Sonntag, 15. Dezember 2013

voll verspult - Krebs in der Nacht

ICU - Pierre (www.piqs.de)
So geht das nicht weiter.
Wenn man gesund werden will, braucht man Kraft.
Auch, wenn man wenigstens nicht noch kränker werden will. Auch Rückzugsgefechte sind kräftezehrend. Gerade die.
Wie aber kommt der Mensch zu Kräften? Durch gutes Essen und Schlaf.
Das mit dem Essen klappt ja einigermaßen, meine angeborene Verfressenheit, mein ausgeklügeltes Riech-Schmeck-System, diverse Mittelchen gegen offene Stellen und nicht zuletzt natürlich mein gerade zu himmlisch kochender Mann haben da den Krebs im Griff. Da bekommt der Mistkerl keinen Fuß in die Tür.
Etwas anders schaut es mit dem Schlafen aus. Ich habe schon vor dieser Schalentierepisode so meine liebe Not mit dem Schlaf gehabt. Dieses frühkindliche "Nichtinsbettgehenwollen" habe ich irgendwie nicht nur nie abgelehnt, sondern im Gegenteil stetig weiter perfektioniert. Das führt in Friedenszeiten zu einem vergleichsweise blassen Teint und zu einem abwechslungsreichen und erfüllten Privatleben, dass sich mit einem zeitintensiven Job und meiner schriftstellerischen Tätigkeit kombinieren lässt.
In Kriegszeiten wie diesen hingegen, würde ich diesen Modus gerne modifizieren. Jetzt zum Beispiel, und zwar dringend, weil ich mich echt wie gerädert fühle. Dumm nur, dass es nicht klappt, wenn man schlafen nicht gelernt hat.
Klingt komisch, ist aber so.
Ich habe von Kriegskameradinnen erfahren, dass viele aus verschiedenen Gründen auch schlecht schlafen und noch schlechter einschlafen. Wir tauschen diverse Mittelchen aus, die es rezeptfrei, einfach und ohne Nebenwirkungen gibt. Instinktiv schrecken wir alle vor nur noch mehr Chemie zurück. Erstaunlich. Man sollte meinen, mit einem gefühlten Hektoliter Taxan im System wär es eh schon wurst.

Mir hat es ziemlich viel Spaß gemacht, überhaupt mal rauszusuchen, was so helfen kann und ich freue mich über Kommentare mit weiteren Anregungen, wie man gerade unter erschwerten Bedingungen doch zu gutem Schlaf findet.

  • Hände waschen
    Nein, das ist jetzt kein Aufruf zu mehr Hygiene, sondern ein verblüffend effektives Mittel, loszulassen. Ich bin schon von Berufs wegen skeptisch und diesem halbgaren Schamanen-, Spiritualitätsquatsch, der hier in unser sinnentleerten Kapitalwelt angespült wird auch instinktiv eher skeptisch eingestellt (Nicht dass ich das nicht für möglich halte - ich traue es nur den Predigern hierzulande nicht zu).
    Aber wenn man der lebenspendenden Kraft des Wassers, das über die Hände fließt, nicht nur den Schmutz anvertraut, sondern auch die Sorgen - dann hat das den Indianern zufolge eine befreiende Wirkung, die ich nicht widerlegen konnte. Und wenn man dann danach noch ganz bewusst tief Kraft einatmet, geht es gleich noch besser.
    Ich habe jedenfalls für mich festgestellt, dass ich mit diesem Ritual viel öfter die Hände wasche.
  • Schäfchen zählenBekannt und bewährt - so albern es ist, es wird immer genannt.
    Man kann auch was anderes zählen, oder darüber nachdenken, was man zählen will. Hilf alles.
  • Sorgen aufschreiben und beiseite legen
    Große Wirkung kleiner Gesten. So trickst man den Bauch und mit ihm zusammen den Kopf aus. Denn dann sind sie festgehalten und der Kopf ist entlastet für die Pause, die Schlaf ja bedeuten soll. Nichts geht verloren. Man darf loslassen. Kein Thema, dass man in die Nacht mitnehmen müsste.
  • Tagesereignisse rückwärts Revue passieren lassen
    Das ist eine wie ich finde sehr interessante Methode, die tatsächlich gerade nach stressigen Tagen sehr zur Entspannung beiträgt, weil man den Tag seltsamerweise aus einer völlig anderen Perspektive erlebt, wenn man einmal nicht frägt, was man "danach" gemacht hat, sondern vom Insbettgehen zum Zähneputzen mit einem "Und davor?" bis zum Aufstehen pilgert. Es erschließen sich Zusammenhänge und Ursachen, der Fokus verschiebt sich von unerträglich zu unwichtig (oder auch andersherum!), Zumindest fördert es den Überblick, erweitert den Horizont und stärkt das Verständnis.
  • Statistik führenFür die Wissenschaftler unter uns.
    In der Tat scheinen Zahlen auf viele Menschen sehr beruhigend zu wirken und wenn man den Tag in Zahlen ausdrückt, scheint er irgendwie aufgeräumt und erledigt...  Das Leben wirkt berechenbar und vermittelt uns die Illusion von Beherrschbarkeit. Das ist gerade in diesen von Ohnmacht geprägten Tagen sehr angenehm. Aber wie kann man ein Leben in eine Statistik pressen? Das geht eigentlich leicht. Beginnen wir mit allem, das sich zählen lässt.
    Also z.B. Gewicht, Ausgaben, Kreuzchen für typische aber nicht tägliche Aktivitäten wie mit Kindern spielen, Sport gemacht, Einkaufen gewesen, Haushaltsarbeit, etc...), Wetter...
  • Psycho-Statistik für FortgeschritteneWenn man sich also schon eine Tabelle ans Nachtkasterl legt, kann man auch noch ein paar weitere Spalten ausfüllen, nämlich z.B. eine Schulnote für den Tag und eine kleine Spalte, in die man schreibt, was man sich an dem Tag Gutes getan hat. Das ist seeeehr hilfreich, weil man dann vieles lernt; nicht nur, es auch zu tun, sondern auch und vor allem, sich das Gute bewusst zu machen - und so ein kleines zufriedenes Schmunzeln beim Einschlafen ist ein mächtiger Schild gegen Schlafmonster
  • MantraÄhnlich funktioniert das Mantra-Aufsagen. Man spricht morgens und nachts als erstes und letztes seine persönliche Forderung an das Leben laut aus. "Ich habe es verdient, gesund zu werden" oder "Das Leben ist zu schön, um es aufzugeben" oder was auch immer gerade in der jeweiligen Lebenssituation eine besondere Erwähnung verdient hat.
    Irgendwie programmiert man sich entsprechend und verhält sich dann auch im Unbewussten "aufgabenkonform" - und man schläft besser, weil die Wiederholung des Wunsches den Glauben daran erleichtert. Mit jedem gesprochenen Wort gewinnt er an Macht.
Vorausgesetzt, man schreibt die Statistik oder die Sorgen auf Umwelt- oder besser noch Altpapier, dann waren das mal einige nebenwirkungsfreie aber doch oft äußerst effektive Mittel.

Doch bei aller Sammelleidenschaft muss ich zugeben, dass der Erfolg nicht so durch- oder vielmehr k.o-schlagend ist, wie ich mir das wünsche.
Mein blöder Kopf kennt die alle schon und sie treffen auch mein Problem nicht. Ich könnte ja schlafen, wenn ich ins Bett ginge. Meist bin ich dann so erschöpft, dass ich nicht schlecht, sondern vielmehr gar nicht träume, weil ich ins Koma falle.
Ich kann nur nicht ins Bett gehen. Es ist so, wie wenn man sich nicht zu einer unangenehmen Aufgabe aufraffen kann. Man weiß, man sollte. Man ahnt, man wird es büßen. Man ärgert sich, dass man es nicht tut. Aber irgendwie auf dem langen Weg vom Großhirn zum Fuß geht der Befehl verloren oder aus dem "Bett" wird "Kühlschrank", "Computer", "Fernseher" - auch "Wäschekeller" ist schon vorgekommen. Offenbar ist es wirklich ernst.
So ernst, dass ich mich dann eben doch zu einem voll krassen Schritt entscheide. Ich lasse mir ein Schlafmittel verschreiben.
Das Zeug funktioniert - ob das jetzt daran liegt, dass ich mit dieser Geste ein "Psycho-Programm" gegen meine "Bett-Phobie" ausgelöst habe oder tatsächlich irgendwie entspannt genug bin, um zu schlafen - ich gehe früher ins Bett, schlafe gleichmäßiger und ich würde sagen damit insgesamt weniger komatös.
Leider schlafe ich nicht durch, weil ich nachts mal im Bad vorbeischauen muss.
Auch die Blase tritt offenbar in der Chemozeit etwas kürzer, andererseits trinke ich natürlich auch Unmengen, um besser zu entgiften.
Tja und dann ist es dumm mit Schlafmittel. Ich wache auf, werde nicht richtig wach, torkle und stolpere durch Traumspinnweben wie volltrunken Richtung Badezimmer.
Das ist überhaupt nicht lustig, weil ich mit "Volltrunkensein" keinerlei Erfahrung habe.
Noch nicht einmal mit normalem Suff. Seit meinem Staatsexamen, war ich nicht mehr blau und davor auch nur einmal. Was plötzlich von Nachteil ist.
Nein, Profi-Torkler bin ich keiner.
Zudem liegt der Kater neuerdings offenbar nachts vor dem Badezimmer, weil er da die Treppe im Auge hat und er ja jetzt selbsternannter Erbe des Wachhunds ist, der hier aus ganz simplen logistischen Gründen gerade ganz besonders fehlt. Ach ja. Die Guten gehen zuerst, man muss sich schämen, dass man noch lebt.
Dumm ist jedenfalls, dass besagter Wachkater so tief schläft, dass er mich nicht kommen hört (vielleicht reagiert er auch nicht, weil er auf Einbrecher wartet und nicht auf Frauchen von hinten). Ich jedenfalls sehe ihn nicht, weil der rote Kater auf dem Holzboden geradezu tarnfarben wirkt und es dann zu einem seltsam flauschigen Gefühl unter den ohnehin schwankenden Füßen kommt, gefolgt von einem empörten Quietschen und ruckartigem Entziehen der Trittfläche. Blöd, wenn man sich nicht ausbalancieren kann, weil die Motorik einfach nicht anspringt.
Der andere Kater auf der Fußbodenheizung im Badezimmer ist nicht betroffen. Da ist der Lichtschalter neben der Tür und die ist ja auch schon vom Wachkater vorgewarnt worden.
Eine weitere Nebenwirkung der Schlafmittel ist, eine gewisse Art von Sodbrennen, die dazu führt, dass man ständig essen will, weil das Gefühl irgendwie einem sehr leeren Magen gleicht und da ja Essen grundsätzlich ein nahe liegendes Gegenmittel wäre.
Wieder dumm, dass besagtes Essen dann nicht schmeckt, was speziell morgens wirklich ganz schwierig ist. Einerseits weil ich morgens geruchsempfindlicher bin, andererseits weil der kaputte Mund über Nacht mit keinerlei Mitteln gepflegt wurde und daher wund ist und faulig schmeckt.
Außerdem werde ich konditionell jetzt in der vorletzten Chemo schon sehr schnell müde, das reicht immer noch für Haus- und Gartenarbeit, aber selbst ich als Nickerchenhasser sehe das inzwischen liberaler.
Könnte allerdings auch eine Nachwirkung des Schlafmittels sein.
Und hier erreiche ich eine neue Problemzone.
Denn schlimmer als die tatsächliche Müdigkeit ist, dass ich mich nicht mehr traue, mit Freunden was auszumachen, aus ANGST, es könnte mir zuviel werden.
Ansonsten aber wenigstens klappt der Plan mit dem „(Fast) nebenwirkungsfrei“ bisher ganz gut. Es kostet zwar mehr Kraft und Willen als bisher, aber ich muss nix ganz aus der Liste meines Lebens streichen. Nur besser planen und gleichmäßiger verteilen.
In jedem Fall sollte ich trotzdem nächste Woche den Schwerbehindertenausweis beantragen.
Sicher ist sicher, ich trau meinem Chef nicht.
Nicht, dass er doch noch vergisst, dass ich Krebs habe... Das ist so abstrakt. Die Kommentare auf meinen Post zu Rückenschmerzen gegen Chemo haben mich nachdenklich gemacht.
Direkt unter der Achsel habe ich dann am Samstagabend so komische Knubbel entdeckt (Talgdrüsen?), die mich schon etwas besorgen... Aber gut, ändern kann ich nichts.
Aber ich schreibs auf meine Nachtkasterlliste und werfe mir eine Schlaftablette ein. Muss der Kater sich halt vorsehen. Wachhund, der er sein will.
81:14

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