Wir nähern uns der Wiesn und dem kollektiven Volksbesäufnis.
Der Münchner Sommer ignoriert den Wetterbericht beharrlich und bleibt. Das ist gut, denn immerhin hat er heuer ja auch erst superspät angefangen. Mein Ross sammelt glücklich in der Wiese vom Bauern Fallobstäpfel und der futterneidische Hund frisst auch ein paar... Erstaunlich. Wenn ich ihm daheim so was anbieten würde, würde ich nur mit einem indignierten Blick bedacht werden: "Hast du noch nie von carnivor gehört?!"Der Tag war gut. Meine Laune wie das Wetter. Sommerlich.
Am Abend sind wir eingeladen. Massen von Freunden, die ich seit meiner Diagnose nicht mehr gesehen habe...
Ich trinke ja üblicherweise gar nicht, aber dieses eine Mal, wo ich wirklich gar nicht darf, wäre mir schon sehr danach.
In gemischter Stimmung gehe ich also mit meinem Mann auf das Wiesn-Warm-up-Trachtenfest von einem Kumpel, der bezeichnenderweise gebürtiger Hamburger ist. Das Oktoberfest ist eben international und gesoffen wird überall, wenn auch nur bei uns in Lederhosen.
- Bikertreffen gelten insofern nicht. Wirklich nicht. Und Jersey-Stoffe im Lederhosendesign übrigens auch nicht, aber ich will jetzt nicht in einen Exkurs über traditionelle Trachten abschweifen, obwohl das durchaus angebracht wäre, angesichts dessen, womit die hinterlistigen Ladenbesitzer in der Innenstadt arglose Touristen und "Neumünchner" anlocken, damit sie sich vor den Einheimischen so richtig blamieren. -
Ein andermal vielleicht.
Jedenfalls bin ich ziemlich komisch drauf und wundere mich über mich selbst.
Egal, ich schnür mich in mein Dirndl und schraube ein Lächeln in mein Gesicht.
Wahrscheinlich wird es ganz lustig. Immerhin treffen wir endlich mal wieder unsere Clique, die ganze Krebsgeschichte hat doch auch auf der sozialen Ebene zu einer deutlichen Reduktion geführt.
Das Treffen verläuft gut, alle sind begeistert, mich zu sehen.
Mein Krebstextlein kann ich zum Glück inzwischen ziemlich fließend aufsagen, klingt ja auch alles ganz gut. Für die, die keine Ahnung haben, hinreichend ehrlich, schmeichelhaft tapfer und den Zuhörer beruhigend.
Es ist besser so, weil die Zweifel, die Angst davor, dass die Kraft ausgeht... die kann man nicht beschreiben, weil jedes Wort hinter der Wahrheit zurückbleiben würde - wobei das keine Richtungs-, sondern nur eine Abstandsangabe sein soll.
Manches ist schlimmer, manches ist besser, es gibt Gutes und Schlechtes, man lebt eben mehr in den Grenzbereichen, das kostet Kraft, aber dafür lebt man auch intensiver (und das wiederum ist gut).
Lerne, was wichtig ist.
Lerne, wie wenig wirklich wichtig ist.
Lerne, das Wichtige vom Unwichtigen zu scheiden.
Und merke es Dir.
Dem geneigten Leser wird schon auffallen, dass ich heut etwas zerstreut bin. Wo war ich stehen geblieben? Ach, auf dem Fest.
Ja, es ist nett und das Wetter passend für den Anlass und einen gemütlichen Balkon.
Was wirklich psychologisch erstaunlich ist, ist dass so viele meiner Freunde mir in Antwort auf meine Krebsgeschichte ungewöhnlich offen, ja fast schon radikal, von ihren Sorgen und Nöten sprechen.
Liegt das daran, dass man versucht ist, mitzuhalten?
Soll das ein Übertrumpfen werden?
Egal, was einem passiert - dein Gegenüber kennt wen, dem dasselbe passiert ist - nur schlimmer! *g*
Aber vielleicht bin ich zynisch, was ich gar nicht sein will. Vielleicht soll das auch nur ein Zeichen dafür sein, dass ich nicht allein bin, mit meinem Elend, dass es anderen auch nicht besser geht - nur anders, Vielleicht ist es Leid-Solidarität, die hier anklingt.
Vielleicht... ich weiß es nicht. Seltsam distanziert höre ich zu, wie wir uns unterhalten, höre, wie ich tröste, mitfühle und berate. Und entferne mich dabei immer weiter, bis ich mich inmitten meiner Freunde ganz fremd fühle. Allerdings nicht unwohl. Nur anders. Ein Alien quasi.
Keine Frage, heute bin ich komisch.
Be unique!
Ich wechsle zu Bekannten vom Gastgeber, die ich allenfalls vom Sehen kenne und plaudere beherzt als gefragte Expertin über artgerechte Mopshaltung, nachdem mein kleinster Hund ein Hovawart war...
Das ist mal wirklich auf den Hund gekommen...
Doch dabei fühle ich mich wohler.
Ich glaube, ich habe einen ganz guten Mittelweg gefunden, ein geeignetes Maß an Nähe zuzulassen und doch die Abgründe aus Angst und Unsicherheit, die da natürlich irgendwo lauern, mit Sicherheitsabstand zu umschiffen. Aber anstrengend ist es schon.
Falls der Krebs einen aushölt, ist es ja nur logisch, wenn man ob
Ich stehe neben der Spur, was in Ordnung ist, und dass man sich da manchmal etwas fremd in alten Bahnen fühlt, scheint unter diesem Aspekt ebenfalls logisch.
erflächlich wird.
Wir gehen so ziemlich genau in der Mitte des allgemeinen Exodus und kommen spät nach Haus. Eigentlich war es ein schöner Abend.
Oberflächlich betrachtet auf jeden Fall - und in der Tiefe auch.
32:7
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