante, meine Cousine... es ist rührend und ich bin gerührt.
Wenn jetzt noch das Essen genießbarer wäre, wäre alles perfekt.
Doch das Essen ist eine Frechheit. Wirklich. Nicht weil ich verwöhnt bin.
Ich habe Hunger und ich würde gern essen - aber das... geht... nicht... Leberwurst und Stinkekäse und doch gleich eine ganze Cocktailtomate, die einer vom Leben gekrümmten, verkrüppelten Essiggurke in ihrem Fach Gesellschaft leistet.
Und dann ein Joghurt.
Immerhin.
Ich esse die Brotscheibe trocken und erlöse Tomate und Gurke von ihrem Leiden.
Den Geruch der Beläge ertrage ich nicht.
Wie gut, dass das zweite Bett in meinem Zimmer gerade nicht belegt ist.
Das haben wir eh am Nachmittag als Sofa gebraucht, weil für all die Gäste nicht genug Stühle da waren. Hoffentlich kommt morgen noch jemand zu Besuch. Sonst sterbe ich an Langeweile - und das wäre nach all den Strapazen doch wirklich schade.
Nachdem ich am Verhungern bin, hole ich mir, als alle wieder gegangen sind und es im Krankenhaus ruhiger wird, einen weiteren Besuch.
Den Pizzamann.
Die Schwester macht große Augen und ist irritiert. Doch als ich ihr ein Stück anbiete, sagt sie nicht nein und wir werden Freunde.
Und auch wenn ich wahrscheinlich zu hungrig war, um wirklich kritisch zu sein: Diese Pizza Magaritha war die Beste, die wirklich Allerallerbeste, die ich je gegessen habe.
Der Krankenhaus-Rhythmus ist nichts für Nachtaktive wie mich. Aber die Schwester freut sich über ein bisschen Unterhaltung.
Ich mich auch und so ist es wie immer im Leben auch beim Small-Talk ein stetes Geben und Nehmen.
Müde und satt - wie schön ist datt.
Mit einem Gähnen begebe ich mich zur Ruhe. Der Arm suckelt auch wenn ich schlafe. Die Schmerzen sind auch ohne größere Schmerzmittel tolerabel.
Ich finde sogar eine einigermaßen bequeme Position und darf das Fenster in meinem nur von mir belegten Zimmer kippen.
Eigentlich perfekt.
Wenn nur diese Gummimatte als Matratzenschoner nicht wäre. Wegen der schwitzt man nämlich fürchterlich von unten her. Also nicht perfekt.
Aber gut.
Es fühlt sich richtig an.