Sonntag, 22. Dezember 2013

rot oder schwarz - Krebs und Stimmung

Umberto Salvigne - Swan  in Backlight (www.piqs.de)
Ich komme endlich dazu, über die Tage vor der letzten Chemo zu schreiben.
Es fällt mir schwer, mich mit dieser Zeit zu befassen, aber das hat andere Gründe als den Krebs.
Es ist sehr schwierig. Eigentlich wollte ich von der Arbeitswoche schreiben, aber das wäre etwas hochtrabend, denn das klingt so nach Office. Vor Weihnachten ist immer sehr viel los. Da haben Anwälte Hochsaison.
Ich war zwei Tage in der Kanzlei und habe zwei Tage von Daheim aus gearbeitet, was mir erlaubt, meine Intervalle anders zu takten als das im Büro ginge. Aber ich achte peinlich darauf, meine Arbeitszeit sauber abzuarbeiten. Mindestens 40 Wochenstunden, damit mein Chef nicht wieder sagt, ich sei unzuverlässig oder gar unbrauchbar. Doch das ist schwer.

Einerseits fühle ich mich furchtbar schlapp. Andererseits bin ich vor allem extrem depressiv, ich würde so gerne einfach arbeiten, leben... aber es geht nicht. Mir fehlt einfach die Kraft.
Diese Depression nervt mich - selbst wenn sie von den Medikamenten kommt, das Gefühl bleibt ja trotzdem.
Und was für ein Gefühl. Bäh!
Es ist etwas, von dem ich so sehr gehofft hatte, ihm nie wieder zu begegnen.
Ich bin wie gelähmt, kann selbst kleinste Arbeiten/Pflichten nicht verrichten, ohne dass ich mich dazu zwinge.
Nein, das ist jetzt definitiv ein Tag, den der Krebs für sich entscheidet.
Die Niederlage ärgert mich.
Das einzige was mir darüber hinweg hilft, ist ohnehin mein Zorn, aber das hat massive Nebenwirkungen auf meine Beziehung und auf mein Gesamtbefinden, weil ich entweder tiefschwarz deprimiert oder hochrot zornig bin.
Am Montag waren wir im Kino, vorher war ich zu ich depressiv, um auch nur mit dem Hund rausgehen.
Als ich das dann meinem Mann erzählt habe, war er so mies drauf, dass wir darüber in Streit geraten sind und dann konnte ich gerade zum Fleiß plötzlich nochmals Gassi gehen.
Fluchtverhalten.
Schöner Mist. Was Hormone mit einem machen, was sie mit meinem Leben machen.
Ich will nicht streiten, denn ich seh ja, wie sehr auch die unter Druck stehen, die mit mir Leben müssen. Aber auch das ist schwer.
Nur der Zorn holt mich aus dem schwarzen Loch, doch er verbrennt auch alles andere.

Ich bin spazieren gegangen, war beim Pferd, habe viel geschlafen, durchaus auch gearbeitet, an meinem Buch geschrieben, Laub im Garten weggeräumt...
Eigentlich ist alles gut.
So sieht es aus, so sehen es die anderen und freuen sich für mich.
Aber es fühlt sich nicht so an und wenn ich das sage, sind alle enttäuscht, die sich gefreut haben und projizieren das auf mich. Und ich bin unsicher, weil vielleicht haben sie ja recht und ich bin undankbar. Jammere, wo es nichts zu jammern gibt. Ich lausche nach innen, die Traurigkeit grinst höhnisch zurück. Sie würde vermutlich spöttisch lächeln, aber das ziemt sich nicht für die ewig Schwarzgewandete.

Immer deutlicher wird, dass der Krebs zwar nicht mich, aber meine Beziehung auffrisst.
Wir können gar nicht mehr normal miteinander umgehen und auch wenn ich versuche, einen "normalen" Abend zu gestalten - gelingt das nicht.
Wir fremdeln.
Nun gut, mit der Perücke und dem aufgemalten Gesicht, den getapten Fingern und dem wunden Mund, bin ich auch nicht die, die mal irgendwann geheiratet worden ist.
Nein, ich muss noch einen Tag an den Krebs abtreten, so Leid es mir tut.

Auch in der Arbeit ist es schwierig. Das Verhältnis verzerrt sich zunehmend. Ich arbeite brav und ordentlich. Die Mandanten sind zufrieden und fragen mich auch an. Das ist gut, denn sonst dürfte ich vermutlich nur noch Akten sortieren. Doch das ist ungerecht. Der objektiv einzige Unterschied zu "vorher" ist, dass ich viel von Zuhause aus arbeite, aber das ist bei der Bearbeitung von Schriftsätzen und Verträgen eigentlich kein Problem. Ich schalte mich halt vom Sofa aus auf unser System - wunderbare Welt der Technik. Und ob ich das zwischen 09.00 und 17.00 h mache oder zwischen 17.00 und 09.00 ist egal, solange ich pünktlich liefere?!
Und doch... mobbt mich der Krebs.

Ich werde in Besprechungen nicht einbezogen - und zwar nicht, weil ich nicht da bin, denn ich würde kommen, wenn es erforderlich wäre und hätte im Übrigen auch ein Telefon...
Ich werde bei der Weiterleitung von Dokumenten auf dem Verteiler vergessen, ich erhalte auch auf Nachfrage die Informationen, die für effizientes Arbeiten wichtig wären einfach nicht.
Es ist, als wäre ich eigentlich schon weg. Die anderen jammern, wie sie überfordert sind, aber ich darf keinem was abnehmen.
Alles wird besser, so höre ich, wenn die neue, die tolle, die bessere Kollegin erst anfängt.
Bei der Ausgabe von mir erstellter Unterlagen werde vom Chef nicht ich, sondern ein anderer Kollege cc gesetzt, der damit doch gar nichts zu tun hat.
Ich bin fix und fertig.
Also versuche ich, künftig mehr in der Arbeit zu sein, Leukozyten und winterliche Ansteckungsgefahr hin oder her, irgendwie geht das schon.

Dann erfahre ich, dass die Steuerberaterin, die gerade mal zwei Wochen bei uns in der Kanzlei arbeitet, einen der Tiefgaragenplätze bekommt, während ich mit Taxi und Shuttle (mein Mann) organisieren muss, wie ich irgendwie meinen Job behalte und nicht zum Büroboten degradiert werde, weil man mich doch eigentlich los werden will.
Ich spreche meinen Chef darauf an und der zuckt verlegen die Schultern. Das sei ihm jetzt schon peinlich, sagt er.
Jetzt erst fühl ich mich wie ein abgeschobener Krüppel, wie ein Vollidiot, weil er überhaupt kommt und soviel arbeitet... Andererseits kann ich es mir einfach wirtschaftlich nicht leisten, einfach krank zu sein.
Mit dem Krankentagegeld komme ich nicht hin. Stolz muss man sich leisten können.

Weihnachten kann nur besser werden!
84:16 

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