So ein OP-Tag birgt Abenteuer und Schrecken der ganz besonderen Art.
Gerade für jemanden wie mich, der bislang seit seiner Geburt zwar dank seines ausgeprägten Schusseltums oft in
den Notaufnahmen war, aber nie mehr stationär...
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Blutregen-Blogya |
Aber der Reihe nach:
Morgens
erst einmal wie verabredet einrücken und Zimmer beziehen. Das war erst
einmal schon ein Schock. In dem Zimmer herrschen subtropische
Temperaturen, ungefähr dieselbe dampfige Luftfeuchtigkeit und es schlägt
einem ein Geruch entgegen wie beim Elefantenhaus im Tierpark.
Mitten
drin in diesem überwältigenden olfaktorischen Mikrokosmos sitzt eine
alte Dame und brüllt die Schwester und mich an: "Das Fenster bleibt zu!"
Ich
muss den ersten Panikanfall unterdrücken. In dem Mief halte ich es
keine 5 Minuten aus und eine Nacht schon gar nicht, ich schlafe auch im
Hochwinter bei offenem Fenster.
Nun, wenn ich Glück habe, wird sie heute entlassen..
Ich
habe eh keine Zeit, mich um das jetzt zu kümmern, denn nach dem
gefühlten 700sten Ultraschall wird jetzt als OP-Hilfe nochmals ein Faden
eingeschossen, der die Stelle markiert, an der einst der Tumor gesessen
ist und wo die Wahrscheinlichkeit gefährlicher Al Qaida Zellen (Edit: Liebe NSA, kein Grund zur Panik, dies ist ein Terroristenfreier Krebsblog. Cancer, you know?) am
höchsten ist.
Ich vertreibe mir die Zeit mit meinem Tablet. Schöne neue Welt.
Alles OK, Termin ist am Nachmittag, je nach Ablauf der
anderen OPs, so zwischen 14.00 und 16.00 h. Eine Schwester sagt mir
rechtzeitig Bescheid.
Dann bin ich wieder auf meinem Zimmer, lüfte
heimlich in Abwesenheit der alten Dame und warte, dass die Zeit
vergeht. Der Minutenzeiger trödelt, es ist unfassbar. Die alte Dame
kommt, um ihr Gepäck zu holen. Sie freut sich gar nicht so sehr, dass
sie nach Hause darf. Sie hat Angst, dass ihre Wohnung zu kalt ist, jetzt
wo sie drei Tage nicht zu Hause war.
Warum wundert mich das nicht?
Ich
helfe packen, es hilft die Zeit vertreiben. Dabei jammert die Arme, dass
sie so friert. Erstaunlich bei Raumtemperaturen um die 25°C, aber
gut... wenn ich gewusst hätte, dass sie auscheckt, hätte ich mit dem
Lüften gewartet. Andererseits - sie ist so blass, dass etwas Sauerstoff
gewiss nicht schadet. Die Dame geht, doch die Schwester kommt nicht. Ich
sitze auf meinem Bett und warte. Warte. Warte.
Dann endlich der
erwartete Ruf.
Ich muss ungeschminkt (also ohne mein "aufgemaltes"
Gesicht) und ohne Perücke oder Hut in den OP.
Das ist entsetzlich. Wenn sie einem wenigstens eine Mütze lassen würden.
Weil
sie mich auf diesem Wagerl quer durch alle Stationen des Krankenhauses
fahren. Ich fühle mich dabei so grässlich schutzlos, hilflos und allein.
In diesem riesigen Bett ganz ohne Haare. Es ist furchtbar.
Entsprechend fertig bin ich mit den Nerven als ich in den Anästhesie-Raum komme.
Da
wird es nicht besser, wenn man mich um meine Meinung fragen würde, was natürlich wohlweislich keiner tut. Es ist noch nicht einmal jemand da, dem ich ungefragt meine Meinung sagen könnte.
Ich
liege da in diesem kalten Raum und friere und verstehe plötzlich die
alte Dame.
Frieren ist nicht schön und ohne Haare frieren, ohne Mütze
und alles, das ist wie wenn man in- und auswendig gleichzeitig friert.
Ob dann, wenn Eiszapfen wachsen würden, diese Kegelform hätten, mit der
dicksten Stelle auf meiner Haut? Würde es ein großer Eiszapfen sein und ich ein Conehead - oder vielmehr viele, viele kleine und eine Igelfrisur mal ganz anders interpretiert.
Dann kommt die
Anästhesieschwester um mich mit dem Narkotikum aus meinen Frostfantasien
zu befreien. Dann werde ich zwar vermutlich immer noch frieren, aber
ich kriegs nicht mehr mit. Das ist fast genauso gut, wie nicht frieren.
Bis auf die dann unvermeidliche Erkältung.
Doch
weit gefehlt - die Schwester fesselt mich erst mal in bester Shades of
Grey-Manier ans Bett wie einen enthaarten, hilflosen Heiland, mit weit
ausgebreiteten Armen. Damit ich in der OP nicht versehentlich zucke.
Logisch, in meinem Interesse, klar.
Und trotzdem - gar nicht schön.
Gar
nicht schön.
Die Schwester geht und ich bleibe zurück.
Gefesselt mit
ausgebreiteten Armen und verrutschter Decke.
Frierend, weil gefesselt. Mädels, bevor ihr Shades of Grey weiterempfehlt, versucht das mal.
Ist gar nicht lustig.
Ohne Haare und besorgt. Sehr besorgt.
Weniger mutige Menschen wären
vielleicht panisch.
Gefesselt nackt im Bett in irgendeinem OP-Keller auf
einer Trage ohne Decke.
Das ist kafkaesk.
Oder die Einleitung zu einem Splatter-Movie.
Super. Fantasie kann auch ein Fluch sein.
Die Schwester kommt wieder und mit ihr eine Gasmaske. Ich soll zählen, doch dazu komm ich gar nicht, so schnell geht das.
Puff. Weg. Licht aus.
Mittendrin wache ich auf.
Oder ich träume. Träume ich? Wache ich?
Das ist gar nicht so einfach, wenn man narkotisiert ist und das Hirn statt der gewohnten Präzisionswaffe eine plüschige Watteeinheit.
Grün...
scharfer Geruch... Hektik... Ein Tuch über meinem Kopf?... Schläuche
und Piepen... Hektik.... Rot....
Rufe: "Sie kommt, sie kommt. Schnell!"
Schock! Ich erschrecke!
Dann wird es wieder dunkel. Weg. Licht aus.
Das
nächste Mal erwache ich in einem Gang unter einer Neon-Leuchte im Stau
mit anderen Betten. Wie in der Rush-Hour. Ich wusste, dass OPs
Massenbetrieb sind, aber die Szene ist grotesk.
Blöd, wenn man mit einem
Schrecken einschläft, weil man dann aufschreckt, in dem Moment, in dem
das Adrenalin das Narkotikum überwältigt.
Schlagartig körperlich, aber
leider ist das Großhirn noch nicht auf der Höhe und in Standby kommen
seeeehr seltsame Eindrücke dabei heraus.
Ein Arzt rumpelt vorbei und
ruft mir zu: "Kein Sorge, wir haben jetzt alles wieder im Griff."
Ok.
Das ist definitiv eine der Aussagen, mit der man nicht beruhigt wird.
Griffe kann ich nicht bemerken und sein Laufschritt vermittelt da auch
nicht gerade Bestätigung in Sachen Kontrolle.
Und "Jetzt wieder" schreit
nach der Frage - wann nicht?
Es sollte keiner Erklärung bedürfen.
Garstig.
Jetzt bin ich richtig besorgt.
Ein anderer Arzt kommt. Stellt
mir für so eine dämliche Studien Fragen, ob ich weiß, wo oben ist (bei
der Lampe) und unten (Unter mir) und wie ich heiße... Ich will wissen,
was passiert ist. Er sagt, ich soll antworten. Also nenne ich meinen
Namen und ich frage dann zurück, nochmals, was eigentlich passiert ist.
Aber der Arzt ist schon wieder weg.
Ich sehe reichlich Blut an meinem Arm und bin besorgt.
Das
nächste Mal wache ich einem großen Saal mit tausend piependen und
blinkenden Geräten auf.
Schlimm.
Emergeny Room-Stimmung. Habe ich erwähnt, dass cineastische Bildung fast so schädlich ist wie blühende Fantasie?
Ich verstehe die Geräte
nicht, aber zwischen ihnen huschen vermummte grüne Menschen herum.
Banges Warten schließt sich an. Ich bin im (Über)Wach(ungs)Raum - statt
wie erwartet und angekündigt in einem netten (Auf)Wachraum.
Und immer noch kommt keiner,
der mir sagt, was los war.
Ich überlege verzweifelt, wie ich in
Erfahrung bringe, warum ich hier bin und nicht in dem kuschligen
Aufwachraum, den sie mir vorher gezeigt haben. Ich will wissen, was im
OP passiert ist.
Warum mir alles so weh tut.
Langsam bewege ich mich.
Linker Arm ist dran. Rechter Arm - check! Blut ist weg. Das werte ich als gutes Zeichen.
Kopf dreht sich, Denken fällt
schwer. Brust ist auch noch da (plus zwei Beutel und Schläuche).
Und
immer kommt noch keiner, der mir was erklärt.
Der Kampf mit der
Bettpfanne lockt eine Schwester auf den Plan. Das Ganze gerät zu einem
Blutbad, weil aus meinem malträtierten Arm aus einem Schlauch noch
kräftig Blut nachfließt. Dort, wo die Kabel für die OP verlegt waren, (
also rechts, fernab vom Tumor). Ich frage die Schwester... Doch die
sagt, sie dürfe mir nichts sagen. Schöner Mist! Was ist die Steigerung
von Panik?
Endlich kommt eine Ärztin, die sagt, dass am Ende der
OP eine Vene erwischt wurde und ich sehr viel Blut verloren habe, daher
ist auch der Port noch dringeblieben, den wir doch angesichts der OP gleich
mit rausnehmen wollten...
Sie will mich mitnehmen, was ich
begrüße, aber der Oberarzt vom Horrorstübchen hier ist dagegen.
Wegen
der Gefahr, unbemerkt zu verbluten, darf ich erst rauf, auf die Station,
wenn ich einen besseren Gerinnungsfaktor habe.
Klingt überzeugend, auch
wenn es mir hier nicht gefällt.
Verbluten ist doof.
Meine Cousine
und mein Mann besuchen mich abends noch kurz. Sie sind besorgt und
erleichtert.
War wohl kniffliger als erwartet.
Sage mir noch einmal
einer was von Routineeingriffen.
Gut, dass ich so eine
Allerweltsblutgruppe habe, zu der man einfach alles panschen kann.
Der
Besuch ist sehr nett, aber ich fühl mich schlecht. Und ich will hier in
diesem ER nicht sein. Hier piept es. Oft schneller, drängend, fordernd,
hektisch. Es riecht nach Gefahr.
Ständig rumpeln die
Grüngewandeten an ein Bett und tun dort hektisch das, was vermutlich
getan werden muss, wenn es piept. Irgendwann dämmere ich wieder weg.
Später
werde ich doch noch in normalen Wachraum verlegt, wo ich besser
schlafen kann.
Mein Kopf funktioniert wieder. Mein Kreislauf kreist stabil. Etwas schwächlich, aber ich bin will nicht kleinlich sein.
Ich muss nochmals auf die Toilette und darf nicht.
Aber
Bettpfannen verstoßen gegen die Menschenwürde! Die Schwester will mir
verbieten aufzustehen und ich drohe, dann ins Bett zu pinkeln (ohne
Pfanne) - dann hätten wir beide was davon.
Dann darf ich auf die
Toilette gehen, wenn ich aufpasse.
Na also. Warum nicht gleich so?
Froh, wenigstens diesen einen Kampf gewonnen zu haben, schlafe ich erschöpft wieder ein.
Geht doch.
Ich werde wieder berichten.