Dienstag, 27. August 2013

Unter Krebskollegen

Fraglos ist es nicht lustig, wenn man all die spannenden Erkenntnisse, über die ich mich hier so ergehe, im großen Krebsprogramm gewinnt. Das ginge einfacher auch und daher empfehle ich all meinen Lesern ausdrücklich Mäßigung. Ich bin überzeugt, dass man den Großteil meiner kleinen philosophischen Schule auch einfacher hätte entwickeln können.

Meine Schwägerin hat heute mit ihrer Chemo begonnen. Sie hatte vor ein paar Jahren schon einmal die Ochsentour durchgemacht, danach ein paar Metastasen als Souvenir behalten, die zwischendrin immer mal ein bisschen bestrahlen lassen - doch jetzt ist es wieder schlimmer geworden. Oder besser gesagt - ganz schlimm. Chemo, 8 Zyklen, Taxan. Großes Programm.

Und das bringt mich in eine schwierige Situation. Sie verträgt die Chemo im Gegensatz zu mir, die ich eigentlich recht gut über die Runden komme, nämlich überhaupt nicht.
Sie tut mir leid, weil es mir schlecht genug geht, dass ich weiß, wie schlecht es ihr geht.
Und ich leide mit ihr, weil es mir genauso gehen könnte.
Und ich bin froh, wenn ich ehrlich bin, dass mir das wenigstens erspart bleibt.
Und doch leide ich mit ihr, da ich ein schlechtes Gewissen habe, weil ich froh bin.
Das ist charakterlich hässlich. Und schon leide ich mit. Aktiv. Das bringt beiden nichts.

Ich würde ihr gerne helfen. Aber ich weiß nicht wie. Das ist noch so ein hässliches Gefühl. Fühlen sich so meine Freunde? Ich bin verwirrt.

Im Gegensatz zu meinen Freunden kann ich wenigstens sinnvolle Tipps geben.
In den Disziplinen
  • leichte Nebenwirkungen ignorieren
  • schwere Nebenwirkungen bekämpfen
  • resistente Nebenwirkungen ertragen

bin ich ziemlich gut und habe viel Expertise zu bieten. Im Direktvergleich mit meinen Chemo-Kollegen bin ich da sogar so etwas wie ein Kreativ-Genie, auch wenn das jetzt überheblich klingt. Aber dieses "Wenn es keine Chemo ohne Nebenwirkungen gibt, muss man eben am Patienten ohne Nebenwirkungen basteln", hat für mich eine Eigendynamik entwickelt, schon fast eine Obsession... Nun, es gibt gefährlichere Obsessionen. Und ich war schon immer der Wettkampftyp.
Pfähle im Wind - Arkadien.
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Aber drängt man sich auf, wenn man das aktiv anspricht, obwohl man nicht gefragt wird? Vielleicht aber ist auch die Schwägerin scheu und spricht nicht an, wovon sie annimmt, dass es auch mich belastet?
Oh je.
Ein schmaler, ein sehr schmaler Grat würd ich mal sagen und glitschig obendrein, vermutlich von all den Fettnäpfchen außen herum.

Die Situation hat schon was von Parzifal, der sich nicht getraut hat, den Gralskönig nach seinem Leid zu fragen und deshalb prompt den Gral verspielt und dann gefühlte 100 Millionen Strophen lang über sein Schweigen gebrütet hat. Ich kann's nicht richtig machen und je länger ich nachdenke, desto schwieriger wird es. Sonst bin ich nicht so verkrampft, aber ich sehe, wie sehr die Beschäftigung mit dem Thema viele Patienten und so auch meine Schwägerin belasten, sodass es unter Umständen genau den gegenteiligen Effekt hätte, ihr Ratschläge zu erteilen.


Ich könnte mal meine Nichte fragen... und der die Tipps geben. Von der Tochter nimmt sie die Tipps vielleicht an und die erwischt sie eher mal zu einem Zeitpunkt, wo sie eh drüber reden will. Ein bisschen Jammern ist ja ok...

Das ist vielleicht feige, aber vielleicht ist es auch ein guter Kompromiss.
So wird's gemacht.

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