Freitag, 15. November 2013

Fresse halten - Krebs und Nebenwirkungen

Stille - Muschelschupser (www.piqs.de)
Einfach mal die Fresse halten - das ist die Parole dieser Woche.
Hat den einfachen Hintergrund, dass es nach jeder Chemo ein bisserl schwieriger mit den Schleimhäuten wird.

Mein Mund ist diese Woche jedenfalls eine einzige Wunde. Teilweise so schlimm, dass ich nachts davon aufwache, tags vor mich hinsabbere und beim Lachen blute. Die offene Stelle ist so blöd gelegen, dass man sie beim Sprechen unweigerlich reizt und so ist jetzt der Fall eingetreten, den ich als "scheintot" bezeichnen würde. Ich muss die Klappe halten.
Es gibt ja diesen blöden Spruch von Oliver Kalkofe, wonach Frauen auf alle möglichen Weisen über die Zeiten gelitten hätten, aber niemals schweigend.
Nun, es wird Zeit, daran etwas zu ändern.

Schweigend esse ich meine Breichen, Suppen und Nudeln... Dinge, die man lutschen kann, oder vielmehr nicht so intensiv kauen.
Erstaunlicherweise kann man relativ viel essen, und zwar gute Sachen, die nicht so kauintensiv sind.

Ich forsche derzeit intensiv in der asiatischen Küche.
Die ist auch so aromaintensiv, dass man riechend gut fehlende Geschmacksknospen kompensieren kann. Wer hätte es geahnt, was allein die chinesische Küche jenseits dessen bietet, was wir in den Lokalen neben Rindfleisch mit Zwiebeln und Schwein süß-sauer so serviert bekommen. Andererseits ist China ja auch wirklich riesig... In Tibet schmeckt es fast schon indisch, in Sezchuan sehr scharf, in Kanton - und nur dort - isst man so ziemlich alles, auch Hund und Katz. Da gibt es ein Sprichwort im restlichen China: In Kanton frisst man alles mit vier Beinen, außer den Tisch - und das ist nicht sicher!

Schweigend leide ich. Schwellungen unter wunden Stellen sind im Mund echt ätzend, weil sie die offenen Bläschen an die Zähne drücken.
Schweigend tippe ich meinen Arbeitskram runter. Das lenkt wenigstens ab und wenn ich daheim rumsitze, pule ich nur die ganze Zeit mit der Zunge rum um zu prüfen ob es noch weh tut, wo es genau weh tut, wie es weh tut, und wenn ich durch bin - ob es immer noch weh tut. Schön blöd.
Schweigend hör ich meinen Freunden zu.
Schweigend tupfe ich mein Gesabbere weg und beschließe, früh ins Bett zu gehen
(Mit Spucktuch wie ein Säugling *g* - Back to the roots).
Das erklärt dann auch, wieso ich in der Nacht aufwache...

Arrrgh Ursache und Wechselwirkung. Herrje

Was ganz gut hilft, ist Panthenol. Das hilft tatsächlich. Empfehle ich nach umfassender Empirie.
http://www.gesundheit.com/gc_detail_5_huk13_6.html

Es gibt da eine Reihe von Präparaten. Mir waren diese Lutschpastillen am Liebsten. Solange man lutscht, tut es nicht weh und alles beruhigt sich.

Positives Erlebnis dieser Woche:
Schweigen wird irgendwann zur meditativen Übung. Es ist ein Experiment, das man auch in anderen Lebenssituationen mal probieren kann. Erstaunlich wie viel sich klärt, auch wenn man nicht gleich loslegt.
Erstaunlicher noch, wie viel mehr man selbst wahrnimmt, wenn man die Dinge mehr auf sich wirken lässt.
Am erstaunlichsten, dass ich das dann irgendwie sogar unterhaltsam fand.
Und das obwohl man mir aus wohl informierten Kreisen stets versichert hat, dass man mein Mundwerk im Falle eines Falles mal gesondert erschlagen und sicherheitshalber auch getrennt vom Rest beerdigen müsste...
Nein, der langen Rede kurzer Sinn: Auch hier ist weniger manchmal mehr und tatsächlich hat Schweigen durchaus auch eine lehrreichen und informativen Seiten.
Lustig ist auch, wie viel man ausdrücken kann, ohne zu reden.
Und zwar auch, ohne wild gestikulierend, Grimassen schneidend durchs Wohnzimmer zu springen. Ganz normal im Gespräch. Eine fragend gehobene Augenbraue - ein interessiertes Nicken, eine kleine Geste...
Es fällt gar nicht auf, wenn man nicht REDET. Cool (und auch außerhalb medizinisch indizierter Schweigegelübde ein absolut empfehlenswerter Feldversuch).
Noch cooler ist allerdings, dass dieser Spuk nach ein paar Tagen wieder vorbei ist. Der Mundraum heilt sehr schnell ab, die Schwellung geht zurück und ich versuche, trotzdem weniger zu reden.
Die Woche war insgesamt chemo-technisch nicht gut, aber eigentlich nicht so schlimm.
Ich meine, es geht hier um eine Chemo... Taxan in Höchstdosis...
Wenn man sich da über 3.000 Zeichen lang über Bläschen im Mund aufregt, kann es ja nicht so schlimm sein, oder?
70:13
Euch allen ein schönes Wochenende...

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