Sonntag, 9. März 2014

Neue Abenteuer - Krebs und Bestrahlung

Unter unserem Himmel - Nistro01 (www.piqs.de)
Nach dem Abenteuer ist vor dem Abenteuer und weil der Krebs nun mal ein schlechter Verlierer ist, geht es in die nächste Runde.

Sprich für die Vorgespräche zur Bestrahlung, die ungefähr drei bis vier Wochen nach der OP beginnen soll. Mit anderen Worten nächste oder übernächste Woche.

Also kann ich die entsprechenden Vorbereitungsgespräche mit Verwaltung und Bestrahler gleich führen. Zusammen mit den Abschlussuntersuchungen, das wäre doch mal so richtig effizient. Theoretisch.

So wie die Frühlingssonne scheint, fühlt sich das richtig an. Strahlen sind gut. Naja, nicht ganz so schlimm.
Hmhm.
Irgendwie ist so allmählich bei mir die Luft raus. Die Chemo hab ich wie eine epische Schlacht durchgefochten und die OP mehr oder minder humorig als unvermeidliches Nachgeplänkel überstanden. Aber jetzt?
Ich bin irgendwie unentschlossen und weiß nicht recht, was ich von der neuen Situation halten soll. 
Die Chemo ist tatsächlich vorbei. Die OP habe ich auch hinter mir. Angesichts dessen, was die Chemo von einem abverlangt, gibt es eigentlich keinen Grund, sich vor einer harmlosen Bestrahlung zu fürchten.
Andererseits natürlich haben sie das bei der OP auch gesagt, dass die ein harmloser Routine-Eingriff sei - und das war sie nun jedenfalls nach allseitigem Verständnis nicht.
Ich grinse beim Gedanken an die Assistenzärztin. "Das war zwischendrin ganz schön tricky", hat sie gesagt und auch wenn ich das nicht beurteilen kann, weil ich ja nicht dabei war - also jedenfalls nicht bewusst (haha), will ich da nicht widersprechen. Ich hab verdächtige Blutspritzer an meinen Füßen gefunden, die auch bei mir anatomisch Mainstream relativ weit von meiner Brust angebracht sind. 
Zudem ist es natürlich so, dass die Chemo nicht spurlos an mir vorübergegangen ist und daher die Einschätzung relativiert werden muss. Harmlos für Normalos, oder?
Wieder andererseits geht es bergauf. 
Ich hab die Chemo gut durchgestanden und das werde ich jetzt bei dem nächsten Abschnitt nicht ändern... Krebs sieh dich vor!
Auf dem Weg zur Bestrahlungs-Beratung habe ich saisonal absolut unpassend Hitzewallungen - oder vielleicht auch passend. Frühling und so. 
Immerhin friere ich nicht. Draußen schnieselt es, ob das ein Zeichen ist? Der Winter ist ein genauso schlechter Verlierer wie der Krebs. Aber er wird verlieren. Wie der Krebs. 
Das Gespräch läuft anders als erwartet. Bisher hieß es immer, diese Bestrahlung sei vollkommen harmlos, eine reine Routine. Schon allein deshalb, weil sich mein Tumor mehr oder minder aufgelöst habe, sei das nicht mehr als eine Präventivmaßnahme. 
Lächerlich.
Nun, heute klingt es anders. Die Litanei der Nebenwirkungen will und will kein Ende nehmen und allmählich werde ich nervös. Kreislaufversagen, Herzstillstand, Lungenembolie, Schock, Verbrennungen...
Moment. Verbrennungen?
"Ja. Für den Fall, dass ein technischer Defekt während der Bestrahlung auftritt?"
"Ah... Aber werden die Geräte nicht vorher geprüft, regelmäßig gewartet und so?"
Das schon, aber man kann da nicht restlos sicher sein."
Ich nicke. 
"Äh... Wie wahrscheinlich ist das denn? In Prozent?"
"Hm... Etwa 1: 1.000.000"
Ich stutze. In solchen Situationen hoffe ich immer ehrlich, dass Kurt Felix mit der versteckten Kamera hereinstürmt und mich auslacht und mir in diesem Schockmoment einen Wisch unter die Nase hält, mit dem ich für etwas mediale Aufmerksamkeit meine Würde verkaufe und mich zur Erbauung der Nation bundesweit als Depp vorführen lasse. 
Aber leider kommt Kurt Felix nicht. Das tut er nie. 
Und das ist kein Grund zur Freude. 
Denn was sagt das über die Situation aus, in der wir zwei, die Ärztin mit der dicken Brille und ich, jetzt befinden?
Irrsinn des Alltags.
Hat die dumme Nuss mich jetzt gefühlte 2 Stunden in Angst und Schrecken versetzt, indem sie mir mit eulenernster Miene von Pannen erzählt hat, die nur statistisch vorkommen? 
Wie kann man denn einem ohnehin schon nervlich völlig überforderten Menschen das antun, nur damit man dann fein raus ist, wenn es doch passiert? 
Wenn die so überhaupt kein Risiko eingehen wollen, warum arbeiten sie dann nicht als .... Ich weiß gar nicht... als Autobahnmautvigniettenverkäufer?
Wie soll ich solchen Menschen vertrauen, die selbst so gar nicht an ihre Arbeit glauben?
Andererseits - Vertrauen im Klinikbetrieb funktioniert mehr nach dem Stockholm-Syndrom. Man fühlt sich dort als fühlender und denkender Mensch so derart einsam zwischen den ganzen Checklisten-Robotern und DIN-Vorschriftszombies, dass man gar nicht anders kann, als jedem nicht völlig unhöflichen Weißkittel quasi sein Vertrauen hinterherzutragen und aufzudrängen, wenn man in seinem Elend nicht völlig allein sein will. 
Tumortheraupeutisch ist das einerlei. Ganzheitlich betrachtet ist der Schaden enorm. Das ist die eigentlich größte Belastung - dieses Gefühl der Ohnmacht. Das dort nicht ein Mensch ist, der in mir einen Menschen sieht. 
Ganzheitlich. 
Nicht nur einen wandernden Tumor oder ein Fleischgebilde, an dem man jetzt rumschnippselt, oder das man in eine Maschine stopft.
Ich würde gerne lachen, oder weinen. Oder beides. Ich weiß nicht. Das ist typisch für Klinik-Patienten.
Also schüttele ich nur mit dem Kopf.
Meine eulengleiche Ärztin blinzelt hinter ihren schutzschilddicken Brillengläsern und runzelt irritiert die Stirn: "Sie schauen so skeptisch?"
"Ja... Ich war gerade abgelenkt. 1:1.000.000? Das heißt dann, es passiert sicher."
"Nein... Das heißt, dass in 1 Million Fälle nur einmal das passiert..."
Nein, das heißt, dass Frau Dr. Eule, von den erfolgreichsten Büchern des letzten Jahrzehnts keine Ahnung hat und deshalb Therry Pratchetts geniale These zur Beeinflussung der Wahrscheinlichkeitsberechnung nicht kennt, wonach 1:1.000.000-Chancen sich immer realisieren werden.
Egal.
Wie nennt man das Gefühl, wenn einem die Wirklichkeit einfach entgleitet? 
De-Realisation? Grässlich.
Mit einem Seufzen, das alles Elend dieser Welt umfasst und dem in der Klinik einen Ehrenplatz zuweist, widme ich mich wieder meiner Eule und versuche uns zurück in die Wirklichkeit zu bringen. Fort vom Alltag, aber hin in die Wirklichkeit... Jener Welt, die Wirkung hat.
"Äh... lassen Sie uns jetzt einfach mal in ihrer Auflistung möglicher Komplikationen zurückspulen, bis wir an die Stelle kommen, wo wir den Promillebereich verlassen haben..."

Was soll ich sagen? Am Ende sind also doch nur Muskelverhärtungen und Hautirritationen übrig geblieben. Also doch eine harmlose Behandlung. Wie ich es vermutet habe.
Frühlingssonne draußen. Frühlingsoptimismus drinnen.
Das Gespräch mit der Verwaltung läuft gut. 
Die kennen mich noch von der OP-Vorbesprechung, wo ich unbedingt ein Einzelzimmer wollte.
(Ein Einzelzimmer kann man für Beträge buchen, die nicht höher als die von Hotelzimmern liegen. Ich bin normalerweise nicht so vornehm, aber da ich aufgrund meiner Schlafstörung nachts nicht schlafe, ecke ich in einem Mehrbettzimmer unweigerlich an. Nach Rücksprache mit meinem Mann habe ich mir diesen Luxus geleistet. Es waren ja nur ein paar Tage.)
Nächste Woche geht es los. Täglich.
Ah.
"Kann ich dann bitte entweder einen ganz frühen oder einen ganz späten Termin haben? Ich muss ja nebenbei auch noch arbeiten."
"Nein."
"Doch, muss ich, sonst werde ich obdachlos verhungern. Sie kennen meine Hausbank nicht."
"Haha, sie sind ja lustig. Ich kann Ihnen keinen frühen Termin geben."
"Ach? Wieso nicht?"
Ich finde das gerade übrigens gar nicht lustig.
Der Ton der Verwaltungsfrau wird leiernd. Betonte Langeweile.
"Die frühen Termine bekommen die Mütter, die müssen ja ihre Kinder in die Schule bringen."
Ich blinzle, suche Blickkontakt. "Ist das ihr Ernst."
Eine Verwaltungsaugenbraue geht nach oben. Ja, signalisiert sie stumm.
"Mal abgesehen davon, dass das eine hässliche Diskriminierung der Nicht-Mütter ist, verstehe ich das nicht. Denn der früheste Termin ist um 8:00 h. Da sind die kleinen Blagen ja schon in der Schule. Dann hat die Mutter aber bis sagen wir 12:00 h Zeit, bevor der Spross wieder entlassen wird. Ich hingegen bin ab 9:00 h in der Arbeit und komme da frühestens um 18:00 h wieder raus. Mein Chef wird das nicht akzeptieren, dass ich untertags mal mit An- und Abreise so gut anderthalb Stunden fehle. Täglich!"
"Dazu ist er gesetzlich verpflichtet."
"Ja. Wie das so mit den Gesetzen ist, ist die gelebte Praxis eine andere und ich habe keine Kraft, mit meinen Chefs täglich zu kämpfen, denn darauf läuft es raus. Was spricht dagegen, mir einem frühen Termin zu geben? Oder einen späten?"
"Das ist gegen die Regeln." Sie wirft mir einen gequälten Blick zu. "Lassen Sie sich halt krank schreiben."
Ich seufze. "Nein. Denn ich bin ja nicht krank, sondern in empfohlener Vorsorge-Behandlung. Außerdem bin ich arbeitsfähig. Das mag jetzt übertrieben juristisch klingen, aber wenn wir das endlich mal sauber alle so behandeln würde, ginge es unserem Gesundheitssystem gleich deutlich besser."
Die Verwaltungsfrau ist nun endgültig genervt und lässt mich das spüren.
Doch auch ich bin entschlossen und zeige das. In Körperhaltung und Mimik.
Zwei böse Blicke prallen über dem Tresen aufeinander wie Springböcke beim rituellen Paarungskampf.
Ich bin Aszendent Widder und der setzt sich bei so was immer durch.
Ich gewinne das Blickduell.
"Schauen Sie, da um 8:30 h ist doch eine Lücke..."
"Sie dürfen gar nicht in den Bildschirm schauen. Datenschutz und so."
Ich grinse haifischgleich. "Dann müssen sie den Monitor anders stellen. Datenschutz ist Ihr Thema. Nicht meins. 8:30 h ist frei..."
Jetzt nicht mehr. Das ist jetzt mein Slot für die nächsten gefühlten 1.000 Behandlungen.
Na also, geht doch.
Frühling lässt sein blaues Band... Blau ist die Farbe der Hoffnung. Den Rest des Tages nehme ich mir frei. Details zur Bestrahlung schreibe ich Euch demnächst.

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