Freitag, 25. Oktober 2013

Pilzzeit - Krebs und Nebenwirkungen

Dreisam... - Karl Dichtler (www.piqs.de)
Die Woche war hart.
Nicht nur weil das Wetter bäh ist. Ich mag weder schwitzen noch frieren und die kurzen Tage schlagen mir auch unter günstigeren Umständen aufs Gemüt. Mir graut vor der Winterzeit und der Dunkelheit.
Ich kann gut verstehen, warum sich am Polarkreis so viele Menschen in der dunklen Zeit umbringen.
Die Wiege der Menschheit stand in Afrika. Unsere Gene verlangen nach Sonne und Wärme!
Der Umstand, dass bei Rechtsanwälten die Hauptsaison ausgerechnet auf die ohnehin stressige Weihnachtszeit fällt, macht es nicht besser. Das nervt mich jedes Jahr. Da die Verjährungsfristen immer zum 31.12. laufen, fällt einfach wahnsinnig vielen Menschen ein, dass sie unbedingt heuer noch ihre Ansprüche anmelden müssen, weil es sonst zu spät ist. Das ist richtig. Aber die allermeisten Verjährungsfristen werden in Jahren bemessen! Warum also ist der Mensch so gebaut, dass er immer alles zuverlässig erst dann erledigt, wenn es eigentlich schon zu spät ist?
Das passt dann auch zu den Weihnachtsgeschenken.
Warum kauft man die erst nach dem 2. Advent?
Wir wissen doch alle vorher, dass es zuverlässig zum 24.12. wieder weihnachtet?
Ich hätte gerade Zeit zum Shoppen, aber mir fällt nichts ein. Gar nichts... Das kommt zuverlässig nach dem 1. Dezember. Oder nach dem 15. Dezember. Oder dem 20.
Ich kann das für mich begründen: Weil ich mich über das Schenken so wie über die Geschenke freue und dann, wenn ich im Sommer etwas Schönes für einen meiner Lieben kaufe UNMÖGLICH bis Weihnachten warten kann, um es ihm zu geben.
Aber ist das bei allen so?
Mit dem Klimagipfel ist es genauso. Da wird über das Klima und die Umweltbelastungen debattiert, als ließe Physik mit sich verhandeln. Die Erde wird wärmer, die Eisbären bekommen schon nasse Füße.
Das Klima verändert sich und es wird auf unsere wirtschaftlichen Interessen keine Rücksicht nehmen. Macht es dann wirklich Sinn, mit China zu streiten? Wenn Ihr nicht brav seid, sind wir es auch nicht?
Was ist mit der NSA, ist Angie wirklich erstaunt, dass sie auch abgehört wird? Bedurfte es dieser Erfahrung, um zu verstehen, wie sich das Volk fühlt? Ich finde das traurig. Es ist so schlimm, dass Freiheit erst gewollt wird, wenn sie weg ist. Dass man Privatsphäre und all diese kleinen Errungenschaften immer erst im Verlust bemerkt. Als Blogger darf ich da nicht reden. Und doch - ich überlege sehr genau, was ich teile. Und wann. Und warum.
Ich schreibe hier so offen ich kann, damit meine Leidensgenossen spüren, dass sie nicht allein sind mit ihren Ängsten und Sorgen, dass es Lösungen gibt und kleine Siege, die man wertschätzen und festhalten soll, weil es das Leben lebenswert macht. Und liebenswert. Weil DAS das Leben ist. Und wenn ich dafür etwas Privatsphäre aufgeben muss, denn ist das der Preis.
Aber warum rege ich mich auf? Was beschäftigen mich diese tausend Fragen?

Na, weil es mit Perücke und aufgemalten Augenbrauen natürlich leicht ist, so etwas zu fragen. Überhaupt ist man mit der Chemo generell dünnhäutiger als sonst.
Oder vielleicht auch bewusster.
Ich lebe schon mehr im Hier und jetzt und der Begriff "wichtig" hat einige dramatische Verschiebungen erfahren. Das ist nicht schlecht. Es ist zunächst anders. Ist es auch gut?
Das hängt wohl davon ab, was man daraus macht.
Ich habe gute Vorsätze, doch ich bin realistisch genug, um zu wissen, dass Vorsätze zu jeder Zeit eine bedrohte Spezies sind.
Das ist auch so ein Grund, warum ich diesen Blog schreibe.
Damit ich mich - selbst wenn sonst keiner mitliest - selber nachsehen kann, was ich mir so vorgenommen habe.
Zur Zeit habe ich jedenfalls gute Gründe, wenn ich neben der Arbeit wenig reiße.
Mein Mund wird täglich schlimmer.
Überall Bläschen und auf den alten Bläschen bilden sich neue. Das ist lästig, vor allem, weil alles verschwollen ist, wie bei einer Weisheitszahn-OP (die ich gottlob nie hatte).
Und vom ständigen Testen, wo es überall weh tut, ist meine Zunge auch ganz wund - aber das ist Dummheit, da kann der Krebs nix für.
Wobei der ebenso wie die Chemo auch nix für den Mund kann.
Nicht nur Geist und Seele, sondern auch der Körper ist einfach dünnhäutiger, schutzloser und anfälliger. Und ich stehe vor der völlig neuen Aufgabe, auf mich zu achten.
Seltsam, dass mir das so schwer fällt?
Jetzt bohre ich schon wieder in den Wunden und stelle resigniert fest, dass es weh tut. Dieser Wennglaube ist viel schlimmer als Aberglaube...  Aberglaube heißt, dass ich weiß, das es etwas nicht gibt, ABER ich glaube trotzdem dran (z.B. Geister oder 13 als Unglückszahl). Wennglaube hingegen ist die Erfahrung, dass es wehtut, WENN man in einer Wunde bohrt, an einen Verband zuppelt, zu spät in die Arbeit kommt... und man es trotzdem tut...
Da bin ich ganz weit vorn.
Aber zurück zu meinem Bläschenmund.
Mein Ärzteteam tippt - passend zur Schwammerlzeit (deshalb auch das tolle Pilzbild) - auf einen Hefepfilz, was bei Chemos nicht so selten ist.
Eine ganz gute Information dazu gibt es hier und die ist auch seriös.
Das lässt mir die Hoffnung, dass mit dem Pilz auch die Geschmacksstörung wieder weggeht.
Die Medizin führt zu einem Abheilen im Mundraum, was angesichts der Schmerzen ein Pluspunkt ist.
Ich kann nur immer wieder bestätigen, dass man wirklich dankbar sein soll, wenn einem nix weh tut.
Das übersieht man, wenn man gesund ist, viel zu oft.
Ich will mich auch zukünftig daran erinnern. Noch ein Vorsatz. Schau ma mal, was daraus wird.
Schwieriger ist die psychische Situation.
Das Taxan ist viel heftiger als das erste Chemo-Mittel.
Ich bin gereizt, frustriert und die ganze Zeit über wie getrieben und extrem dünnhäutig.
Das Bedürfnis, sich einzuigeln, nicht mehr ans Telefon zu gehen, steigt.
Dazu kommt, das sich an nichts zu erfreuen und auf nichts zu konzentrieren.
Es ist schwierig, einerseits will man diesem Sog nach unten nicht nachgeben, andererseits darf man doch auch mal schwach sein und muss zugeben, dass vieles nicht so geht, wie man es gewohnt ist.
Der Mittelweg ist dünn und steinig. Fällt das nur mir so schwer?
Na, alles in allem ist wieder eine Woche rum. Wird schon. Die Zeit läuft für mich.
59:11 würd ich sagen.

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